Angesichts wieder steigender Corona-Infektionszahlen in Deutschland warnen Experten und Politiker vor Problemen bei der Spurensuche durch die Gesundheitsämter. Die Bundesregierung habe es „versäumt, die Gesundheitsämter richtig aufzustellen und auf eine zweite Welle vorzubereiten“, kritisierte Christine Aschenberg-Dugnus, gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, gegenüber WELT.
Diese kämpften „an vorderster Front gegen Covid-19, da sie regional das Infektionsgeschehen beurteilen. Sie müssen daher im Kampf gegen die zweite Welle auf die notwendigen Mittel und das nötige Personal zurückgreifen können.“ Es mangele an „einem umfassenden Gesamtkonzept“.
Langfristig seien die Behörden „nicht in der Lage, die hochgradig personalintensive Kontaktnachverfolgung zu stemmen. Das wissen wir aus diversen Umfragen zur Personalsituation“, sagte Heidrun Gitter, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer, WELT. „Was wir jetzt brauchen, ist eine ,konzertierte Aktion‘ für die Stärkung der Gesundheitsämter. Die Arbeitsbedingungen müssen attraktiver, die Vergütung konkurrenzfähiger und der Arbeitsplatz moderner werden“, so Gitter. Es müsse „endlich vom Reaktions- in den Präventionsmodus“ geschaltet werden, sagte Aschenberg-Dugnus: „Nur hoffen und nicht handeln hilft uns nicht weiter.“
Unterstützung hat der Bund für die bundesweit 375 Gesundheitsämter bereits zugesagt. Unter anderem sollen sie insgesamt 50 Millionen Euro vor allem für eine bessere digitale Ausstattung bekommen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hat für August zudem ein Spitzengespräch zur Stärkung des öffentlichen Gesundheitsdienstes (ÖGD) angekündigt.
Mindestens fünf Mitarbeiter pro 20.000 Einwohner nötig
„Ziel ist es, den ÖGD personell und technisch besser auszustatten und die Strukturen zukunftsfähig auszugestalten“, sagte eine Sprecherin des Gesundheitsministeriums gegenüber WELT. „Dabei soll im Bereich Personal auch die Attraktivität der ärztlichen Tätigkeit im ÖGD, die Aus- und Weiterbildung sowie die Nachwuchsgewinnung enthalten sein.“ Zudem unterstütze das Gesundheitsministerium die Kommunen bereits jetzt mit mehr als 500 Containment-Scouts, die vor Ort bei der Kontaktnachverfolgung Hilfe leisten. Auch würden Medizinstudierende und weitere Berufsgruppen vermittelt.
„Wir dürfen uns bei den Gesundheitsämtern nicht weiter von Notlösung zu Notlösung hangeln“, kritisierte Gitter von der Bundesärztekammer. „Klar können Medizinstudierende wieder einspringen, wenn die zweite Welle kommt und wirklich Not am Mann ist.“ Aber die Studierenden müssten „am Patienten lernen, statt irgendwelche bürokratische Aufgaben für die Gesundheitsämter zu erledigen“.
Ohne eine „echte Offensive für die Gesundheitsämter kann die Corona-Krise nicht bewältigt werden“, sagte auch Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Sprecherin für Gesundheitsförderung. Die Testpflicht für Reiserückkehrer aus Risikogebieten würde sonst nicht funktionieren. Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) müsse gemeinsam mit den Ländern dafür Sorge tragen, „dass sich die Personalausstattung tatsächlich deutlich verbessert“. Es seien pro 20.000 Einwohner Teams aus mindestens fünf Mitarbeitern für das Kontaktpersonenmanagement nötig.
SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach schlug eine stärkere Konzentration beim Verfolgen von Infektionsketten vor. Er kritisierte das bisherige Vorgehen der Ämter als „völlig ineffizient“. Es werde riesiger Aufwand mit massivem Personaleinsatz betrieben, sagte er dem „Spiegel“. Statt jedem Einzelkontakt nachzutelefonieren, sollten sich die Ämter allein auf „Superspreader“ konzentrieren. Damit gemeint sind hochansteckende Infizierte, die bei Treffen bestimmter Gruppen oft viele anstecken.
Das Robert-Koch-Institut (RKI) befürchtet eine Trendumkehr. Nach RKI-Angaben vom Freitag meldeten die Gesundheitsämter zuletzt insgesamt 870 neue Infektionen innerhalb eines Tages. Am Donnerstag hatte die Zahl der registrierten Neuinfektionen in Deutschland mit 902 den Höchststand für Juli markiert. Bis Mitte Juli hatte die Zahl wochenlang meist bei unter 500 gelegen.
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