Die Corona-Demonstrationen in Berlin am Wochenende wurden hauptsächlich von der Initiative „Querdenken 711“ aus Stuttgart organisiert, daneben haben aber auch die Neonazi-Partei „III. Weg“, NPD und AfD zur Teilnahme aufgerufen. Offen rechtsextreme und rechtspopulistische Gruppen bildeten allerdings nur einen kleinen Teil der Menge, die sich bei der Kundgebung gegen die Corona-Politik versammelte. Um die Symbolvielfalt von der Regenbogen- über die Deutschlandflagge bis zum „Q“ zu verstehen, lohnt ein Blick auf das Netzwerk rund um „Querdenken 711“.
Die Stuttgarter Initiative wurde im April von dem Betriebswirt Michael Ballweg gegründet. Er hat in Stuttgart bereits mehrere Demonstrationen gegen die Corona-Politik veranstaltet, die an ihrem Höhepunkt im Mai etwa 10 000 Teilnehmer anzogen; anschießend war der Zulauf dort stark zurückgegangen.
Ballweg distanziert sich auf der Bühne routinemäßig mit ein, zwei Sätzen zu Beginn jeder Veranstaltung von Rechts- und Linksextremen. Er wendet sich aber nicht explizit dagegen, wenn Teilnehmer mit Reichsflaggen, die von Neonazis und Reichsbürgern als legales Erkennungszeichen verwendet werden, in der Menge stehen und grenzt sich nicht gegen Politiker aus der rechten Ecke ab, die seine Nähe suchen. Ballweg gab sich bei früheren Demos als Verfechter des Grundgesetzes, nun will er es abschaffen und durch ein neues ersetzen, wie er in Berlin erklärte. Ein Freund der repräsentativen Demokratie, auch das wurde bei seiner Rede am Samstag deutlich, ist er nicht.
Seit Beginn der von „Querdenken 711“ organisierten Demonstrationen wurde dort von verschiedenen Rednern immer wieder die Mutmaßung verbreitet, dass die Pandemie der Regierung als Vorwand diene, um das Volk zu unterdrücken, oft wurde dabei eine Zusammenarbeit mit dem Microsoft-Gründer Bill Gates und der Pharmaindustrie unterstellt.
Einer von ihnen war der ehemalige Radiomoderator Ken Jebsen, der diverse Verschwörungsmythen verbreitet. Eine seiner Thesen lautet: Bill Gates habe die Regierungen gekauft, um via Corona weltweit Impfprogramme durchzusetzen, von denen er finanziell profitiere. Sein Youtube-Kanal KenFM mit 500 000 Abonnenten hat sich zu einer Sendeplattform des Corona-Protests entwickelt. Auch die Initiative „Querdenken 711“ hat auf Jebsens Kanal verlinkt.
Inhaltlich ist es da nicht weit zur Gruppe QAnon oder kurz „Q“. Der Buchstabe war am Samstag auf mehreren Schildern von Demonstranten zu sehen. Die Anhänger der vor allem in den USA populären Verschwörungsfantasie glauben unter anderem, dass eine globale Elite Kinder gefangen hält, um aus ihnen ein lebensverlängerndes Serum zu gewinnen.
Hierzulande informieren einschlägige Internetseiten verschwörungswillige Leser im deutschsprachigen Raum darüber, dass die „alten Eliten“ versuchen würden, „mit Hilfe der (vermeintlichen) Corona-Pandemie die Welt an den wirtschaftlichen Abgrund und in die endgültige Unfreiheit zu treiben“. Auf der Seite werden eifrig Videos von der Demo in Berlin verlinkt.
Michael Ballweg hat Anfang August in Berlin Sympathien für den Verschwörungsmythos bekundet: „Für mich steht das Q für das englische Wort question, eine Gruppe von Fragestellern, die uns zum Nachdenken und Recherchieren anregen.“
Eng verbandelt mit der Initiative „Querdenken 711“ sind außerdem zwei Gründer der Partei „Widerstand 2020“, die zu Beginn der Corona-Beschränkungen wohl davon träumte, ähnlich bekannt zu werden, wie es die Stuttgarter Protestinitiative heute ist. Vorstandsmitglied Ralf Ludwig aus Leipzig ist der Anwalt von „Querdenken 711“. Mitgründer ist Bodo Schiffmann, HNO-Arzt aus dem badischen Sinsheim, der auf seinem Youtube-Kanal mit mehr als 150 000 Abonnenten die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus als übertrieben bezeichnet und vor einer Impfung warnt.
Er hat „Widerstand 2020“ nach einiger Zeit verlassen und die Partei „Wir 2020“ gegründet, bei der er inzwischen ebenfalls ausgestiegen ist. Schiffmann hat auch den „Querdenken“-Bommel erfunden, eine Kugel aus zerknüllter Alufolie am Band, die viele Demonstrationsteilnehmer bei sich tragen.
Mit „Honk for Hope“ nach Berlin
Skepsis gegen das Impfen ist die Verbindung zu einem oft farbenfroh gekleideten Teils des Publikums. Stuttgart gilt als Hochburg der Anthroposophie, einer Weltanschauung, die auf Rudolf Steiner zurückgeht.
Mit mehreren anthroposophischen Ausbildungsstätten, der ersten Waldorfschule und dem Rudolf-Steiner-Haus als Sitz der Anthroposophischen Gesellschaft in Deutschland nimmt Stuttgart bei Steiners Anhängern eine wichtige Stellung ein.
Der Tübinger Impfskeptiker Christoph Hueck, ebenfalls Redner bei „Querdenken“-Demonstrationen, hat dort Ende Juni bei einem Vortrag dargelegt, dass Krankheit und körperliches Leiden wichtig für die geistige Entwicklung seien.
Ein weiterer Akteur ist die Initiative „Honk for Hope“. Busunternehmen haben sich unter diesem Namen europaweit organisiert, um auf ihre wirtschaftliche Notlage in der Pandemie aufmerksam zu machen. Einzelne Vertreter von „Honk for Hope“ haben Transporte für die Demos in Berlin angeboten.
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