Kommentar zu Parteien in Corona-Zeiten: Im digitalen Hinterzimmer

Nur zaghaft geben Politiker zu, dass sich in Corona-Zeiten ihre Arbeit grundlegend verändert hat. Nahezu alle Entscheidungsträger sind betroffen, weil sich die Bedingungen, unter denen sie ihre Meinung bilden und durchsetzen müssen, nicht mehr dieselben sind. Zwar ist Kommunikation weiterhin möglich, sogar schneller und billiger. Aber jeder merkt sehr bald, dass die „Videoschalten“ und Telefonkonferenzen etwas anderes sind als der persönliche Kontakt. Für Unternehmen, Schulen und Vereine mag noch gelten: Es geht nicht anders. Aber Politik, Parlamente und Parteien müssen sich strengeren Maßstäben stellen. Sie sind politischer Willensbildung verpflichtet, einer Herzkammer der Demokratie.

Für Parlamente ist der Gedanke noch ungewöhnlich, dass in Notzeiten digitale Sitzungen abgehalten werden könnten. Parteien hingegen stehen schon lange bereit, ihre Satzungen zu ändern. Rechtlich ist die Sache recht profan: Für Parteien gilt das Vereinsrecht, das an die Corona-Bedingungen schon angepasst wurde. Parteien sind aber nicht nur Vereine. Spätestens dann, wenn es um die Aufstellung von Kandidaten und Wahllisten geht, bewegen sie sich in der Vorbereitung allgemeiner Parlamentswahlen. Da kommen das Parteiengesetz, das ihre demokratische Ordnung festlegt, und das Grundgesetz ins Spiel, wo die Parteien als unersetzliche Säulen der Willensbildung hervorgehoben werden. Die findet im digitalen Raum aber ganz anders statt als auf Präsenzveranstaltungen.

Wie sollte sich dieser Wille bilden, wenn zwar weiterhin Reden geschwungen und Anträge gestellt werden könnten, man sich aber nur auf dem Bildschirm sieht? Für „Parteitage“, deren Ergebnis schon vorher feststeht, wie kürzlich die der Demokraten und Republikaner in den Vereinigten Staaten, mag das angehen. Wenn es aber um Richtungsentscheidungen, um Machtkämpfe und um Personalfragen geht, sind Präsenz-Parteitage etwas ganz anderes als digitale. Das gilt schon deshalb, weil Parteitage der Demokratie der Mitglieder dienen. Finden sie digital statt, fragt es sich, ob sie in Form von Delegiertenparteitagen noch gerechtfertigt sind.

Warum nicht im Stadion? Die Frankfurter CDU macht es vor, mit ihrem Nominierungsparteitag am 23. August im FSV-Stadion.

Warum nicht im Stadion? Die Frankfurter CDU macht es vor, mit ihrem Nominierungsparteitag am 23. August im FSV-Stadion. : Bild: Lando Hass

Spötter werden sagen: Für eine Parteitagsregie, die alles unter Kontrolle haben will, ist der Digitalparteitag doch nur deshalb unangenehm, weil es keine Hinterzimmer mehr gibt und kein Gemauschel. Abgesehen davon, dass es, wenn schon „Echokammern“ von sich reden machen, bald auch digitale Hinterzimmer geben wird: Gerade dieser Teil der Willensbildung macht Parteitage (und Parlamente) aus. Die Vorstellung, nur im (digitalen oder analogen) Plenum schlage sich kraft herrschaftsfreier Debatte ein allgemeiner Wille nieder, der jenseits dieses Forums verfälscht werde, ist politische Romantik. Ohne Gespräche, Grüppchen und das Geschehen „am Rande“, ohne das vielfältige Drumherum eines Parteitags oder des Bundestags kann sich weder Überzeugungskraft noch Durchsetzungsfähigkeit noch der Wille zum Kompromiss beweisen. Das Schimpfwort vom Hinterzimmer, in dem etwas „ausgekungelt“ werde, diskreditiert diesen Teil der Wirklichkeit, ohne den es Demokratie, solange sie von Menschen gemacht wird, nicht geben könnte.

Auf allen Ebenen, vom Ortsverein bis zur Bundesebene, haben Parteien ihre Einschränkungen jetzt schon schmerzlich erlebt. Politik hat sich innerhalb weniger Wochen verändert, ist in virtuelle Ferne entrückt, ist fast ausschließlich eine Sache des Staates geworden und droht, sich unmerklich von einer funktionierenden Demokratie zu entfernen.

Die Pandemie als „demokratische Zumutung“

Eine Partei, für die sich daraus gravierende Folgen ergeben könnten, ist die CDU. Sie will einen neuen Vorsitzenden wählen und steht vor der Entscheidung, ihren Wahlparteitag digital zu veranstalten oder „in echt“ – oder ihn ein zweites Mal zu verschieben. Sollte er digital stattfinden, wäre der Ruf nach einem Mitgliederentscheid nicht mehr weit – Delegierte wurden schließlich nur erfunden, um Präsenzveranstaltungen organisieren zu können. So kurz der Parteitag am Ende auch sein mag, wie und wann er stattfindet, hat Konsequenzen für die Kandidaten und für den Ausgang der Wahl.

Da es sich nicht nur um den Vorsitzenden der Partei, sondern auch um den mutmaßlichen Kanzlerkandidaten handelt, verbieten sich die üblichen Vergleiche mit anderen Veranstaltungen. Ein Parteitag, der den CDU-Vorsitzenden wählt, ist etwas anderes als ein Weihnachtsmarkt, mit dem er schon verglichen wurde, auch etwas anderes als eine Karnevalssitzung oder ein Popkonzert. Sind Parteien und Parlamente in diesem Fall also privilegiert und können deshalb eine Extrawurst in Anspruch nehmen? In einer Demokratie lautet die Antwort eindeutig: ja, dazu sind sie geradezu verpflichtet. Etwas anderes können sich nur die Verächter jener Willensbildung vorstellen.

Die Pandemie als „demokratische Zumutung“, wie sie Bundeskanzlerin Angela Merkel kürzlich zu Recht bezeichnete, sollte nicht zur Kapitulation verführen. Es mag riskant sein, in Pandemie-Zeiten tausend Delegierte nach bewährter Methode zu versammeln. Niemand hat aber gesagt, dass Demokratie nur für Zeiten erfunden wurde, die ungefährlich sind.

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