„Wenn die ihr Imperium wieder errichten wollen – bitteschön. Aber nicht bei uns“

Wie erlebt ein Araber das Ringen um westliche Werte? Solche Fragen sind Anwar Gargash ein bisschen zu einfach. „Letztlich sind wir alle doch alle ein Amalgam aus verschiedenen Kulturen und Lebenserfahrungen“, sagt der Mann, der in traditionellem arabischem Gewand für das Videointerview Platz genommen hat. Dabei blitzen seine Augen amüsiert hinter der eckigen schwarzen Brille, die auch zu einem Berliner Hipster passen würde.

Er erinnert sich noch gut daran, wie er 1979 mit seinen Kommilitonen in Washington vor dem Fernseher in der Universitätsbibliothek saß, um die neuesten Berichte über die US-Diplomaten zu verfolgen, die Ajatollah Chomeinis islamistische Revolutionäre in Teheran als Geiseln genommen hatten. Er erinnert sich an seine Doktorarbeit in Cambridge und an den deutschen Freund seiner Familie, der im Ausland immer behauptete, er sei Däne.

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„Und indische und chinesische Einflüsse gab es bei uns in Dubai auch“, sagt Gargash. „In einer Handelsstadt wächst man immer mit vielen Einflüssen auf. Aber eigentlich sind alle Menschen eine Mischung aus Verschiedenem.“ Das heißt aber nicht, dass Anwar Gargash keine Meinung hat. Und seine Meinung zählt etwas, denn Gargash ist der Außenstaatsminister der Vereinigten Arabischen Emirate, einem Staat mit einer Million Bürger und neun Millionen Einwohnern, der unübersehbar Weltpolitik macht.

Als die Emirate im August bekannt gaben, dass sie diplomatische Beziehungen mit Israel aufnehmen würden, war das in mehrfacher Hinsicht eine Sensation. Nur zwei arabische Staaten hatten Israel zuvor anerkannt, Ägypten im Jahr 1979 und Jordanien 1994. Damit brachen die Emirate die von der arabischen Liga erklärte Regel, dass es keine normalen Beziehungen zu Israel geben könne, ehe sich das Land aus den besetzten Gebieten zurückziehen würde und ein Palästinenserstaat gegründet sei.

Der Botschafter Israels im Gespräch mit der Botschafterin der Vereinigten Arabischen Emirate

Im Axel-Springer-Neubau trafen sich zu einer Podiumsdiskussion Hafsa Abdulla Mohamed Sharif Alulama, Botschafterin der Vereinigten Arabischen Emirate, und Jeremy Issacharoff, Botschafter des Staates Israel.

Quelle: WELT

Das Beispiel der Emirate kann Schule machen in der arabischen Welt. Aber auch so ist das Land ein Schwergewicht. Vom Bruttoinlandsprodukt her sind die Emirate die drittgrößte Volkswirtschaft der Region. Die reiche Föderation ist in den letzten Jahren auf verschiedenen Schauplätzen der Region diplomatisch und militärisch aktiv geworden – von Afghanistan über den Irak bis nach Syrien, im Jemen und in Libyen. Und auch ihr Zugehen auf Israel zielt auf etwas Größeres.

„Wir wollten diesen Kreislauf der Unentschiedenheit durchbrechen“, sagt Gargash. „Nicht mit Israel zu reden hat nun einmal nichts genützt.“ Im Rahmen des Abkommens habe Israel schließlich zugestimmt, Annexionen von Teilen der Palästinensergebiete auszusetzen. Das gemeinsame Ziel habe man nicht verraten. „Wir teilen immer noch die kollektive arabische Haltung, die eine Zweistaatenlösung und einen palästinensischen Staat in den Grenzen von vor 1967 verlangt“, sagt Gargash.

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Der Frieden mit Israel gebe den Emiraten sogar noch bessere Möglichkeiten, etwas für die Palästinenser zu tun. „Wir können besser auf die Israelis einwirken, wenn wir mit ihnen reden, als wenn wir nicht mit ihnen reden.“ Der Friedensschluss der Emirate bewege auch die Palästinenser dazu, über eine neue Strategie nachzudenken.

Die Unzufriedenheit mit der bisherigen Haltung der Palästinenser ist Gargash deutlich anzumerken. Als erste Gerüchte über einen Friedensplan unter der Schirmherrschaft der Regierung von US-Präsident Donald Trump aufkamen, hätten die Palästinenser sehr schnell beschlossen, nicht darüber zu verhandeln, sagt Gargash.

Den Zorn vieler Araber riskiert

Die Emirate, seit Jahrzehnten einer der wichtigsten finanziellen Förderer der Palästinenser, hätten ihnen zu mehr Offenheit geraten. Wenn man nicht im Raum sei, dann höre einem auch niemand zu. Aber das habe nicht geholfen. „Indem wir Israel nicht anerkannt haben, haben wir der Palästinensischen Autonomiebehörde während der letzten 25 Jahre einen politischen Hebel in die Hand gegeben. Aber die Palästinenser haben nichts damit gemacht. Also holen wir uns den Hebel zurück und versuchen, es besser zu machen.“

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Aber es gebe noch grundsätzlichere Erwägungen hinter dem Abkommen mit Israel, so Gargash. „Wir haben die Sache auch unter dem Aspekt der Toleranz betrachtet. Es gibt dieses islamistische Narrativ, das andere ausschließt und überall in der Region Konflikte erzeugt, und das ab 1979 entstanden ist – mit dem Krieg in Afghanistan, der Besetzung der Großen Moschee von Mekka durch Fundamentalisten und durch die Revolution im Iran.“ Hier ist Gargash wieder bei seiner eigenen Lebenserfahrung angekommen und wie sie sich an der heutigen Realität bricht. „Politik prägt, wie wir denken und was wir glauben. Diesen Kreislauf wollten wir durchbrechen.“

Man kann sich durchaus fragen, ob es allein dieser demonstrative Idealismus ist, der die Politik der Emirate treibt, oder eher bestimmte Gewinnerwartungen. Sicher ist, dass sie mit dem Zugehen auf Israel auch etwas riskiert haben. Mindestens den Zorn vieler Araber. Das tut auch Gargash, wenn er zum aktuellen Streit um Terror, Meinungsfreiheit und Islam Stellung nimmt, der sich seit den Anschlägen in Frankreich zwischen Europa und der muslimischen Welt entsponnen hat.

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„Als Muslim fühle ich mich beleidigt durch bestimmte Karikaturen“, sagt Gargash. „Aber als denkender Mensch sehe ich die Politik, die rund um dieses Thema betrieben wird. Mit seinen Attacken gegen Frankreich manipuliert Erdogan ein religiöses Thema für politische Zwecke.“ Die Worte des französischen Präsidenten seien bewusst aus dem Kontext gerissen worden, sagt Gargash.

„Man sollte sich anhören, was Macron in seiner Rede wirklich gesagt hat. Er will nicht, dass Muslime im Westen gettoisiert werden und damit hat er recht. Sie sollten besser in die Gesellschaft integriert werden. Der französische Staat hat das Recht, nach Wegen zu suchen, das zu erreichen. Einen Platz für Muslime in Frankreichs Bürgergesellschaft zu finden. Und Mittel gegen Abschottung und Militanz.“ Diese Themen sollten nicht der extremen Rechten überlassen werden, warnt Gargash, weder jener im Westen noch der innerhalb der muslimischen Welt.

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„Erdogan will der Anführer des sunnitischen Islam werden. Darum inszeniert er das so. Aber in Wahrheit ist das ein politisches Projekt, kein theologisches.“ Das eigentliche Ziel des türkischen Präsidenten sei es, den Einfluss seines Landes in der muslimischen Welt auszudehnen, der schon heute vom Golf bis zum westlichen Mittelmeer reicht. Im Nahen Osten verschöben sich derzeit die Machtverhältnisse „Erdogan will diese Situation nutzen und das osmanische Reich wieder errichten. Wie der Iran betreibt er eine imperialistische Politik und das ist eine der Hauptgefahren in der Region.“

Gargash zählt die Schauplätze auf, an denen die Türkei derzeit aktiv ist: Tausende türkische Soldaten gehen im Nordirak gegen die Kurdenmiliz PKK vor, im Norden des Nachbarlands Syrien stehen ebenfalls türkische Kräfte zusammen mit verbündeten Milizen im Feld, in Libyen sichern türkische Waffen und Türkei-treue Milizen aus Syrien das Überleben der Nationalen Einheitsregierung von Fayez al-Sarradsch. „Und überall expandiert die Türkei zulasten der Araber“, sagt Gargash. „Darum haben wir etwas dagegen. Wenn die ihr Imperium wieder errichten wollen – bitteschön. Aber nicht bei uns.“

„Erdogan verbreitet die Ideologie der Muslimbrüder“

Auch Europa müsse sich der Herausforderung durch die Türkei stellen. „Macron ist einer der wenigen europäischen Politiker, die sich offen gegen die regionale Expansion der Türkei stellen“, sagt Gargash. „Europa braucht eine geeinte Haltung der Türkei gegenüber. Wo Erdogan Lücken oder Schwächen sieht, nutzt er das für seinen Machtgewinn aus. Erst wenn man ihm rote Linien zieht, wird er verhandlungsbereit.“

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Erdogans ideologisches Projekt hänge untrennbar mit dieser Expansion zusammen. Es sei ein islamistisches Projekt, meint Gargash. „International verbreitet Erdogan die Ideologie der Muslimbrüder. Sie ist zum Teil seine eigene Ideologie, zum Teil aber auch ein Instrument zum Machtgewinn. Das lässt sich nicht trennen.“ Die Muslimbrüder, der älteste internationale islamistische Verband der Welt, wollen eine ultrakonservativ religiös geprägte Gesellschaft mit politischen Mitteln errichten. Doch immer wieder gehen sie auch gewalttätig vor.

Im sogenannten Arabischen Frühling, der Serie von Aufständen gegen die nahöstlichen Diktaturen ab 2011, wurden die Muslimbrüder in vielen Ländern zur zentralen Kraft. Im Ursprungsland ihrer Bewegung, Ägypten, gewann der Muslimbruder Mohammed Mursi die Präsidentenwahl. Nach gut einem Jahr im Amt und einem enormen Vertrauensverlust in der Bevölkerung wurde er vom Militär gestürzt. Unter dem Beifall der Golfmonarchien – auch der Emirate.

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Der internationale Kampf gegen die Muslimbruderschaft ist ein Kernstück der emiratischen Außenpolitik. Weil die frommen Brüder die monarchische Herrschaftsordnung bedrohen, sagen einige. Die Emirate selbst verweisen dagegen auf ihre für arabische Verhältnisse ausgeprägt liberale und pluralistische Gesellschaft, deren Werte es gegen die Islamisten zu verteidigen gelte. Auf die Koexistenz von Kulturen, die prinzipiell auch andernorts im Nahen Osten über Jahrhunderte funktionierte. Kritiker der Emirate sehen darin jedoch eher ein Verkaufsargument für eine ebenfalls ziemlich expansive Politik. Was sagt Gargash zu solchen Vorwürfen?

„Ja, wir sind aktiv in der internationalen Politik“, entgegnet der Außenstaatsminister. „Aber Sie sollten verstehen, warum wir diese Rolle anstreben. Die Weltpolitik erlebt gerade einen tiefgreifenden Wandel. Die Amerikaner werden nicht mehr kommen, um zu retten. Wir im Nahen Osten müssen selbst Verantwortung übernehmen.“

The Museum of The Future stands on the city skyline among commercial and residential properties in Dubai, United Arab Emirates, on Tuesday, Oct. 13, 2020. Dubai real estate stocks were once the stars for investors betting on the citys booming economy. But their fall from grace has been spectacular and seems set to continue, given an abundance of unsold homes and scant prospects for a recovery in the oil-rich region. Photographer: Christopher Pike/Bloomberg via Getty Images

Das Museum der Zukunft in Dubai: Die Vereinigten Arabischen Emirate verstehen sich als liberale und pluralistische Gesellschaft
Quelle: Bloomberg/Getty Images

Dabei hätten die Emirate nie auf eigene Faust gehandelt, betont Gargash, sondern etwa als Partner der Nato in Afghanistan, auf dem Balkan und in Libyen, als Partner einer internationalen Koalition gegen die Terrormiliz Islamischer Staat und im Jemen an der Seite Saudi-Arabiens und anderer Staaten.

Diese Koalition verteidigt seit 2015 Jemens international anerkannte Regierung gegen die vom Iran gestützten Huthi-Rebellen, doch die Zivilbevölkerung leidet schrecklich unter den Kämpfen. Die Vereinten Nationen sprechen von der größten humanitären Katastrophe unserer Zeit. „Im Jemen war unsere Rolle nicht einfach“, sagt Gargash. „Wir sind jetzt raus dort. Es war ein schwerer Kampf und wir wurden stark kritisiert.“

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Die Auseinandersetzung mit dem Iran jedoch, sie wird weitergehen. Ihre Sorge angesichts des iranischen Atomprogramms und der Aktivitäten iranischer Milizen in der Region verbindet die Emirate und andere Golfaraber mit Israel. Die Förderung der Zusammenarbeit unter Amerikas Alliierten in der Region gehörte auch zu Donald Trumps Strategie maximalen Drucks auf den Iran.

Nachdem Trump aus dem Atomabkommen mit Teheran ausgestiegen war und Wirtschaftssanktionen gegen Teheran wieder eingesetzt hatte, begann eine Eskalationsspirale, die auch zu Angriffen am Golf führte. Doch wenn man Gargash fragt, dann scheint es fraglich, ob maximaler Druck für die Emirate noch der richtige Weg ist.

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„Diese Probleme müssen politisch und durch Verhandlungen gelöst werden“, sagt Gargash. „Nach der Covid-Krise werden wir alle ärmer und erschöpfter sein. Es wäre Wahnsinn, dann eine Konfrontation zu riskieren. Wir brauchen Deeskalation und eine politische Handlungsebene. So haben wir es immer gesehen.“ Der amerikanische Präsidentschaftskandidat Joe Biden hat angekündigt, im Fall eines Wahlsiegs wieder dem Iran-Atomabkommen JCPOA beizutreten, das in seiner Amtszeit als Vizepräsident ausgehandelt wurde.

„Es wäre falsch, das JCPOA einfach wiederzubeleben“, sagt Gargash. „Was wir brauchen, ist ein JCPOA++, das auch Irans Raketenprogramm beschränkt und seine Förderung von Milizen in der gesamten Region beendet.“ Und diesmal müssten die Golfaraber auch Teil des Abkommens sein. „Wie sollen wir etwas unterstützen, das wir nicht mit aushandeln konnten?“, fragt der Außenstaatsminister. Es sei klüger, die Emirate als Partner zu haben. Das scheint die Botschaft zu sein, auch hier.

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