Mit der Zulassung des Impfstoffs von Astra-Zeneca kann nun in Deutschland ein drittes Vakzin eingesetzt werden – für die Versorgung ist das aber zunächst kein großer Schritt nach vorn. Denn erstens will die Ständige Impfkommission am Robert-Koch-Institut den Astra-Zeneca-Impfstoff vorerst nur bei Personen unter 65 Jahren einsetzen, für die bedürftigste Zielgruppe ist er also nicht verfügbar. Zweitens wird das Unternehmen kurz- und mittelfristig viel weniger in die EU liefern als von der EU-Kommission erhofft. Am Sonntagabend teilte EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen auf Twitter mit, es kämen noch mal neun Millionen Dosen hinzu, also insgesamt 40 Millionen Dosen. Das ist die Hälfte der ursprünglich anvisierten Menge von 80 Millionen Dosen. Der am Freitag teilweise veröffentlichte Liefervertrag Brüssels mit Astra-Zeneca ist überdies keineswegs so eindeutig zugunsten der EU ausgestaltet, wie Kommissionschefin Ursula von der Leyen dies glauben machen wollte.
Verantwortliche Redakteurin für Wirtschaftspolitik, zuständig für „Die Ordnung der Wirtschaft“.
Am Wochenende kamen unerfreuliche Nachrichten hinzu. Auch der amerikanische Hersteller Moderna, dessen Vakzin genehmigt ist, wird mindestens vorübergehend weniger liefern als angekündigt, nach Deutschland wie in andere EU-Staaten. Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) beklagte, trotz der angekündigten fünf Millionen weiteren Impfdosen habe man nicht einmal für vier Wochen Lieferklarheit.
Bessere Ergebnisse bei Novavax
Zudem erhielten Hoffnungen einen Dämpfer, es könnten schnell weitere hochwirksame Impfstoffe zugelassen werden. Vor allem die Ergebnisse einer Studie zur Wirksamkeit des Vakzins von Johnson & Johnson (J&J) mit 44.000 Teilnehmern blieben etwas hinter den Erwartungen zurück: Der Wirkstoff schützt zu 66 Prozent vor mittelschwerer bis schwerer Erkrankung, vor sehr schwerer Erkrankung mit 85 Prozent. Allerdings zeichnet sich eine geringere Wirksamkeit besonders gegen die mutierte sehr ansteckende Variante ab. Nach Ansicht des CDU-Europaabgeordneten Peter Liese wäre diese Wirksamkeit im Oktober, als es noch gar keinen Impfstoff gab, als „großartig“ eingestuft worden. Das J&J-Vakzin scheine aber nicht so gut zu wirken wie die schon zugelassenen Impfstoffe.
Das könnte die für Februar erwartete Zulassung verzögern. Bessere Ergebnisse zeichnen sich bei Novavax ab, allerdings ist auch dieser Impfstoff gegen die mutierte Variante weniger wirksam. Mit dem amerikanischen Hersteller hat die EU Vorgespräche ab-, aber noch keinen Liefervertrag geschlossen. Kurzfristig dürfte der Impfstoff also auch noch nicht zur Verfügung stehen.
Daher fordert Bayerns Ministerpräsident Markus Söder nun eine „Not-Impfstoffwirtschaft, in der der Staat klare Vorgaben macht“. In dem Interview mit der „Welt“ sagte der CSU-Chef aber nicht, zu welchen Mitteln er greifen würde, um die Engpässe zu beseitigen. Ökonomen diskutieren zwei Wege: zusätzliche marktwirtschaftliche Anreize oder Zwang. Ein starkes Plädoyer für Anreize kam am Samstag von Clemens Fuest, dem Präsidenten des Münchner Ifo-Instituts. Der Staat sollte Pharmaunternehmen mit Prämien dazu anreizen, die Impfstoffproduktion schneller als geplant hochzufahren, schlug Fuest zusammen mit Daniel Gros vor, Vorstandsmitglied am Centre for European Policy Studies (CEPS) in Brüssel. „Angesichts der immensen Kosten, die der Gesellschaft durch die Pandemie und die Lockdowns in ganz Europa entstehen, sollte diese Prämie sehr hoch sein. Eine Dosis, die drei Monate zu früh geliefert wird, könnte für die Gesellschaft durchaus Hunderte von Euro wert sein, während die Kosten viel geringer sind“, schreiben beide in einer Analyse.
EU-Beschaffungsstrategie „krachend gescheitert“
Sie weisen auf eine Studie, nach der die Pandemie die globale Wirtschaftsleistung im Monat um 420 Milliarden Euro senkt. Jede zusätzlich gelieferte Dosis Impfstoff in diesem Jahr habe für die Gesellschaft einen Nutzen von etwa 1500 Euro. Die Ökonomen raten der Politik, Herstellern viel mehr als die 15 Euro je Dosis anzubieten, die Biontech und Pfizer erhalten. Noch weniger bekommt Astra-Zeneca, dessen Verträge nur Kostenerstattung vorsehen. „Von einer Firma, die mit einer Leistung keinerlei Gewinne erzielen kann, sollte man nicht zu viel erwarten“, warnen Fuest und Gros.
Die EU-Beschaffungsstrategie sei „krachend gescheitert“, weil der Lieferplan zu unverbindlich sei und marktbasierte Anreize fehlen. Schnelles Hochfahren der Produktion koste Unternehmen viel Geld, dafür müssten sie entschädigt werden, am besten durch gestaffelte Prämien, die man nach und nach senke. „Die zusätzlichen Kosten für die Aufstockung der Impfstoffversorgung für Europa können sich auf einige Milliarden Euro belaufen. Die Prämien rechnen sich dennoch, denn sie wären immer noch sehr viel günstiger als ein längerer Lockdown wichtiger Teile der EU mit ihrer jährlichen Wirtschaftsleistung von 14 Billionen Euro“, betonte Fuest.
Zuspruch für den Vorstoß kam auf Twitter vom Bonner Ökonomen Moritz Schularick. Allerdings sieht er im Modell einer Corona-„Kriegswirtschaft“ eine Alternative: Der Staat könne auch „dirigistisch“ eingreifen, um etwa über Zwangslizenzen die Ausweitung der Produktion anzuordnen. „Die Abrechnung mit den Unternehmen, deren Patente man gekapert hat, erfolgt dann später, wenn das Virus besiegt ist“, rät Schularick. Auch hier gebe es Risiken und Nebenwirkungen: Zum einen sei nicht klar, wie effizient der Staat die komplexe Produktion managen könnte. Zum anderen sei fraglich, ob die Geldgeber der Impfstoffforscher bei der nächsten Pandemie wieder mitspielen würden.
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