Bayerische Schulen im Wechselunterricht

Bis vor Kurzem stand der bayerische Kultusminister Michael Piazolo von den Freien Wählern vor allem in der Kritik, weil der Distanzunterricht an bayerischen Schulen vielerorts nicht gut funktionierte, unter anderem wegen der zeitweise sehr instabilen Lernplattform Mebis. Man sollte also meinen, dass die Wiedereinführung des Wechselunterrichts (geteilte Klassen, Wechsel von Präsenz- und Distanzunterricht) für die Abschlussklassen an diesem Montag von allen Beteiligten als Schritt in die richtige Richtung angesehen wird. Aber so ist es nicht.

Timo Frasch

Es geht schon los mit der Kommunikation. Der Bayerische Philologenverband mokierte sich am Donnerstag: „Erst gestern haben wir zunächst über einen Tweet (!) des Ministers erfahren, dass der Wechselunterricht für bestimmte Klassen am Montag feststeht – auf Nachfrage aus der Opposition. Und das vor dem Hintergrund einer sich eher zuspitzenden Nachrichtenlage zur Pandemie.“ Der Verbandsvorsitzende Michael Schwägerl äußerte, er könne verstehen, „dass sich Schulleitungen, Lehrer, Eltern und Schülern missachtet fühlen, wenn Informationen so spät, so unsicher und dann auch unerwartet kommen“.

Schulen halten Risiko für zu hoch

Das Ministerium pflegt auf derlei Kritik zu erwidern, dass Corona die von allen Beteiligten so sehr ersehnte Planungssicherheit nicht zulasse – so war es auch diesmal. Es gibt aber auch Kritik in der Sache. Der F.A.Z. sind einige Schulen bekannt, die für sich in Anspruch nehmen, dass der Distanzunterricht bei ihnen so gut funktioniere, dass der Wechselunterricht keinen wesentlichen Vorteil bringe und jedenfalls in der Abwägung mit dem trotz der Hygienevorschriften erhöhten Infektionsrisiko nicht zu vertreten sei.

Sie planten daher, den angeordneten Wechselunterricht so zu gestalten, dass der Unterricht digital als Distanzunterricht stattfindet und die Schüler nur für die Erbringung von Leistungsnachweisen in die Schule geholt werden sollten. An der Fürther Max-Grundig-Schule, einer Staatlichen Fachoberschule und Berufsoberschule, soll dieses Vorhaben laut einer internen Abstimmung von annähernd hundert Prozent aller Beteiligten befürwortet worden sein.

Über Bande: Was Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler, rechts) am Freitag verkündete, geht wohl vor allem auf den Wunsch des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU, Mitte) zurück: In bayerischen Abschlussklassen wird jetzt wieder im Wechsel unterrichtet.

Über Bande: Was Kultusminister Michael Piazolo (Freie Wähler, rechts) am Freitag verkündete, geht wohl vor allem auf den Wunsch des bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU, Mitte) zurück: In bayerischen Abschlussklassen wird jetzt wieder im Wechsel unterrichtet. : Bild: dpa

Ähnliches gilt für die städtischen Gymnasien in Nürnberg. Beide Städte haben noch mit relativ hohen Inzidenz-Zahlen zu kämpfen. Das Ministerium jedoch hob am Freitag hervor, dass dieses Verfahren nicht geduldet wird. Gegenüber der F.A.Z. stellte Minister Piazolo die gleichen Vorgaben für alle als Gebot der Fairness dar, gerade für die Schwächeren: „In der Schule können Lehrkräfte im persönlichen Kontakt den Wissenstand eruieren und – das ist mir sehr wichtig – sich auch ein Bild über die allgemeine Verfassung der Jugendlichen machen, die seit dem 16. Dezember nicht mehr im Klassenzimmer waren.“

Tipps zum Unterlaufen der neuen Vorgaben

Gerade jene Schülerinnen und Schüler, die sich mit dem Distanzunterricht „nicht so leicht getan haben in diesen letzten Wochen“, sollten „vor den wichtigen Abschlussprüfungen unterstützt und gefördert werden“. Das gehe „nach übereinstimmender Meinung der gesamten Schulfamilie“ am besten bei Schülerinnen und Schülern, die zumindest teilweise wieder im Präsenzunterricht sind. Im Übrigen sei Schule „nicht nur ein Ort des Lernens, sondern auch der sozialen Begegnung, die für die Jugendlichen besondere Bedeutung hat“.

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So ganz übereinstimmend ist die Meinung in der Schulfamilie, wie oben bereits angedeutet, nicht. Weil die Abschlussprüfungen etwa an den Beruflichen Oberschulen erst im Juni stattfinden, sehen nicht alle unmittelbaren Handlungsbedarf. Der F.A.Z. ist mindestens ein Schulamt bekannt, das den Schulleitungen Tipps gegeben hat, wie die Vorgaben aus München zu unterlaufen sind. Sie sollten „pragmatisch“ mit dem Unterrichtseinsatz umgehen und notfalls in den Distanzunterricht wechseln, falls Kollegen ausfallen oder zu wenige Schüler in den Kursen sind.

Alte Forderungen mit neuem Nachdruck

Von Corona sind im Berufsalltag viele Staatsdiener betroffen, etwa die Polizei. Aber vor allem um die Schulen tobt derzeit ein Kampf, für den die Pandemie oft der Grund, manchmal aber auch nur der Anlass ist, um alte Forderungen mit Nachdruck zu erneuern, etwa die bessere Bezahlung von Grundschullehrern. Irritation und Frust herrschen allenthalben.

In der Mail eines Personalrats einer großen bayerischen Stadt an alle städtischen Gymnasiallehrer heißt es: „Soweit ich es überblicken kann, ist der Distanzunterricht in ganz Bayern nur deshalb überhaupt möglich, weil die Kolleg*innen insgesamt mit einem riesigen Engagement und unter Aufbietung der privaten Ressourcen diesen überhaupt möglich machen. Honoriert wird dieses Engagement vom Kultusministerium leider nicht, wie man an der Streichung der Faschingsferien und der unvermittelten Rückkehr zum Wechselunterricht sieht.“

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass Entscheidungen über Distanz-,Wechsel und Präsenzunterricht oder über die Streichung der Faschingsferien nicht allein von Piazolo und seinem Ministerium getroffen werden, sondern vom bayerischen Kabinett, was nahezu gleichbedeutend ist mit: Ministerpräsident Markus Söder, CSU.

Will Piazolo dem ein Schnippchen schlagen, muss er über Bande spielen, zum Beispiel über seine Parteifreunde im Landtag. So verwunderte es nicht, dass Eva Gottstein, die bildungspolitische Sprecherin der Freie-Wähler-Fraktion, am Sonntag vorschlug, den Lehrern den 14. Mai und den Buß- und Bettag als zusätzliche freie Tage anzubieten.

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