Vor Beratungen: Öffnen beim Anblick der dritten Welle?

Es scheint, als stünde Deutschland am Beginn einer dritten Welle der Corona-Pandemie. Die Infektionszahlen steigen wieder, in Grenzländern wie Sachsen noch schneller als im Bundesdurchschnitt. Dieser wurde am Sonntag vom Robert-Koch-Institut (RKI) mit 63,8 und so hoch wie am Vortag angegeben. In Sachsen liegt er bei über 77. Der R-Wert stieg bundesweit auf 1,2. Das bedeutet, dass 100 Infizierte 120 weitere Menschen anstecken. Sinkende Infektionszahlen lassen sich nur mit einem R-Wert unter 1 erreichen.

Heike Schmoll

Politische Korrespondentin in Berlin, zuständig für die „Bildungswelten“.

Doch dieses Ziel scheint angesichts der für alle Altersgruppen hoch ansteckenden Mutante B.1.1.7, die zuerst in Großbritannien entdeckt wurde, immer unwahrscheinlicher. Bei einem R-Wert von 1,5 für diese Mutante läge die Gesamtinzidenz bei einem fortbestehenden Lockdown in der gegenwärtigen Form schon Ende März bei über 300. Das geht aus entsprechenden Modellrechnungen mit einer steil ansteigenden Infektionskurve hervor. Die Gesamtzahl der Infizierten läge damit deutlich höher als vor Weihnachten.

Bund und Länder bringt diese Situation in ein politisches Dilemma. Die von der Bevölkerung, von Kultur und Wirtschaft dringend erwarteten Öffnungsperspektiven, die durch die Wahlkämpfe in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg, aber auch im Bund befeuert werden, trieben die Infektionszahlen unweigerlich in einem rasanten Tempo in die Höhe. Einen dritten, womöglich noch strikteren Lockdown möchte kein Politiker riskieren, weil er die ohnehin schon ungeduldige Bevölkerung noch mehr demoralisieren könnte.

Ergebnisse von Antigen-Schnelltests stärker auswerten

Das Impfen geht nicht schnell genug voran, um das exponentielle Wachstum der britischen Mutante zu stoppen. Schnelltests und Selbsttests könnten nur dann nutzen, wenn sie erstens in ausreichender Menge vorhanden wären und zweitens innerhalb einer Teststrategie angewandt würden. Die meisten Apotheken, die Schnelltests anbieten können, sehen sich überfordert, weil sie weder Personal noch Räume dafür haben. Doch die beste Teststrategie nutzt nichts, wenn nicht klar ist, wie die Daten über die Ergebnisse von Antigen-Schnelltests an die Gesundheitsämter und das RKI übermittelt werden.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, hat deshalb eine zentrale Erfassung der Ergebnisse von Corona-Schnelltests durch das RKI angeregt. „Mit der wachsenden Bedeutung der Antigen-Schnelltests in Deutschland sollten die Ergebnisse dieser Testverfahren detailliert ausgewertet werden“, sagte Reinhardt den Zeitungen der Essener Funke Mediengruppe. Unkomplizierte digitale Meldeverfahren und eine zentrale Erfassung der Ergebnisse am RKI könnten das Dunkelfeld nicht registrierter Infektionen aufhellen und ein umfassendes Lagebild der Pandemie in Deutschland ermöglichen.

Bislang werden in Deutschland nur die Ergebnisse der laborgebundenen PCR-Tests an das RKI gemeldet. Zusätzlich gewonnene Daten von Schnelltests könnten Aufschluss darüber geben, wie häufig die Tests angewandt werden, wo Kapazitäten ausgeweitet werden müssen und wie hoch die Positivraten in den einzelnen Einsatzbereichen sind. „Genau solche Informationen brauchen wir, um schrittweise in ein normales Leben zurückzukehren“, sagte der Bielefelder Mediziner. Als Beispiel für ein solches Vorgehen nannte er die Schweiz, wo Tests und Positivraten nach der Art des Tests getrennt erfasst und ausgewertet werden. Auch Österreich hat längst eine zentrale Erfassung etabliert.

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