Jetzt werden die Corona-Manager von der Angst getrieben

Nach dem Scheitern der sogenannten Osterruhe wächst in der Politik die Angst vor einer unbeherrschbaren dritten Corona-Welle. Am Samstag meldete das Robert-Koch-Institut 20.472 Neuinfektionen, am Sonntag 17.176. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Einwohner lag am Sonntag so hoch wie seit Mitte Januar nicht mehr – bei bundesweit 129,7 (Vortag: 124,9).

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) appellierte am Sonntag an alle Bürger seines Bundeslandes, „das öffentliche Leben in Niedersachsen in den nächsten zehn bis 14 Tagen so weit wie irgend möglich herunterzufahren“. Andernfalls sei an eine „schrittweise Rückkehr in unser normales Leben“ nicht zu denken. Gleichzeitig verordnete der Regierungschef allen Landkreisen und kreisfreien Städten seines Bundeslandes, in denen die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 stieg, strengere Kontaktbeschränkungen.

Öffnungsappelle in einem Schaufenster eines geschlossenen Geschäfts in Niedersachsens Hauptstadt Hannover

Öffnungsappelle in einem Schaufenster eines geschlossenen Geschäfts in Niedersachsens Hauptstadt Hannover
Quelle: pa/dpa/Julian Stratenschulte

Auch die Regierungschefs von Hamburg, Sachsen und Baden-Württemberg warnten vor einer ungebremsten Infektionsdynamik; sie mahnten eine flächendeckende und strengere Anwendung der „Notbremse“-Regelungen von Bund und Ländern an.

Ein verschärfter bundesweiter Lockdown, wie ihn Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) zuvor gefordert hatte, ist dagegen nicht in Sicht. Das Gleiche gilt für ein Vorziehen des nächsten Corona-Gipfels der Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten oder bundesweit einheitliche Ausgangssperren, wie sie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach angeregt hatte.

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Stattdessen versuchen die Länder das Pandemiegeschehen mit jeweils eigenen Maßnahmen in den Griff zu bekommen. Während das Saarland oder auch Schleswig-Holstein bereits erste Lockerungsmodellprojekte ausformuliert haben, verschärfte Mecklenburg-Vorpommern wie Niedersachsen an diesem Wochenende seine Regeln insbesondere für Hochinzidenzgebiete.

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Friseurbesuch und Einkauf sind dort künftig nur noch unter Vorlage eines aktuellen negativen Testergebnisses möglich; Ausnahmen gelten für den Lebensmittelhandel und für Apotheken sowie Drogerien.

Tschentscher pocht auf bundesweit einheitliche Regeln

Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) fordert angesichts des Corona-Infektionsgeschehens ein bundesweit einheitliches Regelwerk für verschiedene gesellschaftliche Bereiche – inklusive Regelungen zu Ausgangsbeschränkungen. „Auch wenn eine erweiterte Osterfeiertagsregelung aus rechtlichen und praktischen Gründen nicht möglich ist, muss die Infektionsdynamik dringend abgebremst werden“, sagte Tschentscher WELT.

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„Wenn dies nicht zeitnah erfolgt, reicht auch der Ausbau einer effizienten Teststrategie nicht mehr aus, um das Infektionsgeschehen zu stabilisieren“, warnte Tschentscher. „Deutschland droht damit in der letzten Phase der Pandemie und noch vor dem Erreichen eines ausreichenden Impfschutzes eine Überlastung des Gesundheitswesens.“

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Tschentscher kritisierte weiter: „Die nach dem MPK-Stufenkonzept vorgesehenen Beschränkungen werden nicht konsequent genug und zu kleinräumig umgesetzt. Dieser Flickenteppich führt zu mangelnder Akzeptanz, verstärkter Mobilität und unzureichender Wirkung der Maßnahmen. Wir brauchen daher einheitliche Regelungen zu Einzelhandel, Sport, Gastronomie, Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen, die überall in Deutschland konsequent umgesetzt werden. Je früher dies erfolgt, desto besser ist es für alle.“

Ähnlich äußerte sich Bayerns Ministerpräsident Markus Söder. Der CSU-Chef rief seine Kollegen zu einer „konsequenten Umsetzung der Notbremse“ auf. Zugleich sprach Söder sich gegen ein Vorziehen des bisher für den 12. April vorgesehenen nächsten Corona-Gipfels von Bund und Ländern aus.

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Nach einem Jahr Corona stellt sich bei den Menschen eine Lockdown-Müdigkeit ein. Ostern steht vor der Tür. Der Wunsch zu verreisen ist groß. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder plädiert dennoch für konsequente Ausgangssperren.

Quelle: WELT

Sachsens Regierungschef Michael Kretschmer (CDU) schlug in dieselbe Kerbe: „Die Corona-Notbremse ist von allen Ländern konsequent anzuwenden. Das haben wir vereinbart, und das erfordern die dramatisch steigenden Infektionszahlen.“

Negative Schnelltests zur Voraussetzung für Öffnungen zu machen sei zwar richtig – sie seien aber kein „Allheilmittel“, so der Regierungschef. „Eine große Verbreitung von Corona in der Bevölkerung überfordert die Krankenhäuser und verlängert den Weg zu Öffnungen, Gastronomie und Urlaub. Der Blick in unsere Nachbarstaaten zeigt, wie hoch die Inzidenz steigen kann und welche harten Einschränkungen dann nötig werden.“

„Letzte Chance für MPK, Sinnhaftigkeit zu beweisen“

Im Bundestag sieht man das unkoordinierte Vorgehen der Länder in der Pandemiebekämpfung eher mit Skepsis. So plädiert SPD-Fraktionsvize Bärbel Bas dafür, die geplanten Modellprojekte für Öffnungsschritte wieder abzusagen: Es bestehe die Gefahr, „dass sich alle zur ,Modellregion‘ erklären wollen und damit die Welle nicht gebrochen werden kann“.

Die AfD sprach mit Blick auf die Beschlüsse der Ministerpräsidentenkonferenz mit der Bundeskanzlerin von „nicht nachvollziehbarem Regulierungswirrwarr“ und plädierte für eine Abschaffung der Runde.

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Die gesundheitspolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Karin Maag (CDU), mahnte bundeseinheitliche Lösungen zum Beispiel beim Thema Ladenöffnungen an, um möglichen Reiseverkehr zwischen den Regionen zu vermeiden. „Dafür könnte auch eine weitere Ministerpräsidentenkonferenz angesetzt werden.“ Das wäre aus Maags Sicht „die letzte Chance für die Ministerpräsidentenkonferenz, ihre Sinnhaftigkeit zu beweisen“.

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