Eigentlich hätten die Fußballer der deutschen Mannschaft bereits stutzig werden müssen, als sie vor dem Anpfiff die Nordmazedonier neben sich ihre Hymne haben singen hören: nicht schön, aber umso inbrünstiger. Und genau so haben sie dann auch gespielt.
Man hatte ja irgendwie gedacht, Ilkay Gündogan und den Seinen gelingt zurzeit alles. Der 30-Jährige spielt bei Manchester City in der Form seines Lebens, schießt dort Tore am Fließband und ist am Mittwochabend für die deutsche Nationalmannschaft sogar als Kapitän aufgelaufen. Ausgerechnet zu diesem Anlass allerdings erlaubte sich das Nationalteam nach zwei Siegen zu Beginn der WM-Qualifikation im dritten Spiel binnen sieben Tagen eine eklatante Schwäche und verlor gegen den Weltranglisten-65. Nordmazedonien mit 1:2 (0:1). Das ist ein kapitaler Rückschlag zu einem Zeitpunkt, als die Mannschaft nach einem 3:0 gegen Island und einem 1:0 in Rumänien ihr Spanien-Trauma aus dem vergangenen November längst überwunden zu haben schien.
„Die ersten beiden Spiele waren eine gute Basis“, sagte Bundestrainer Joachim Löw im Anschluss, „das Ziel waren neun Punkte. Dass wir das aus der Hand gegeben haben, haben wir uns selber eingebrockt. Die Enttäuschung ist riesengroß.“ Ilkay Gündogan fand noch deutlichere Worte als sein Coach: „Fakt ist, dass das nicht passieren darf. Das ist nicht unser Anspruch, und es ist nicht zu erklären.“
Nachdem der 37 Jahre alte Goran Pandev die galligen Gäste in der Nachspielzeit der ersten Halbzeit 1:0 in Führung gebracht hatte, gelang Gündogan per Foulelfmeter (63.) der Ausgleich. Fünf Minuten vor Schluss folgte der finale Schock. Der zuvor mühsam erarbeitete Flow ist damit wieder hinfällig. Dabei hätten sie ihn doch so gern bis Juni durchgebracht. Dann beginnt nämlich die Europameisterschaft. Die Zeit bis dahin ist auch ein Countdown für den Bundestrainer Joachim Löw, aber „Wehmut“, hatte er zuvor gesagt, „schwingt noch keine mit“. Dabei wäre es kein schlechter Anlass gewesen für ein bisschen Wehmut, denn es war Löws letztes WM-Qualifikationsspiel. Das nächste ist erst im September.
Ein Handspiel von Can wird nicht geahndet
Löw hat deshalb beim Personal nichts Verrücktes angestellt, wenn man mal von einem freiwilligen Torwartwechsel von Manuel Neuer zu Marc-André ter Stegen absieht. Der Torwart vom FC Barcelona war neben Robin Gosens der einzige Neue in der Startelf. Gosens übernahm den linken Außenposten in der Viererkette. Dafür rückte Emre Can neben Antonio Rüdiger in die Innenverteidigung und Matthias Ginter nach rechts außen. Bevor es losging, setzte die Mannschaft erst noch ihre Serie von Aktionen zur Mahnung der Menschenrechte fort. Sie entrollten ein Plakat „Wir für 30“ zur Erinnerung an die 30 Artikel der diesbezüglichen „Allgemeinen Erklärung“.
Sie wollten sich dann aber auch nicht lange aufhalten, weshalb Leon Goretzka nach neun Minuten den ersten Torschuss absetzte. Dass er nur die Latte traf verwunderte umso mehr, als auf der Tribüne hinter dem Tor in riesigen Buchstaben „Ein Ziel“ geschrieben stand. Die Buchstaben waren in Schwarz, Rot und Gelb gehüllt und zielten wohl auf Größeres ab.
Mit hartnäckigen Mazedoniern hatten nicht nur die deutschen Spieler ihre Probleme – auch der Schiedsrichter Sergei Karasev. Sie rückten dem Russen nach unvorteilhaften Entscheidungen derart zuleibe, dass er ihnen mit einem mehrfach wiederholten „Stay away!“ Abstand befahl. Ihr unbequemes Spiel änderten sie nicht und wurden kurz vor der Pause zudringlich, als ter Stegen eine scharfe Hereingabe gerade noch mit dem Oberarm parierte. Fünf Minuten später war er machtlos, als Pandev eine Hereingabe aus kürzester Distanz mühelos über die Linie drückte.
In der zweiten Halbzeit hinter dem anderen Tor wiesen keine Großbuchstaben mehr aufs Ziel hin. Das erleichterte die Angelegenheit aber auch nicht, so dass sich Löw in der 56. Minute zu zwei Wechseln entschied: Timo Werner und Amin Younes sollten die Torgefahr erhöhen. Es war allerdings Leroy Sané, der sechs Minuten später im Strafraum nur durch ein Foul zu bremsen war und Gündogan die Gelegenheit eröffnete, in der 63. Minute per Foulelfmeter zum 1:1 auszugleichen.
Eine Viertelstunde vor Schluss hatte die deutsche Mannschaft Glück, dass ein Handspiel von Can nicht mit einem Elfmeter geahndet wurde. Noch dramatischer wurde es in der 80. Minute, als Werner eine Gündogan-Vorlage neben das Tor schoss. Torwahrscheinlichkeit hier ungefähr: 101 Prozent. Die Strafe folgte auf dem Fuß: Eljif Elmas schoss Nordmazedonien in der 85. Minute zum 2:1-Sieg.
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