Österreich bemühte sich im Konflikt über die Verteilung von Impfstoff in der Europäischen Union am Mittwoch sichtlich um Schadensbegrenzung. Von der zuvor bekannt gewordenen Drohung, die Bestellung neuer Impfstoffe zu blockieren, solange Österreich nicht mehr Dosen bekomme, wollten Diplomaten nichts wissen. Das Wort „Veto“ sei nie gefallen, betonten sie.
Der Vertreter Österreichs im zuständigen EU-Ausschuss („Steering Committee“) habe am vergangenen Freitag nur auf das Offensichtliche hingewiesen, dass die EU nun zunächst einmal über die Verteilung der zehn Millionen Impfdosen von Biontech/Pfizer reden müsse, die die Europäische Kommission zusätzlich für das zweite Quartal organisieren konnte, und sich erst dann um die verbleibenden, für das zweite Halbjahr angekündigten 90 Millionen Dosen aus dieser Bestellung kümmern könne.
„Seine Drohung ist leer“
Alles ein großes Missverständnis also? Diplomaten anderer Staaten stellten die Lage etwas anders dar. Dort hieß es weiter, Bundeskanzler Sebastian Kurz habe den vor drei Wochen von ihm angezettelten Konflikt schon am Tag nach dem Videogipfel der Staats- und -Regierungschefs gezielt weiter eskalieren lassen. Der österreichische Vertreter habe am Freitag, dem Tag nach dem Gipfel, sehr wohl mit einer Blockade von neuen Bestellungen gedroht, um mehr Dosen für sein Land zugeteilt zu bekommen als eigentlich vorgesehen. Dabei sei es um weitere 100 Millionen Dosen von Biontech/Pfizer gegangen, die die EU-Kommission bis Mitte April bestellen konnte, für die sie aber bis dahin nur eine Option ausgeübt hatte. In der Zwischenzeit sei allerdings auch den Österreichern klargeworden, dass sie diese Bestellung rechtlich nicht blockieren könnten, weshalb sie jetzt mit aller Kraft zurückgerudert seien, sagten Diplomaten.
Der vorsorglich befragte Juristische Dienst des Ministerrats hatte zu Protokoll gegeben, kein Staat könne eine Impfstoffbestellung durch die Kommission per Veto verhindern. „Kurz hat sich unter den EU-Partnern unbeliebt gemacht – und seine Drohung ist leer“, sagte ein EU-Vertreter. Kurz hatte schon auf dem Videogipfel am vergangenen Donnerstag gefordert, dass sein Land sowie diverse Staaten, die unterdurchschnittlich viel von Biontech/Pfizer bestellt hatten, mehr als den bisher vorgesehenen Anteil von den zehn Millionen Dosen erhalten. Er hatte das damit begründet, dass diese Länder bisher weniger Impfstoff als andere bekommen hätten.
Das liegt indes an ihrem eigenen Bestellverhalten. Grundsätzlich ist vorgesehen, dass jeder Staat abhängig von seiner Bevölkerungszahl Anspruch auf Impfdosen hat. Vor allem einige ärmere Länder, unter ihnen Bulgarien, Kroatien, Slowenien, Lettland und die Tschechische Republik, die den Vorstoß von Kurz unterstützten, haben von den teureren Vakzinen vor allem von Biontech/Pfizer und Moderna wenig oder gar nichts bestellt.
Geteiltes Echo
Die meisten von Kurz’ Amtskollegen hatten seinen Vorstoß deshalb abgelehnt. In der Schlusserklärung des Gipfels ist festgehalten, dass der Impfstoff je nach Bevölkerungsanteil unter den Mitgliedstaaten verteilt werden soll. Allerdings heißt es auch, dass die Verteilung der Impfstoffe im Geiste der „Solidarität“ erfolgen solle. Das wurde allgemein so verstanden, dass zumindest die EU-Staaten, die beim Impfen klar unter dem Durchschnitt liegen, einen etwas höheren Anteil an den Impfstoffen bekommen sollten. Österreich, das in der Impfstoffversorgung im Durchschnitt liegt, sollte hingegen leer ausgehen.
Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft schlug nun am Mittwoch einen Kompromiss vor: Sieben Millionen der vorgezogenen zehn Millionen Dosen von Biontech/Pfizer sollten wie bisher vorgesehen nach Bevölkerungszahl unter den Staaten verteilt werden. Der Rest sollte den schlecht versorgten Ländern zugutekommen. 2,86 Millionen Dosen sollten Kroatien, Estland, Lettland, die Slowakei und Bulgarien untereinander aufteilen. Die verbleibenden 140.000 Impfdosen sollte die Tschechische Republik bekommen, die ihren Anteil von Biontech/Pfizer abgerufen hat, nicht aber an anderen Impfstoffen.
Bei der Aussprache unter den EU-Botschaftern am Mittwoch stieß der Vorschlag auf ein geteiltes Echo. Zahlreiche Mitgliedstaaten hätten eine Neuverteilung von mehr als ein oder zwei Millionen Impfdosen abgelehnt, hieß es am Abend. Gescheitert sei die Einigung aber am Widerstand von drei Ländern, die mehr für sich herausholen wollten, sagten EU-Diplomaten: der Tschechischen Republik, Österreich und Slowenien, das Kurz unterstützt hatte, aber nach dem Kompromissvorschlag der Portugiesen ebenfalls leer ausgehen sollte. Die verbleibenden Delegationen würden sich nun mit ihren Hauptstädten beraten, ob sie sich dem entstehenden EU-Konsens anschließen könnten, sagte ein Diplomat. Ziel sei es, sich an diesem Donnerstag zu einigen.
Aus dem österreichischen Bundeskanzleramt hieß es nur, es sei gut, dass mit dem Solidaritätsmechanismus die Ungleichheit bei der Beteiligung gelöst werden solle. Druckmittel habe Österreich nach der Posse um die Blockade keine mehr, betonten Diplomaten. Sollten sich die Staaten nicht einigen, würden die zehn Millionen nach dem bisherigen Schlüssel verteilt. Dann müsse Kurz den betroffenen Staaten erklären, warum er den von ihm geforderten Solidaritätsmechanismus blockiert habe.
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