Der Umstand als solcher wurde zwar mehrfach beschrieben: Während der Corona-Pandemie hat sich der Glaube an Verschwörungsmythen ausgebreitet und findet sich bei der großen Mehrheit derer, die gegen die Schutzmaßnahmen demonstrieren.
Aber wenig erforscht war bisher, wo die Anhänger jenes Glaubens politisch stehen und von welchen Werthaltungen sie geprägt sind. Aufschlüsse dazu gibt jetzt eine noch unveröffentlichte Studie, die WELT vorliegt und für die mehr als 2000 repräsentativ ausgewählte Personen in Deutschland online befragt wurden.
Deutlich wird, dass Anhänger von Corona-Verschwörungsmythen sich politisch vornehmlich auf der rechten Seite des Spektrums einordnen und Werten des Universalismus sowie der Regeltreue meist ablehnend gegenüberstehen.
„Glauben Sie solche Geschichten?“
Bei der Befragung, die während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 stattfand, identifizierten der Politologe Tobias Spöri (Uni Wien) und der Sozialwissenschaftler Jan Eichhorn (Uni Edinburgh) die Anhänger von Verschwörungsmythen anhand der Zustimmung zu dieser Aussage: „Die sozialen Medien sind voll von Geschichten, die behaupten, die Corona-Pandemie sei ein einziger Schwindel und die Schutzmaßnahmen eine hysterische Überreaktion. Glauben Sie solche Geschichten?“
Als „absichtlich sehr eindeutig formuliert“ bezeichnen die Autoren diese Aussage. Sie zielt auf den festen Glauben an ein Lügensystem und lässt keinen Raum dafür, dass jemand bloß Skepsis gegenüber dem wissenschaftlichen Konsens und dem Regierungshandeln hegt.
Der „Schwindel“-Aussage stimmten bei der Befragung durch das Institut Bilendi 14,4 Prozent zu. Die Charakteristika und Überzeugungen dieser Menschen wurden anhand weiterer Fragen bestimmt.
Dabei ergab sich in der Studie, die im Rahmen des Werteforschungsprojekts „Values in Crisis“ mehrerer Universitäten und des Thinktanks dpart entstand, dass sich der Verschwörungsglaube vorwiegend bei Menschen findet, die sich als „rechts“ bezeichnen. Von denen, die die Corona-Pandemie für ein Lügenkonstrukt halten, sehen sich 28 Prozent als „rechts“, gut 17 Prozent als „Mitte-rechts“.
Hingegen beträgt der Anteil der Verschwörungsgläubigen, die sich „links“ einordneten, knapp neun Prozent. „Die medial oft kolportierte Behauptung, dass auch Menschen, die sich selbst dem linken Rand zuordnen, vermehrt zu Corona-Verschwörungsmythen neigen“, so die Autoren, „kann durch diese Untersuchung nicht bestätigt werden.“
Nur knapp acht Prozent der Verschwörungsanhänger insgesamt waren über 65 Jahre, aber 18 Prozent zwischen 35 und 44 Jahre alt. Knapp 30 Prozent waren noch jünger. „Menschen, die eine formal höhere Bildung aufweisen und Teil der oberen Einkommensschichten sind, glauben seltener, dass die Covid-19-Pandemie eine Verschwörung sei“, heißt es in der Studie.
Auch ein Stadt-Land-Unterschied lässt sich nachweisen: Von den befragten Großstädtern bejahten 11,8 Prozent die Aussage zu der angeblichen Corona-Verschwörung. Im ländlichen Raum waren es knapp 18 Prozent. An jene Mythen glauben gut 26 Prozent der befragten Thüringer und mehr als 22 Prozent der Sachsen, aber nur knapp zehn Prozent der Bayern. Indes: In Baden-Württemberg, dem Stammland der „Querdenker“, sind es 20 Prozent.
Sozialen Netzwerken wird mehr vertraut als anderen Medien
Wie schon in anderen Befragungen ist beim Glauben an eine Corona-Verschwörung keine statistische Signifikanz bei der Frage erkennbar, ob jemand durch die Schutzmaßnahmen familiär oder beruflich betroffen ist. Auffällig aber ist die Korrelation mit der Mediennutzung. Von denen, die Corona für „Schwindel“ halten, setzen nur sechs Prozent das größte Vertrauen in traditionelle Informationskanäle. Hingegen vertrauen 43 Prozent der Verschwörungsanhänger „Social Media“ mehr als anderen Medien.
Besonders bemerkenswert sind die Befunde zu den Grundhaltungen der Verschwörungsgläubigen. Die Forscher wollten wissen, welche Werte ihnen wichtig sind, und legten den Befragten typisierte Beschreibungen von Personen vor, die für bestimmte Grundhaltungen stehen.
Dabei bekundeten Anhänger von Verschwörungsmythen eine deutliche Aversion gegen die Werthaltung des Universalismus, der sich etwa in der Ansicht zeigt, „dass alle Menschen auf der Welt gleich behandelt werden sollten“. Die Ablehnung oder gar „starke Ablehnung“ dieser Haltung bekundeten insgesamt mehr als 38 Prozent derer, die Corona für einen „Schwindel“ halten.
Ähnlich ist es bei der Konformität, wo es um Selbstdisziplin geht und darum, dass man sich korrekt verhält und Regeln auch dann befolgt, wenn niemand zusieht. 36 Prozent der Verschwörungsgläubigen lehnen diese Haltung ab, 22 Prozent sogar „stark“.
Zwar ergab sich keine Signifikanz bei der Frage, welche grundlegende Werthaltung sie besonders bevorzugen. Hier gibt es nach Auskunft der Autoren eine große Bandbreite. Aber die statistischen Effekte der Ablehnung von Universalismus und Konformität seien „sehr robust“.
Als plausibel erscheint dies insofern, als jene Mythen offenbar vor allem bei politisch rechts Stehenden zu finden sind. Ausgeprägt rechtes Denken ist von erheblichen Vorbehalten gegenüber universalistischen Werten geprägt und heutzutage – anders als im Konservatismus – weniger von Regeltreue als von Rebellionsaffinität geprägt.
Offen bleibt, worin genau die Attraktivität des Verschwörungsdenkens für jene Menschen besteht. Spekulieren lässt sich, dass die Mythen eine Abwehrfunktion erfüllen. Denn wer Corona für einen „Schwindel“ hält, muss in der Pandemie nicht machen, was manche Leute offenbar sehr ungern tun: auf alle anderen im Gemeinwesen Rücksicht nehmen und sich an Regeln halten.
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