In einer Tischlerei am Rand der Stadt Pittsburgh, vor Regalen mit Werkzeugen und Baumaterialien, verkündete Joe Biden, dass er Amerika reparieren will. „Es ist höchste Zeit, unser Land instand zu setzen“, sagte der US-Präsident am Mittwoch in seiner ersten großen wirtschaftspolitischen Rede seit Amtsantritt. „Straßen, Brücken, Stromleitungen – unsere Infrastruktur ist in einem desolaten Zustand.“ In den kommenden acht Jahren will Biden zwei Billionen Dollar ausgeben, um das zu ändern.
Der Ort der Rede war gut gewählt. Noch vor wenigen Jahren sah Pittsburgh wie eine post-industrielle Apokalypse aus. Die Fabriken, die hier einst Stahl für das ganze Land produzierten, schlossen und verrotteten, weil die Herstellung in Asien billiger geworden war. Doch nun erlebt die Stadt eine ökonomische Wiedergeburt. Sie verwandelt sich in einen Tech-Hub. Firmen und Universitäten forschen hier heute an selbstfahrenden Autos, Robotern und Medizintechnik.
Pittsburgh ist das vielleicht beste amerikanische Beispiel dafür, wie sich eine Metropole ändern kann. Die alte Industriehochburg symbolisiert damit genau Bidens Ziel: die Sanierung der USA.
In seiner Rede kündigte Biden an, 620 Milliarden Dollar in Amerikas Verkehrsnetz zu investieren. Denn überall im Land bröckelt, wankt und splittert es. Fast jede zweite Straße ist löchrig, wie Daten des Ingenieursverbands ASCE zeigen. 230.000 Brücken haben das Ende ihrer Lebensspanne erreicht. Auch Schienen, Schleusen und Staudämme müssen dringend repariert werden.
Ökonomen unterstützen Bidens Plan. „Unsere Infrastruktur zerfällt“, sagt Neil Bradley von der amerikanischen Handelskammer. „Wir brauchen ein mutiges Programm, um das Land zu modernisieren.“ Er sei froh, dass mit Biden endlich ein US-Präsident das Thema Infrastruktur zur Priorität erkläre.
50.000 Dieselloks und Dieselbusse will Biden durch elektrische Modelle ersetzen
Zugleich plant Biden die Elektro-Revolution: In Pittsburgh versprach er, landesweit eine halbe Million Ladesäulen für Batterieautos errichten zu lassen. Das Netz soll so dicht werden, dass man vom Atlantik an den Pazifik fahren kann, eine Strecke von mehr als 4000 Kilometern, ohne liegenzubleiben. Außerdem kündigte Biden an, den Nahverkehr umweltfreundlicher zu gestalten und 50.000 Dieselloks und Dieselbusse durch elektrische Modelle zu ersetzen. All das wird laut dem Präsidenten 170 Milliarden Dollar kosten – und der US-Wirtschaft helfen, bis 2050 klimaneutral zu sein.
Jeweils weitere 100 Milliarden Dollar will Biden in ein schnelleres Internet, eine bessere Trinkwasserversorgung und ein zuverlässigeres Stromnetz investieren. Auch dafür scheint es höchste Zeit. Erst Mitte Februar gab es einen großen Blackout in Texas. Mehr als fünf Millionen Bürger mussten ohne Licht und Wärme auskommen, manche tagelang. Und in anderen Bundesstaaten ist das Netz kaum besser. 2017 blieb laut der US-Statistikbehörde landesweit durchschnittlich fast acht Stunden lang die Elektrizität weg, 2018 knapp sechs Stunden. Für 2019 und 2020 liegen noch keine Daten vor. Zum Vergleich: Die Deutschen mussten 2018 nur 13 Minuten und 20 Sekunden lang auf Strom verzichten.
In der Tischlerei in Pittsburgh lobte Biden sein eigenes Programm mit pathetischen Worten. „Das Leben aller Amerikaner“, sagte er, „wird sich verbessern“. Er erwarte ein „historisches Wirtschaftswachstum“. Später rief Biden dem Publikum zu: „In 20 Jahren wird man auf den heutigen Tag zurückblicken und urteilen, dass dies der Moment war, in dem Amerika die Zukunft eroberte.“ Und einmal verglich Biden sein Infrastrukturpaket sogar mit der Mondlandung: „Wir beweisen erneut, „dass Amerika alles erreichen kann, wie damals im Weltraum.“
Aber sind seine geplanten Investitionen – 620 Milliarden Dollar für Straßen, Schienen und Brücken, 170 Milliarden für Elektroautos, je 100 Milliarden für Internet, Wasser und Strom – genug? Es sieht nicht so aus. Der Ingenieursverband ASCE schätzt, dass Investitionen in Höhe von 2,6 Billionen Dollar nötig sind. Aber Bidens Plan ist ein Anfang. Seine Vorgänger Barack Obama und Donald Trump investierten kaum in die Infrastruktur ihres Landes. Nun, mit Biden, scheint es immerhin in die richtige Richtung zu gehen.
Zusätzliches Geld ist für Gesundheit, Bildung und den Kampf gegen Armut vorgesehen. Und schon in wenigen Wochen will Biden weitere Investitionen in diesen Bereichen ankündigen. Es wird erwartet, dass der Präsident zum ersten Mal in der Geschichte der USA ein dauerhaftes Kindergeld einführt. Bisher ist diese Maßnahme als Hilfe in der Corona-Krise gedacht und auf ein Jahr befristet.
Biden will Unternehmenssteuer auf 28 Prozent anheben
Die Kosten für beide Pakete zusammen betragen rund vier Billionen Dollar und könnten die größten Eingriffe in die US-Wirtschaft seit 85 Jahren darstellen, seit der Ära des New Deal, als Präsident Franklin Roosevelt ein großes Programm gegen die Weltwirtschaftskrise auflegte. Die Corona-Krise, der Klimawandel und die Einsicht, dass Amerikas Infrastruktur veraltet ist, scheinen Biden das Momentum für umfassende Reformen zu geben.
Finanzieren will er alles mit einer großen Steuererhöhung. Trump hatte Ende 2017 die Unternehmenssteuern gesenkt, von 35 auf 21 Prozent. Nun will Biden sie auf 28 Prozent anheben. Zudem kündigte der Demokrat an, Steuervergünstigungen für Öl- und Gaskonzerne zu streichen. Und auch die Bürger sollen mehr zahlen. Aber nur jene, die über 400.000 Dollar im Jahr verdienen, das sind die Top-Zwei-Prozent der Bevölkerung. Eine derart weitreichende Steuerreform hatte seit Bill Clinton im Jahr 1993 kein Präsident mehr gewagt.
Die Steuererhöhung ist ein zentraler Punkt in Bidens ökonomischer Agenda, sozusagen das Herz der „Bidenomics“. Der Demokrat hatte im Wahlkampf versprochen, Trumps Reform am „ersten Tag im Weißen Haus“ rückgängig zu machen. Tatsächlich werden die neuen Regeln vermutlich erst im kommenden Jahr gelten. Biden hofft, dass sich die US-Wirtschaft bis dahin weitgehend von der Corona-Krise erholt hat.
Aber die Steuererhöhung könnte es schwierig machen, das Paket durch den US-Kongress zu bringen. Denn die Republikaner sind strikt dagegen. Vor allem im Senat dürften die Verhandlungen zäh werden. Dort haben die Demokraten nur eine hauchdünne Mehrheit. Und einige moderate Politiker der Partei sprachen sich bereits gegen Bidens Pläne aus.
Auch die US-Handelskammer ist gegen die Erhöhung der Unternehmenssteuern. Sie fürchtet, dass dies den Aufschwung stoppt, den Amerika gerade erlebt. Die Plattform Americans for Tax Fairness hingegen lobt Bidens Vorhaben. „Es ist richtig, dass die Firmen für die Sanierung unserer Infrastruktur zahlen“, sagt Chef Frank Clemente, „schließlich profitieren sie ja selbst davon“.
Antworten