Plötzlich Verlierer – dieser Report zeigt, wie schwach Deutschland wirklich ist

Auf Kritik an der Krisenbewältigung reagiert die Bundesregierung in diesen Tagen mit der immer gleichen Antwort. Deutschland sei vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen, andere Nationen stünden ökonomisch viel schlechter da.

Die Selbstdiagnose mag für den ersten Teil der Corona-Krise richtig sein, für die zweite Stufe der Pandemie, in der es darum geht, das Land für die Zukunft zu wappnen, gilt das offensichtlich nicht mehr. Da lässt sich die relative Schwäche Deutschlands in der Krisenbewältigung nicht mehr leugnen.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat der Bundesregierung nun ein sehr schlechtes ökonomisches Zwischenzeugnis ausgestellt. Während die IWF-Experten in ihrer Frühjahrsstudie ihre Wachstumsprognosen für die meisten Länder kräftig angehoben haben, sind sie für Deutschland für dieses Jahr nicht besonders optimistisch.

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Sie rechnen für 2021 mit einem Zuwachs beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von mageren 3,6 Prozent. Das ist zwar 0,1 Prozentpunkte mehr als die IWF-Ökonomen noch vor drei Monaten vorhergesagt hatten.

Allerdings ist Deutschland bei der Wirtschaftsdynamik damit das Schlusslicht unter den wichtigen Volkswirtschaften. Für die USA wurden die BIP-Prognosen gleich um 1,3 Prozentpunkte angehoben, für Italien um 1,2 Prozentpunkte, für Indien um einen Prozentpunkt und für China und Frankreich um 0,3 Prozentpunkte.

Nicht nur bei der Dynamik sieht es für Deutschland mau aus. Auch bei der bloßen Wachstumszahl von 3,6 Prozent findet sich Deutschland im Flaggschiff-Report des IWF auf den hinteren Rängen wieder. Lediglich Japan trauen die Ökonomen mit einem Plus von 3,3 Prozent noch weniger Wachstum für dieses Jahr zu.

Quelle: Infografik WELT

Das Plus von 3,6 Prozent für Deutschland für dieses Jahr wäre keineswegs historisch. 2010 und 2011, den beiden Jahren nach der Finanzkrise, lag das Wachstum hierzulande mit 4,2 beziehungsweise 3,9 Prozent deutlich höher. Das ist insofern bemerkenswert, weil der IWF für die Weltwirtschaft historische Prognosen aufstellt.

So soll das globale BIP in diesem Jahr sechs Prozent wachsen, so stark wie seit Beginn der IWF-Aufzeichnungen im Jahr 1980 nicht. Noch in der Januar-Prognose waren die Ökonomen der 190 Länder umfassenden Organisation lediglich von 5,5 Prozent ausgegangen.

Auch für das kommende Jahr haben die IWF-Experten ihre Erwartungen angehoben. Sie rechnen damit, dass sich das Wachstum auf 4,4 Prozent verlangsamen wird, im Januar lag der Wert noch bei lediglich 4,2 Prozent. „Ein Ausweg aus dieser Gesundheits- und Wirtschaftskrise wird zunehmend sichtbar“, sagte IWF-Chefvolkswirtin Gita Gopinath bei der Vorstellung des Reports.

Auch für 2022 erwarten die IWF-Experten nur ein unterdurchschnittliches Wachstum von 3,4 Prozent. Die Regierung in Berlin dürfte anmerken, dass der BIP-Einbruch im Corona-Jahr hierzulande mit einem Minus von 4,9 Prozent moderater ausgefallen ist als in anderen Volkswirtschaften, entsprechend geringer sollte die Gegenbewegung ausfallen.

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Deutschland, Hamburg: Container Terminal in Hamburg. Getty ImagesGetty Images

Höhere Belastungen

Doch mit Blick auf Russland oder die USA bieten die IWF-Zahlen auch für diese Argumentation keinen Beleg. Im Gegenteil: Die US-Wirtschaft ist im vergangenen Jahr lediglich um 3,5 Prozent geschrumpft und sie dürfte in diesem Jahr trotzdem um 6,4 Prozent expandieren, so der IWF.

Auch wenn es die Experten des Währungsfonds nicht explizit ansprechen – Deutschland bekommt die Quittung für politisches Missmanagement. Der IWF spricht in seiner Analyse diplomatisch lieber von gefährlich divergierenden Volkswirtschaften, weil der Impffortschritt nicht in allen Ländern im gleichen Tempo voranschreite und die Politik unterschiedlich auf die Krise reagiere.

Tatsächlich liegt Deutschland beim Impffortschritt deutlich hinter anderen Ländern, vor allem auch hinter Großbritannien zurück. Der britischen Wirtschaft trauen die IWF-Experten ein Plus von 5,3 Prozent zu, 0,8 Prozentpunkte mehr als noch in der Januar-Prognose.

Quelle: Infografik WELT

Andere Experten sind noch pessimistischer für Deutschland als die Ökonomen des IWF. Der Durchschnitt der Vorhersagen diverser Bankhäuser verortet das deutsche BIP-Plus 2021 sogar nur auf 3,35 Prozent, wie eine Umfrage der Finanzagentur Bloomberg zeigt.

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Besonders der Vergleich zwischen Deutschland, der größten Volkswirtschaft Europas, und den USA, der größten Ökonomie der Welt, offenbart das ganze deutsche Debakel. Zum Jahresanfang rechneten die von Bloomberg befragten Prognostiker sowohl für Deutschland als auch die USA mit einem BIP-Zuwachs von vier Prozent.

Inzwischen hat sich eine massive Wachstumslücke aufgetan, rechnet der Konsens doch mit knapp sechs Prozent für die USA und eben nur noch 3,35 Prozent für Deutschland. Das ist umso überraschender, als nicht nur der wichtige deutsche Exportpartner Amerika kräftig wachsen sollte, sondern auch noch China. Für die deutsche Exportwirtschaft müsste das eigentlich ein ganz eigener Stimulus sein.

Quelle: Infografik WELT

Und tatsächlich rechnet auch der IWF damit, dass der globale Handel wieder deutlich an Fahrt gewinnt. Der Währungsfonds sieht eine Belebung um 8,4 Prozent.

Nach fast einer Dekade, in der die Handelsaktivitäten langsamer oder nur wenig schneller als das globale BIP gewachsen sind, einen Prozess, den manche Beobachter als De-Globalisierung beschrieben haben, könnte es nun wieder zu einer Beschleunigung der Globalisierung kommen. Denn auch 2022 soll der Handel deutlich schneller expandieren als die Wirtschaftsleistung.

Die Wachstumsschwäche von Deutschland hat geopolitische Konsequenzen. Schließlich fällt damit auch Europa im globalen Rennen der Wirtschaftssupermächte immer weiter hinter China und die USA zurück. Hat Amerikas Volkswirtschaft das Europa-BIP bereits im Jahr 2011 überholt, könnte China schon demnächst folgen. Für den Alten Kontinent, der einst angetreten war, um den weltweit innovativsten und wachstumsfreundlichsten Wirtschaftsraum zu gründen, wäre das ein weiterer Rückschlag.

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DWO Teaser 75 Jahre FINAL Adam S. Posen has been president of the Peterson Institute for International Economics since January 2013. Over his career, he has contributed to research and public policy regarding monetary and fiscal policies in the G-20, the challenges of European integration since the adoption of the euro, China-US economic relations, and developing new approaches to financial recovery and stability. He was one of the first economists to seriously address the political foundations of central bank independence and to analyze Japan's Great Recession as a failure of macroeconomic policy.

US-Topökonom

Bemerkenswert ist, dass der IWF, der in der ökonomischen Nachkriegsordnung ins Leben gerufen worden war, um globale Währungs- und Schuldenkrisen zu managen, jetzt indirekt zum Schuldenmachen aufruft. So ist das Wachstum der US-Schulden aufgrund der massiven Ausgaben für die Coronavirus-Hilfe keine große Sorge für den IWF, sagte IWF-Chefökonom Gopinath.

Amerika könne angesichts der niedrigen Zinsen die Schulden locker bedienen. Gopinath sagte, dass das jüngste US-Konjunkturpaket in Höhe von 1,9 Billionen Dollar die globalen Wachstumsaussichten verbessert habe und die Erholung in den USA ein paar Monate vor jener der Euro-Zone liege.

Auch die globale Rallye an den Börsen stuft der IWF nicht als Risiko ein. Zwar seien die Bewertungen der Aktien durchaus ambitioniert. Angesichts der Wachstumsbedingungen und der ultralockeren Geldpolitik könne die Rallye durchaus noch weitergehen.

„Wir befinden uns in einer weiteren Technologie-Revolution, ein bisschen wie im Jahr 1999“, sagte Tobias Adrian, Direktor Kapitalmärkte beim IWF. „Aber meine Vermutung ist, dass kurzfristig und vielleicht auch mittelfristig die finanziellen Bedingungen akkommodierend bleiben und die Märkte weiter boomen werden“, sagte Adrian.Auch auf diesem Terrain scheint Deutschland gnadenlos abgehängt.

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