Europas große Klimaziele beschämen China und die USA

Es war nach fünf Uhr am Mittwochmorgen, als sich die Verhandler endlich einigten. Dann stand der EU-Fahrplan für den Klimaschutz für die kommenden Jahrzehnte. Die Nacht hindurch hatten Vertreter des Europäischen Parlaments und der nationalen Hauptstädte zuvor verhandelt. Es war die letzte von vielen Sitzungen in den vergangenen Monaten. Schon zu Beginn der Marathonsitzung hatten die Beteiligten geflüstert, dass es garantiert eine Einigung geben würde. Denn die EU hatte kaum eine andere Wahl.

US-Präsident Joe Biden nämlich, der den Klimaschutz zu einem Schwerpunkt seiner Präsidentschaft machen will, hatte Europa von außen unter Druck gesetzt. Für Donnerstag und Freitag hat er einen zweitägigen virtuellen Klimagipfel anberaumt, an dem knapp 40 Staats- und Regierungschefs aus der ganzen Welt teilnehmen sollen. Neben Biden nehmen beispielsweise auch Chinas Präsident Xi Jinping, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen teil.

Europas Klimapolitik als Vorbild

Der Gipfel, den die Biden-Regierung „Earth Day Summit“ getauft hat, soll dafür sorgen, dass die wichtigsten Akteure im internationalen Klimaschutz sich bereits auf ambitionierte Ziele einigen, bevor sie sich im November zum UN-Klimagipfel COP26 in Glasgow treffen. Dass Biden einem COP26-Abkommen außerdem durch den Vorabgipfel seinen Stempel aufdrücken würde, ist aus Sicht des Weißen Hauses sicherlich ein positiver Nebeneffekt.

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Auf diesem Vorbereitungsgipfel aufzutauchen, ohne sich innerhalb der EU auf einen Fahrplan für den Klimaschutz zu einigen, wäre für die EU blamabel gewesen. Die Einigung in den Morgenstunden hat die Europäer davor bewahrt. Tatsächlich ist es vor allem die EU, die bei den Verhandlungen den Ton angeben könnte, denn sie verfolgt unter den großen Wirtschaftsblöcken derzeit die ambitioniertesten Ziele.

Bereits in den vergangenen Monaten hat Europas Klimapolitik für Nachahmer auf der ganzen Welt gesorgt: Die Übereinkunft der EU-Regierungen, bis 2050 der erste große Wirtschaftsraum der Welt zu sein, der klimaneutral wirtschaftet, hatte im Dezember 2019 schon für Aufsehen gesorgt. Andere Volkswirtschaften haben es Europa seitdem gleichgetan: Japan etwa, Südkorea und sogar das Schwellenland Südafrika.

Klimaneutralität wird Gesetz

Mit dem Klimagesetz, auf das sich die Vertreter von Mitgliedstaaten und EU-Institutionen am frühen Mittwochmorgen geeinigt haben, wird das Ziel, bis 2050 klimaneutral zu wirtschaften, tatsächlich verbindlich in Gesetzesform gegossen.

Das ist eine Festlegung mit Signalwirkung. Größter Streitpunkt vor und in den Verhandlungen war allerdings die Frage, wie schnell Europas Verbraucher und Unternehmen ihren Ausstoß an Klimagasen in den kommenden Jahren reduzieren sollen.

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Der für Klimafragen zuständige Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans hatte in seiner Gesetzesvorlage für das Klimagesetz gefordert, dass die EU ihre Treibhausgasemissionen bis zum Jahr 2030 um 55 Prozent gegenüber dem Niveau von 1990 senkt. Bislang hatten sich die EU-Mitglieder auf eine Reduktion von 40 Prozent verpflichtet. Auch die Mitgliedstaaten hatten sich diesem Ziel angeschlossen; das Europäische Parlament hatte allerdings eine Reduktion von 60 Prozent gefordert.

Bei den nächtlichen Verhandlungen einigten sich die drei Seiten jetzt auf das Minus von 55 Prozent. Zusammen mit dem Neutralitätsziel für 2050 hat die EU damit vor dem Earth Day die Messlatte auch für andere Länder sehr hoch gelegt. „Die EU hat mit ihrem starken Beschluss vorgelegt. Jetzt kommt es darauf an, dass auch die anderen großen Volkswirtschaften, allen voran die USA und China, ihre Klimaziele engagiert anheben“, sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) am Morgen nach der Einigung.

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Tatsächlich bleiben die Reduktionsziele der US-Regierung und der chinesischen Führung bislang hinter den europäischen Ambitionen zurück. „Die Einigung ist historisch“, sagt etwa Peter Liese. Der CDU-Politiker vertritt die christdemokratische EVP-Fraktion im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments. „Mit diesem Klimaschutzgesetz sind wir in jedem Fall ambitionierter als die USA.“

China und USA weniger ambitioniert

Der Biden-Regierung ist der Klimaschutz zwar wichtig, die Reduktionsziele, die dort derzeit diskutiert werden, wirken allerdings ehrgeiziger, als sie sind. Die USA, immerhin der zweitgrößte Treibhausgasverursacher der Welt, wollen zwar ebenfalls bis 2050 klimaneutral sein. Wie das Land dorthin kommen will, ist allerdings noch unklar.

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Bislang gibt es lediglich das Ziel, bis zum Jahr 2025 mindestens 25 Prozent weniger Treibhausgase auszustoßen als 2005. Im Gespräch ist zwar auch, dass es bis 2030 sogar 50 Prozent weniger sein sollen – allerdings auch wieder gemessen an dem Niveau von 2005. Der Haken daran: Gemessen an 1990, dem Jahr, das international als Referenzjahr für den Klimaschutz gilt und das die EU sich zum Maßstab nimmt, wären das nur 43 Prozent.

Auch die chinesischen Ambitionen verblassen gegenüber den europäischen. China verursacht inzwischen pro Kopf genauso viel Treibhausgase wie die EU.

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Zwar hat auch China zugesagt, künftig kohlenstoffneutral wirtschaften zu wollen, allerdings erst 2060, also zehn Jahre nach Europa. Zudem ist noch nicht klar, wie das Land die Reduktion bewerkstelligen will. Noch steigt der Ausstoß an Treibhausgasen und soll erst ab 2030 fallen.

Europas Politik – ein Rechentrick?

Kritiker der nächtlichen EU-Einigung warnen allerdings, dass auch Europas Klimaziele ehrgeiziger wirken, als sie es tatsächlich sind. „Für ein Selfie auf dem internationalen Podest mit US-Präsident Biden und Chinas Staatschef Xi Jinping wurde heute ein Klimagesetz durchgedrückt, das uns die Vorreiterrolle im Klimaschutz und der Wirtschaft der Zukunft nimmt“, sagt etwa Michael Bloss, der für die Grünen im Umweltausschuss des Europäischen Parlaments sitzt.

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Umweltverbände wie das Climate Action Network (CAN) stört etwa, dass zwar eine Reduktion von 55 Prozent bis 2050 vereinbart wurde – allerdings netto. Das bedeutet, dass in Europa in 30 Jahren durchaus noch Klimagase produziert werden können. Aber die Emissionen, die trotz aller Reduktionsbemühungen bleiben, sollen durch zusätzliche Wälder, Moore oder Graslandschaften, die CO2 binden, ausgeglichen werden. Experten sprechen von Kohlenstoffsenken.

Umweltschützer halten das für einen Rechentrick und verweisen darauf, dass die jetzt beschlossenen Pläne dafür sorgen, dass die Emissionen tatsächlich nur um knapp 53 Prozent sinken müssen. Die übrigen 2,2 Prozentpunkte zum Erreichen des 55-Prozent-Ziels kämen allein durch die zusätzlichen Kohlenstoffsenken zustande.

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