Julian Nagelsmann behält die Chance, seine Leipziger Phase mit einem Titel zu beenden und Florian Kohfeldt wird seinen Job in Bremen behalten. Das zum Charaktertest zweier Trainer hochstilisierte Pokal-Halbfinale zwischen Werder Bremen und RB Leipzig, in dem der künftige Münchner Coach Nagelsmann beweisen sollte, mit dem Herzen noch nicht bei den Bayern zu sein und Kohfeldt, dass er seine Spieler noch erreicht, war all die Zuspitzung wert, die es unter der Woche erfahren hatte. All die Dramatik, die man sich erträumt, wenn zwei Fußballwelten aufeinandertreffen – die strategisch organisierte, schnurgerade Blitzkarriere von RB Leipzig und die wechselhafte, handgemachte, gebrochene Biografie von Werder Bremen – sie bildete sich ab in einem epischen Kampf über 124 Minuten, der vor allem eines verdient gehabt hätte: ein volles, ausrastendes, kochendes, brüllendes Weserstadion.
Gewonnen hat am Ende die Macht des Faktischen. Wo Werder den aus dem Ruhestand zurückgeholten Philipp Bargfrede einwechseln musste, schickte Leipzig Emil Forsberg auf den Platz. Und Forsberg war es dann, der das 2:1 per eingesprungenem Volley für die Leipziger erzielte, in der Nachspielzeit der Verlängerung, als das Spiel längst ein Gemälde von Fußball geworden war, in wildesten Farben, in dem der Bremer Christian Groß mit heruntergerollten Stutzen seine letzte Energie in die Schlacht warf und die Leipziger wie Besessene das Bremer Tor berannten.
Alles, was vorher galt, die Leichtigkeit des Leipzigseins und die Last auf den Schultern der Bremer, vielleicht bald die Bundesliga verlassen zu müssen, alles hatte sich aufgelöst im verbissenen Kampf um jeden Ball. Für das Elfmeterschießen, welches dieses Spiel ebenfalls verdient gehabt hätte, war es zwei Minuten zu lang. Leipzig trifft im Finale in Berlin entweder auf Dortmund oder Kiel, Werder trifft kommende Woche wieder auf die Wirklichkeit im Abstiegskampf, Leverkusen kommt.
Dass Florian Kohfeldt auch dann noch Trainer von Werder Bremen sein wird, müsste schon zur Halbzeit festgestanden haben. Die sportliche Führung hatte ja jenseits des Ergebnisses ein paar eher weiche Kriterien aufgestellt für dieses Pokal-Halbfinale: Der Trainer sollte ein Team aufs Feld schicken, hatte Manager Frank Baumann verlangt, das „eine Reaktion“ zeigt, leidenschaftlich kämpft und den absoluten Willen auf den Platz bringt. Er wollte eine sichtbare Bestätigung für die Überzeugung der Vereinsführung, dass Trainer und Spieler noch eine Einheit sind, die auch nach sieben Bundesliga-Spielen in Serie in der Lage ist, den Abstiegskampf in der Bundesliga erneut erfolgreich zu überstehen. All das war in den ersten 45 Minuten schon zu sehen, aus denen Werder mit einem leidenschaftlich erkämpften 0:0 herausging – mit Chancen auf mehr.
„Florian wird Trainer bleiben. Wir glauben, dass wir in dieser Konstellation unser Ziel, den Klassenerhalt, auch erreichen können“, sagte Baumann dann am Abend noch offiziell beim Sender Sky. „Wenn die Mannschaft auch in den nächsten Spielen so auftritt, dann bin ich überzeugt, dass wir den Klassenerhalt schaffen“, sagte Baumann, wollte dem Trainer aber keine Jobgarantie über die Saison hinaus geben.
Bremen macht Leipzig das Spiel so schwer wie möglich
Die Bremer hatten ja schon vor diesem Spiel maximalen Druck aufgebaut auf Trainer und Team. Zwei Tage hatten sie Anfang der Woche darüber gebrütet, ob es mit Kohfeldt noch weiter gehen kann nach einer Negativ-Serie, wie sie dieser Verein noch nie erlebt hat – heraus kam ein Ultimatum für diesen Freitag. Dass sie nicht über Nacht besser Fußball spielen würden als in den letzten Wochen, als sie Niederlage an Niederlage reihte mit dem Tiefpunkt eines einer Selbstaufgabe gleichkommenden 1:3 bei Union Berlin, das war absehbar. Die Frage war, wie viel Leben in den Totgesagten noch steckt. Und ja, dead men are still walking.
Werder, mal wieder extrem geschwächt durch die Ausfälle von Toprak, Rashica und Friedl, warf alle Körperlichkeit in dieses Spiel, die der Kader hergibt. Kohfeldt bot drei Stürmer auf, dahinter ein kampfstarkes, aber eher defensives Mittelfeld und eine ihm weniger sympathische Viererkette. Das war sein persönlicher Beitrag, um den Leipzigern schlechte Laune zu machen. Und das gelang. Spielerisch unterlegen, verwickelten die Bremer ihren Gegner mit zunehmender Spieldauer in viele lästige Zweikämpfe, grätschten notfalls Ball samt Gegner ins Aus und wurden dafür von der Bank frenetisch gefeiert.
Leipzigs Angreifer Alexander Sörloth hatte zwar schon in der vierten Minute die Chance zur Führung, die Werder-Torwart Jiri Pavlenka stark parierte, aber dann wurde schnell klar: Ohne Schmerzen würden die Leipziger hier nicht nach Berlin laufen. Werder kam mit dem Mut der Verzweifelten sogar zu den besseren Chancen durch Josh Sargent (5. und 30. Minute) und Milos Veljkovic (38.). Und kurz vor der Pause pfiff Schiedsrichter Manuel Gräfe auch noch einen Elfmeter nach einem Kontakt zwischen Nordi Mukiele und Davie Selke, um ihn nach Ansicht der Videobilder wieder zurückzunehmen.
Mehr kann man von einer Mannschaft nicht erwarten, der es so schwerfällt wie einem Bär das Tanzen, Chancen zu kreieren. Weniger aber auch nicht, wenn es darum geht, eine schon wieder vollkommen verkorkste Saison durch eine Finalteilnahme zu verzaubern. Die Bremer, allen voran der oft gescholtene Angreifer Selke, zogen die Leipziger, die gewohnt sind, ihre Aufgaben spielerisch zu lösen, in ein Kampfspiel erster Güte hinein, hart und spannend, wie es die Produktwerbung für den DFB-Pokal verspricht.
Leipzig verpasst in der zweiten Halbzeit die frühe Entscheidung
Nach der Pause zogen Fans vor dem Weserstadion auf, sie brannten ein Feuerwerk ab. Auch die Bremer Anhänger hatten für diesen Abend noch einmal allen Frust über ihren durcheinander geratenen Verein bei Seite geschoben und sich hinter ihrem Team versammelt, ihre Liebe sickerte wie ein grün-weißer Fluss den ganzen Tag über in die sozialen Medien. Mehr lässt die Pandemie nicht zu – wer weiß, was sonst möglich gewesen wäre in einem ausverkauften Flutlichtstadion. So blieben die Leipziger zwar überlegen, hatten in der zweiten Halbzeit auch besseren Chancen, trafen Latte (Orban) und Pfosten (Olmo), aber eben nicht das Tor.
Das fiel dann in der Verlängerung, Hwang schoss es in der 93. Minute, einmal hatten die Leipziger es geschafft, den Stresslevel über das selbst für die an diesem Abend übermenschlich leidensfähigen Bremer zu heben, die sonst vor jeden Ball ein Bein zu stellen vemocht hatten. Es fühlte sich an wie die Entscheidung, die Bittencourt mit seinem Tor zum 1:1 kurz vor Ende der ersten Halbzeit der Verlängerung vertagte – bis Forsberg traf, in der zweiten Minute der Nachspielzeit der Verlängerung.
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