„Das war’s jetzt?“, will Hassel wissen. „Ja“, sagt Baerbock knapp

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock hat den Umgang mit ihrem eigenen Lebenslauf als „offensichtlich sehr schlampig“ bezeichnet und sich dafür entschuldigt. In der ARD-Sendung „Farbe bekennen“ sagte sie am Donnerstagabend, nach den mehrfachen Korrekturen ihres Lebenslauf gehe es nun darum, Vertrauen zurückzugewinnen.

Ihren Lebenslauf habe sie immer vor allem als „komprimierte Darstellung“ ihrer beruflichen Stationen und ihrer Verbindungen zu Vereinen und Organisationen gesehen. „Ich wollte alles andere als mich größer machen als ich bin“, sagte Baerbock.

Baerbock hatte auf ihrer Website unter Mitgliedschaften zunächst unter anderem die Transatlantik-Stiftung German Marshall Fund und das UN-Flüchtlingshilfswerk UNHCR aufgeführt. Später wurde die Seite geändert, die Überschrift lautet statt „Mitgliedschaften“ nun „Beiräte, (Förder-)Mitgliedschaften, regelmäßige Unterstützung“.

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Ob der Job als Kanzlerkandidatin für sie – eigentlich ja als „Perfektionistin“ bekannt – nach diesen Fehlern nicht offenkundig „eine Nummer zu groß“ sei, wollte ARD-Chefredakteurin Tina Hassel von Baerbock wissen. „Offensichtlich habe ich hier nicht genau genug hingeschaut“, gestand die Grünen-Frontfrau ein.

ARD-Chefredakteur Oliver Köhr ließ nicht locker. „Sie bewerben sich nicht um einen Nebenjob in einer Kneipe“, begann er. Sei das nun das Level an Professionalität, welches man von ihr, Baerbock, erwarten könne? „Wir lernen aus den Fehlern, die wir gemacht haben, um es in Zukunft besser zu machen“, entgegnete die Politikerin. Dazu sei auch das Wahlkampfteam noch einmal verstärkt worden.

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Die Journalisten wollten dann noch wissen, ob der Lebenslauf, so wie er jetzt stehe, endgültig korrekt sei. Erst versuchte Baerbock auszuweichen – doch Hassel ließ sie nicht: „Da kommt nichts mehr, das war‘s jetzt?“, hakte die Journalistin nach. Baerbocks knappes Versprechen darauf: „Ja.“

Annalena Baerbock

Annalena Baerbock, Kanzlerkandidatin und Bundesvorsitzende der Grünen
Quelle: dpa/Kay Nietfeld

Die Kanzlerkandidatur an ihren Co-Vorsitzenden Robert Habeck weiterzureichen kommt für Baerbock trotz der Turbulenzen der vergangenen Tage und stark sinkender Umfragewerte nicht infrage. „Dass Gegenwind kommen kann, war klar“, meinte die Grüne.

Sie finde es wichtig, zu Fehlern zu stehen und sich zu korrigieren. „Jeder Mensch macht Fehler im Leben.“ Sich nun zu verstecken oder zurückzuziehen, „das bin ich ganz und gar nicht“. „Robert Habeck und ich kämpfen gemeinsam.“ Sie habe für ihre Fehler schmerzlich bezahlt, das werde am aktuellen Deutschlandtrend für ARD und WELT deutlich.

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In der Erhebung schnitt Baerbock bei der Frage, wem die Deutschen bei einer Kanzlerdirektwahl ihre Stimme geben würden, deutlich schlechter ab als im Vormonat. Im Mai hatte Baerbock mit 28 Prozent im Vergleich der drei Kanzlerkandidaten die größte Unterstützung erhalten. Nun steht sie mit 16 Prozent an letzter Stelle. In der Direktwahlfrage schneidet Laschet mit 29 Prozent Zustimmung am besten ab; das sind acht Prozentpunkte mehr als im Mai. An zweiter Stelle steht mit 26 Prozent Olaf Scholz, der fünf Punkte hinzugewinnen konnte.

Nach Baerbocks Nominierung im April lagen die Grünen in Umfragen zeitweise vor der Union bei 28 Prozent. Im aktuellen Deutschlandtrend von Infratest Dimap steht die Partei nun hingegen bei 20 Prozent, die CDU/CSU bei 28 Prozent.

Baerbock will Ausgleich für Klimakosten und weniger Steuern für kleine Einkommen

Baerbock trat in dem ARD-Interview auch Darstellungen entgegen, ihrer Partei fehle es am sozialen Gespür. Zum Ausgleich für Belastungen beim Klimaschutz verwies sie auf den Vorschlag eines Energiegeldes, das nach dem Willen ihrer Partei pauschal pro Kopf an alle Bürgerinnen und Bürger ausgezahlt werden soll. Auch bei der Steuer wollten die Grünen Geringverdiener entlasten.

„Wir wollen bei Verkehr und Heizen eine ökologische Lenkungswirkung“, bekräftigte Baerbock einen Tag vor dem Bundesparteitag der Grünen die Forderung nach einem höheren CO2-Preis. Allerdings sei dies nicht nur eine grüne Forderung, sondern auch Politik der Bundesregierung, hob sie hervor. Der von ihr genannte künftig um 16 Cent höhere Spritpreis liege nur um einen Cent über dem, was auch Union und SPD beschlossen hätten.

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Kritik übte sie in diesem Zusammenhang an der Union: Es wundere sie schon, wenn diese zwar von mehr Klimaschutz rede, aber „ohne einen sozialen Ausgleich die Klimaziele schaffen will“. Die Grünen planten hierfür sowohl eine Senkung des Stompreises als auch das Energiegeld von etwa 75 Euro pro Person und Jahr, das beispielsweise an eine vierköpfige Familie auch viermal gezahlt werden solle.

Baerbock räumte ein, dass die Lage im ländlichen Raum, „wo kein Zug fährt“, anders sei als in Städten. Dies gelte es zu berücksichtigen und die Bedürfnisse der Menschen dort mit den Erfordernissen des Klimaschutzes „zusammenzubringen“. Die Probleme, die es dort mit Blick auf die Mobilität gebe, „genau das will ich ändern“, kündigte Baerbock an.

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„Wir wollen den Grundfreibetrag höher machen“, stellte die Grünen-Chefin weitere Entlastungen für Menschen mit niedrigen Einkommen in Aussicht. Zudem unterstütze ihre Partei die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro, „was die Union nicht will“. Im Gegenzug sollten für Wohlhabende der Spitzensteuersatz erhöht und auch große Vermögen stärker belastet werden.

Durch einen „Industriepakt“ wollten die Grünen Klimaneutralität in der Stahl- und Grundstoffindustrie unterstützen, sagte Baerbock weiter. Als weitere Bereiche für Investitionen nannte sie Bildung und Digitalisierung: „Wir müssen an den Schulen etwas ändern und im Verwaltungsbereich vorankommen.“ Dies alles seien die großen Zukunftsfragen.

Zu Forderungen aus ihrer Partei nach mehr Radikalität beim Klimaschutz, etwa einem Tempolimit von 100 auf Autobahnen, einer rascheren Abkehr vom Verbrennungsmotor oder einem weiteren Anstieg des CO2-Preises, mahnte Baerbock zur Zurückhaltung. „Es ist wichtig, alle Menschen in diesem Land zu erreichen“, hob sie hervor.

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Irgendwann fragte Hassel Baerbock noch, ob sie nicht die Sorge habe, dass die Grünen im Wahlkampf wieder als die Partei dastünden, die vor allem alles teurer machen und verbieten wolle. Baerbock flüchtete sich in Wahlkampfslogans – und endete mit dem Allgemeinplatz, man müsse „alle Menschen im Land erreichen“.

Am Ende der viertelstündigen Sendung wurde Baerbock schließlich gefragt, ob sie ihren Job als Parteivorsitzende abgeben wolle, sollten die Grünen nach der Bundestagswahl nicht Teil einer neuen Regierung werden. Baerbock vermied es, darauf zu antworten. Sie wolle das Land nach Corona besser machen. Wer welchen Job bekomme, darüber müssten die Wähler entscheiden.

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