Kurz nach seinen Plagiatsvorwürfen hat der österreichische Medienwissenschaftler und selbst ernannte Plagiatsjäger Stefan Weber klargestellt, dass er die Frage „allfälliger Urheberrechtsverletzungen“ in Annalena Baerbocks neuestem Buch „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“, das am 21. Juni im Ullstein Verlag erschien, für zweitrangig hält. Weber hat das Buch nach eigenem Bekunden mit der Plagiatssoftware Turnitin durchforstet und dabei zwölf „Plagiatsfragmente“ gefunden, von denen zunächst fünf in seinem Blog dokumentiert wurden. Weitere veröffentlichte er am Mittwoch. „Ich betone nachdrücklich, dass ich diese Arbeit aus wissenschaftlichem Interesse an der Textgenese durchführe und davon angetrieben bin, die Öffentlichkeit zu sensibilisieren, was die grassierende Copy&Paste-Kultur anbelangt.“
Weber, der als Lektor an der TU Wien und an der Universität Wien arbeitet, hatte der Deutschen Presse-Agentur gesagt: „Ich habe mich in das Thema Baerbock verbissen, weil da einiges zusammen- kommt.“ Der Anlass für die Überprüfung des Buches seien die Übertreibungen im Lebenslauf gewesen. „Der Anlass dafür, dass ich mich mit dem Lebenslauf beschäftigt habe, war die aufkeimende Diskussion um den Bachelorgrad von Frau Baerbock Anfang Mai“, sagte Weber.
Aus anderen Quellen Passagen übernommen
Tatsächlich hat Annalena Baerbock aus anderen Quellen Passagen übernommen und dabei erhebliche Fehler gemacht. So verlegt sie das Schengen-Abkommen auf das Jahr 1995. Es wurde aber 1985 geschlossen. Auch ist die Rede von Grenzkontrollen in der „EU“, 1985 war das noch die EG. Das Prespa-Abkommen zwischen Griechenland und Nordmazedonien aus dem Jahr 2019 wird auf den Herbst 2018 verlegt. Und ausgerechnet der Name des ermordeten Walter Lübcke ist nicht korrekt geschrieben.
Es geht um ein Buch, das offenbar mit heißer Nadel gestrickt ist. Das gibt Baerbock selbst in ihrer Danksagung zu erkennen. Ihrer Lektorin dankt sie für „kluges Lesen und präzise Überarbeitung – zumal mit der Entscheidung der Kanzlerkandidatur im April plötzlich alles ganz schnell gehen musste“, heißt es da. Entstanden ist das Buch aus Gesprächen mit dem Journalisten Michael Ebmeyer im Dezember 2020 und im Januar 2021. Das Manuskript selbst soll von Baerbock sein. In ihrem Nachwort nennt sie aber 15 Mitarbeiter, denen sie für „kritisches Gegenlesen und kluge Kommentare sowie Faktenchecks“ dankt. Darunter ist auch der Parteikollege Omid Nouripour. Der Ullstein Verlag gibt sich auf Anfrage der F.A.Z. zurückhaltend und bestätigt die Gespräche mit Ebmeyer. „Auf der Grundlage der Gespräche hat Frau Baerbock das Buch verfasst. Ansonsten äußern wir uns grundsätzlich weder zu vertraglichen Details noch zur Zusammenarbeit mit unseren Autoren“, erklärt eine Sprecherin des Verlags.
Allgemein bekanntes Wissen wiedergegeben
Veröffentlichungen, die erkennbar kein objektiver Beitrag zum wissenschaftlichen Diskurs sein wollen, kann man auch nach Auffassung von Rechtswissenschaftlern nicht an den strengen Regeln wissenschaftlicher Redlichkeit messen. Die Bonner Urheberrechtlerin Louisa Specht-Riemenschneider sagte der F.A.Z.: „Ein Urheberrechtsverstoß liegt nur dann vor, wenn Frau Baerbock Gedanken aus einem urheberrechtlich geschützten Werk übernommen haben sollte, ohne diese als Zitate gekennzeichnet zu haben oder in einem nicht erforderlichen Umfang. Natürlich sind nicht nur wissenschaftliche Werke urheberrechtlich geschützt, wenn sie aber lediglich allgemeines Wissen wiedergibt, ohne urheberrechtlich geschützte Texte zu übernehmen, ist das keine Verletzung des Urheberrechts.“
Am Dienstag hatte der Berliner Anwalt Christian Schertz im Auftrag der Grünen festgestellt, er könne „nicht im Ansatz eine Urheberrechtsverletzung erkennen, da es sich bei den wenigen in Bezug genommenen Passagen um nichts anderes handelt als um die Wiedergabe allgemein bekannter Fakten sowie politischer Ansichten“.
Gründe selbst schnell mit Plagiatsvorwurf bei der Hand
Allerdings waren die Grünen in der jüngsten Vergangenheit selbst schnell mit dem Plagiatsvorwurf bei der Hand, als sie dem Bundesinstitut für Risikobewertung ein „Behördenplagiat“ vorwarfen, weil es die Bewertung unabhängiger Studien zu Gesundheitsgefahren durch Glyphosat durch die Hersteller als „untauglich“ und „nicht relevant“ übernommen hatte. „Wenn das Abschreiben oder, wie die Behörde es nennt ,Integrieren von relevanten Textpassagen‘ angeblich so üblich ist, wieso wird es dann nicht wenigstens eindeutig gekennzeichnet, sondern stattdessen nach Kräften verschleiert?“, fragten die Grünen im Januar 2019.
Die Grünen, so ist aus Berlin und Potsdam – Baerbocks Wahlkreis – zu hören, sehen die Vorwürfe als Angriff auf deren Integrität und wollen einen fairen Wahlkampf führen. Die aus Brandenburg stammende Europaabgeordnete Ska Keller twitterte: „Es geht alleine darum, Leute fertig zu machen.“ Und die Landesvorsitzende der Grünen in Brandenburg, Julia Schmidt, teilte mit: „Ich möchte einen fairen Wahlkampf, in dem wir uns um die besten Inhalte streiten, und keine billigen Rufmord-Kampagnen mit haltlosen Plagiatsvorwürfen.“
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