US-Sanktionen gefährden Netz-Standards

US-Sanktionen gegen chinesische Firmen bedrohen die Arbeit internationaler Standardisierungsgremien. Dabei sollen gerade deren Standards die Marktmacht einzelner Konzerne oder Gruppen begrenzen. Angesichts möglicher US-Strafen sieht sich der finnische Netzausrüster Nokia nun gezwungen, seine Mitarbeit in der Open Radio Access Network Alliance (O-RAN Alliance) zu pausieren. Denn unter den 301 Mitgliedern sind zwei Firmen, die auf der US-Exportverbotsliste stehen.

Alle sechs Monate tauschen O-RAN-Mitglieder neue Spezifikationen aus, um kompatible Hard- und Software entwickeln zu können. Nokias Rechtsabteilung fürchtet nun, dass solche Kooperation als verbotenes Geschäft im Sinne der US-Sanktionen ausgelegt werden könnte. Bis das geklärt ist, stellt Nokia die Arbeit an. Das finanzielle Risiko ist einfach zu hoch.

„Nokias Verpflichtung zu O-RAN und der O-RAN Alliance bleibt stark. Wir waren der erste große Anbieter, der beigetreten ist“, sagte Nokia in einer Stellungnahme gegenüber LightReading, „In diesem Stadium pausieren wir einfach unsere Technik-Aktivitäten in der Alliance, weil einige Teilnehmer auf die US-Exportverbotsliste gesetzt worden sind. Es ist tunlich, der Alliance die Zeit zu geben, die Situation zu analysieren und eine Lösung zu finden.“

Die juristische Unsicherheit gefährdet nicht bloß die O-RAN Alliance, sondern alle internationalen Standardisierungs- und Kooperationsprojekte, vom Netzbetreiberverband GSMA und dem Mobilfunkstandardisierungsgremium 3GPP über die ISO bis zur International Telecommunications Union der UNO. Zu leicht könnte es passieren, dass einzelne Teilnehmer auf der Sanktionsliste der USA oder der Volksrepublik China landen, was die Zusammenarbeit zunichtemachen würde. Mit getrennten „westlichen“ und „östlichen“ Netz-Standards wäre aber auch niemandem gedient. Das würde Wettbewerb und Auswahl dezimieren, jedenfalls im „Westen“.

Offene Standards für Mobilfunk-Netze würden kleineren Firmen ermöglichen, in Wettbewerb mit den drei großen Anbietern Huawei, Ericsson und Nokia zu treten. Die notwendige Kompatibilität wird über Standards erreicht, die in internationalen Gremien ausgearbeitet werden, damit später die Standards international genutzt werden. Die Beteiligung chinesischer Unternehmen ist also nicht bloß möglich, sondern notwendig.

Während das 3rd Generation Partnership Project (3GPP) Mobilfunkstandards wie 5G festlegt, arbeitet die O-RAN Alliance daran, die 5G-Funknetz-Standards zu „desaggregieren“, also in kleinere Häppchen zu teilen. Das soll kleineren Firmen ermöglichen, sich auf bestimmte Teilleistungen zu spezialisieren, die mit Funknetzteilen anderer Hersteller kompatibel sind. Netzbetreiber wären nicht mehr gezwungen, alles aus einer (proprietären) Hand zu kaufen, und hätten mehr Spielraum bei Vertragsverhandlungen.

Nokia ist Gründungsmitglied der O-RAN Alliance, die 2018 durch eine Fusion des westlichen xRAN Forums (mit Beteiligung der Deutschen Telekom) mit der chinesischen C-RAN Alliance entstanden ist. Nach eigenen Angaben zählt Nokia zu den aktivsten Mitgliedern bei der Ausarbeitung der Interoperabilitätsstandards. Huawei, das seit 2019 auf der Exportverbotsliste der USA steht, beteiligt sich nicht an der O-RAN Alliance.

Doch im Juli haben die USA zwei andere, wesentlich kleinere Mitglieder auf die Exportverbotsliste gesetzt: Es handelt sich um die chinesischen Firmen Inspur und Phytium. Die beiden Firmen sollen versucht haben, US-Technik für die Streitkräfte der Volksrepublik China zu erwerben. Mit auf der Sanktionsliste eingetragenen Firmen dürfen US-Unternehmen keine Geschäfte treiben, sofern sie keine Ausnahmegenehmigung erwirkt haben. Nokia ist zwar ein finnisches Unternehmen, arbeitet aber auch mit US-Technik sowie in den USA.

Während der US-Netzbetreiber AT&T seine Mitarbeit nicht pausiert, teilt Ericsson Nokias Bedenken: „Die aktuelle Situation könne den Fortschritt innerhalb der O-RAN Alliance hemmen. Wir hoffen auf eine schnellstmögliche Lösung der Situation“, sagte Ericsson zu LightReading. Die Alliance selbst gibt an, mit ihren Teilnehmern daran zu arbeiten, „Legalität nach US-Recht“ herzustellen.


(ds)

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