Dass die Digitalpolitik in Deutschland gesäumt ist von Pleiten, Pech und Pannen, zeigte sich am Mittwoch auf eindrückliche Weise: Da musste das Bundeskanzleramt zerknirscht einräumen, dass der elektronische Führerschein noch eine Weile auf sich warten lässt, weil es gegen die in Auftrag gegebene „ID Wallet“-App Sicherheitsbedenken gibt.
Kurz vor der Bundestagswahl hatte man noch schnell einen ersten Anwendungsfall präsentieren wollen, der Führerschein war ein massentauglicher Paradefall. Doch schon Tage später konnte die App nicht mehr halten, was sie versprochen hat. „Völlig dysfunktional bereits bei der Vorstellung“, moserten Kritiker.
Dieses harsche Urteil könnte man getrost auf die gesammelten E-Governance-Bemühungen der vergangenen Jahre übertragen. Da trifft es sich gut, dass die beiden „Kanzlermacher“ Grüne und FDP in Fragen der Digitalpolitik nicht sonderlich weit auseinanderliegen.
Grüne: Klimaschutz braucht Digitalisierung
Schon was die Prioritäten angeht: Klimaschutz funktioniere ohne Digitalisierung nun einmal nicht, sagt etwa die grüne Digitalpolitikerin Anna Christmann. Deshalb liefen die beiden Themen Hand in Hand. Für die FDP mag der Charme eher im Bürokratieabbau und der Effizienz liegen, aber das ändert nur wenig daran, dass man dort das Thema ebenfalls sehr ernst nimmt.
Auch inhaltlich ist man sich nah, beteuern die Beteiligten gerne in diesen Tagen. „Die Schnittmengen zwischen Grünen und FDP sind im kompletten Bereich der Innen-, der Rechts- und der Digitalpolitik extrem groß“, sagt etwa der grüne Digitalpolitiker Konstantin von Notz. „Gemeinsam haben wir in den vergangenen Legislaturperioden sehr viel angestoßen.“ In Sachen Bürgerrechte sind sich die beiden Parteien in der Tat schon lange einig: Wenig Staat, viel Autonomie über die eigenen Daten dazu mehr Tempo beim Aufbau einer digitalen Infrastruktur.
In diesen Chor der Einigkeit stimmt auch die SPD mit ein. „Wir sind froh, dass wir jetzt nicht mehr jeden Tag mit den schwarzen Sheriffs an einem Tisch sitzen“, formuliert es der SPD-Digitalpolitiker Jens Zimmermann. Die Union hat dem Juniorpartner in der vergangenen Legislaturperiode viel abverlangt mit der Erweiterung der Kompetenzen für Sicherheitsbehörden und dem Ausbau der Staatstrojaner.
Esken und Klingbeil sind ausgewiesene Digitalpolitiker
Zimmermann verweist darauf, dass mit Lars Klingbeil und Saskia Esken auch bei der SPD zwei ausgewiesene Digitalpolitiker mit am Tisch sitzen werden. Mit Robert Habeck, so heißt es bei den Grünen, führt sogar ein ehemaliger „Digitalisierungsminister“ die Sondierungsgespräche.
Nun hat es auch in der Vergangenheit nicht an Bekenntnissen, sondern eher an einer effektiven Umsetzung gemangelt. Hört man sich um, woran es liegt, dass der Bund mit so vielen digitalen Projekten krachend gescheitert ist, wird die schwache Position der zuständigen Staatsministerin Dorothee Bär genannt.
Diese habe schlicht nicht die notwendigen Durchgriffsrechte gehabt, ihre Projekte zielgerichtet durchzusetzen und wurde stattdessen fortwährend ausgebremst. Für Vorhaben aus dem Bereich des E-Governments war zudem das Bundesinnenministerium zuständig und dort verfolge man erst einmal andere Interessen, monieren Kritiker.
FDP pocht auf Digitalministerium
Dabei gilt die digitale Verwaltung als Gradmesser für den Fortschritt. Gebetsmühlenartig wird gestichelt, wie sehr Deutschland in diesem Bereich hinter Ländern wie Estland, Schweden oder gar dem Kosovo hinterherhinkt. Ob Personalausweis, Führerschein oder Gesundheitskarte – in all diesen Bereichen steckt die digitale Variante hierzulande noch in den Kinderschuhen.
Die Grünen nennen deshalb die Modernisierung der Verwaltung als eins der wichtigsten Themen. „Wir brauchen endlich ein funktionierendes E-Government“, sagt von Notz. „Das Thema muss mit größter Priorität entschlossen vorangebracht werden.“ Eine zentrale Frage dürfte deshalb sein, wie man die digitale Transformation künftig innerhalb der Bundesregierung organisiert. Die FDP pocht auf ein eigenständiges Digitalministerium, dem Grüne und SPD eher skeptisch gegenüberstehen. „Wir müssen höllisch aufpassen, dass wir nicht drei Jahre damit beschäftigt sind, ein Digitalministerium aufzubauen und dann feststellen, dass wir die Umsetzung vernachlässigt haben“, sagt von Notz.
In den vergangenen Jahren hätte schließlich jedes Ministerium auch eigene Strukturen in diesem Bereich aufgebaut. „Das sollte man jetzt nicht wieder über den Haufen werfen.“ Die Grünen plädieren deshalb dafür, die Digitalisierung im Kanzleramt zu belassen, aber dafür Zuständigkeitsfragen stärker zu klären und personell aufzurüsten. Ein Spalterthema werde die Frage eines Digitalministeriums allerdings nicht sein, beteuert SPD-Politiker Zimmermann. Eine Ampel-Koalition, das soll es wohl heißen, hätte es leicht, wäre man sich bei allem so einig wie in der Digitalpolitik.
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