Mitte November brachte es Lothar Wieler auf den Punkt: „Jeder Mann und Maus, der impfen kann, soll jetzt gefälligst impfen.“ Der Präsident des Robert-Koch-Instituts (RKI) sagte, es müsse Schluss damit sein, dass „irgendwer irgendwelchen anderen Berufsgruppen“ nicht gestatte zu impfen.
Mit „irgendwer“ meinte Wieler Ärztevertreter, die sich monatelang vehement dagegen wehrten, dass auch Apotheker, Zahn- oder Tierärzte an der Kampagne teilnehmen – obwohl diese sich dazu bereit erklärt hatten.
Die Gesundheitsminister der Länder folgten dem Vorstoß und beschlossen Ende November, zur Beschleunigung der Impfkampagne auch andere Berufsgruppen miteinzubeziehen. Zwei Wochen später wurde das Infektionsschutzgesetz geändert.
Bedarf gibt es genug: Hausärzte sind vielerorts überlastet, Impfzentren in der Fläche oft nicht verfügbar. Hinzu kommt, dass die Ständige Impfkommission neuerdings die Booster-Impfung bereits drei Monate nach der Zweitimpfung empfiehlt. Der Kreis der Berechtigten wird damit um ein Vielfaches höher. Doch loslegen mit dem Impfen können die Apotheker, Zahn- und Tierärzte trotzdem nicht – zu viel muss vorher noch geklärt und organisiert werden.
Voraussetzung für die Impfberechtigung ist etwa das Absolvieren einer Schulung, die unter anderem über die Impfanamnese, mögliche Kontraindikationen und Notfallmaßnahmen informiert, etwa nach einem allergischen Schock. Bis Ende des Jahres hatten die Berufskammern Zeit, entsprechende Lehrpläne zu entwickeln. Die Bundestierärztekammer schlug vor, einen Online-Kurs mit fünf Stunden Theorie sowie ein zweistündiges Praktikum in einem Impfzentrum vorzuschreiben.
Bis die Schulungen beginnen, wird es vielerorts wohl bis Mitte Januar dauern. Ausgenommen davon sind Apotheker, die bereits für die Grippe-Impfung geschult und daher vom Covid-Kurs befreit sind. Nach Angaben der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände gilt das für 2600 Mitarbeiter. In Berlin haben nach Angaben der dortigen Kammer schätzungsweise 200 von insgesamt 752 Apotheken geschulte Mitarbeiter.
Doch auch sie dürfen noch nicht mit der Arbeit beginnen. Grund ist die fehlende Änderung der Impfverordnung des Bundes, die Details zur Umsetzung klärt. Dazu gehören etwa das Honorar, die Meldewege der geimpften Patienten an das RKI, der Bezug der Impfstoffe und die räumlichen Voraussetzungen, wie es von der Bundesvereinigung heißt. Eine Sprecherin nannte exemplarisch offene Fragen: „Muss es zum Beispiel eine Liege im Raum geben? Darf man auch in einem Zelt vor der Apotheke impfen?“
Nach Angaben eines Sprechers des Bundesgesundheitsministeriums soll die Änderung der Verordnung „voraussichtlich Anfang Januar 2022“ in Kraft treten. Für Zahn- und Tierärzte erfolge diese wegen der komplizierteren technischen Anbindung „sehr zeitnah danach“. Alles etwas spät, findet die Apothekerkammer in Berlin. Präsidentin Kerstin Kemmritz sagte WELT AM SONNTAG: „Unser bereits geschultes Personal wäre bereit gewesen, schon vor und während der Feiertage intensiv mit zu impfen.“
Hinzu kommt eine Sorge, die viele impfwillige Apotheker, Zahn- und Tierärzte umtreibt. Gibt es im ersten Quartal 2022 neben der Belieferung der Hausärzte und Impfzentren überhaupt noch genug Impfstoff für sie?
„Ich will nicht unsere 4700 Zahnärzte zur Schulung auffordern, wenn sie danach gar nicht ausreichend Impfstoff geliefert bekommen“, sagte etwa Stephan Allroggen, Vorstand der Kassenzahnärztlichen Vereinigung in Hessen. „Wir brauchen dringend Klarheit, wann welche Kontingente an die Zahnärzte gehen sollen.“
Diese Klarheit kann das Bundesgesundheitsministerium allerdings nicht geben. Auf Anfrage von WELT AM SONNTAG, einen allgemeinen Lieferplan für Januar zur Verfügung zu stellen, hieß es von einem Sprecher: „Zu den Impfstoffzahlen liegen noch keine komplett exakten Übersichten vor.“
Kathrin Vogler, gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, sieht im ersten Quartal kaum Chancen für die Belieferung von Apothekern, Zahn- und Tierärzten: „Die Impfzentren und mobilen Impfteams müssen bei der Versorgung mit Impfstoffen priorisiert werden, um den im ersten Quartal absehbar knappen Impfstoff so effizient wie möglich einzusetzen.“ Jeweils fünf oder zehn Flaschen an einzelne Arztpraxen auszuliefern, das sei nicht sinnvoll. So gebe es zwar genug Dosen von Moderna, die Menge an Biontech könne die Nachfrage aber nicht bedienen.
Auch die Unionsfraktion fordert, den Fokus auf die Impfzentren zu legen. „Mittelfristig werden wir dafür sorgen müssen, dass die niedergelassenen Arztpraxen spürbar entlastet werden“, sagt der gesundheitspolitische Sprecher Tino Sorge (CDU). Darum müssten die Impfzentren wieder auf Volllast hochgefahren werden – und zwar mindestens bis Ende 2022. „Angesichts der steigenden Nachfrage sollten Bund und Länder auch neue Impfzentren planen und zeitnah eröffnen.“
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