Mit dem bevorstehenden Wechsel an der CDU-Spitze bricht für die Union eine neue Zeit an. Der Wirtschaftsflügel der Union setzt große Hoffnungen in den designierten neuen Vorsitzenden Friedrich Merz. Denn gerade in der Opposition bietet sich die Gelegenheit, das in den Jahren der Großen Koalition stark verwässerte wirtschaftspolitische Profil der Partei wieder zu schärfen.
Der CDU-Wirtschaftsrat schlägt in einem Positionspapier nun ein einschneidendes Maßnahmenprogramm für die von ihm angestrebte Neuausrichtung im Bereich der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik vor. Da Merz dem Lager der Wirtschaftsliberalen zugeordnet wird und zudem bis vor Kurzem Vizechef des CDU-Wirtschaftsrats war, dürfte der Vorstoß erheblichen Einfluss auf die künftige Parteilinie haben.
Angesichts der rasant voranschreitenden Alterung der Gesellschaft brauche es dringend Reformen, heißt es in dem Papier, das WELT vorliegt. „Wenn wir nichts tun, werden die Sozialabgaben in eine Höhe schießen, die Erwerbstätige und Wirtschaft überfordert und damit unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit als Fundament unseres Sozialstaates aushöhlt.“ Deshalb müsse man weg vom „Gießkannenprinzip“ und die knappen Mittel dort einsetzen, wo nachweislich Bedürftigkeit bestehe.
Besonders im staatlichen Rentensystem seien Einsparungen unumgänglich, mahnt die CDU-nahe Wirtschaftsvereinigung. Die Rente mit 67 – die bis 2031 schrittweise umgesetzt wird – könne deshalb noch nicht das Ende sein. Vielmehr müsse die gesetzliche Altersgrenze an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden.
Als Vorbild nennt der Wirtschaftsrat Dänemark, wo die Grenze für den regulären Renteneintritt bis auf 72 Jahre ansteigen soll. Neun weitere EU-Staaten, darunter die Niederlande und Griechenland, seien mit dem Heraufsetzen der Altersgrenze gleichfalls deutlich weiter als Deutschland, betont der CDU-Wirtschaftsrat.
Auch die von der Großen Koalition eingeführte „Haltelinie“ beim Rentenniveau – also der Rentenhöhe im Verhältnis zum Lohn nach 45 Beitragsjahren – müsse wieder abgeschafft werden, wird in dem Positionspapier gefordert. Mit der Haltelinie hatten SPD und Union das derzeitige Rentenniveau von 48 Prozent als Untergrenze zunächst bis 2025 festgelegt. Die Ampel will dieses Mindestniveau jetzt trotz des demografischen Wandels dauerhaft sichern. Für den Wirtschaftsrat stellt dieser Plan eine unzumutbare Zusatzlast für die junge Generation dar.
Neben der Abschaffung der Haltelinie fordert die CDU-nahe Wirtschaftslobby, auch die „Rentengeschenke“ der zurückliegenden Legislaturperioden wie die abschlagsfreie Rente mit 63, die Ausweitung der Mütterrente oder die Grundrente auf den Prüfstand zu stellen.
„Die kritische Sozialbilanz der GroKo hängt auch der Union an und hat zu einem Verlust ihrer Wirtschafts- wie auch Sozialkompetenz geführt“, sagt der Generalsekretär des CDU-Wirtschaftsrats, Wolfgang Steiger. Die Union habe früher immer für eine zielgerichtete, solidere und nachhaltigere Sozialpolitik gestanden. „Davon war in den letzten acht Jahren wenig zu sehen, weil man keine eigenen Konzepte mehr entwickeln wollte und sich dem linken Überbietungswettbewerb mit der Gießkanne unterworfen hat“, kritisiert Steiger.
Der künftige CDU-Chef Merz hat in den vergangenen Wochen bereits klargemacht, dass er die Sozialpolitik zu einem seiner Schwerpunkte machen will. Dabei stellte er allerdings keineswegs eine weitere Sozialdemokratisierung der Union in Aussicht. Vielmehr ließ Merz anklingen, dass es ihm darum gehe, die Sozialsysteme fit für die demografische Herausforderung zu machen.
Schon in seinem vor gut einem Jahr erschienen Buch „Neue Zeit. Neue Verantwortung“ hatte der Politik-Rückkehrer die Notwendigkeit eines sozialpolitischen Kurswechsels unterstrichen und einen „neuen Generationenvertrag“ gefordert. Zwar sei der Sozialstaat derzeit noch funktions- und leistungsfähig. Doch zwinge die rasch fortschreitende Alterung der Bevölkerung verbunden mit der ausgabentreibenden Sozialpolitik der vergangenen Jahre jetzt zum raschen Handeln, mahnt der frühere Unionsfraktionschef. Und wie der CDU-Wirtschaftsrat plädiert Merz in seinem Buch zudem dafür, in der Alterssicherung künftig viel stärker auf Kapitaldeckung zu setzen. Auch dies wäre eine deutliche Änderung der bisherigen CDU-Rentenpolitik.
In dem unter Angela Merkels Ägide immer einflussreicher gewordenen Sozialflügel der Union geht bereits die Angst um, dass die „Merz-Ultras“ künftig die CDU dominieren könnten. Zumal der designierte Parteichef den bisherigen Vorsitzenden der Wirtschafts- und Mittelstandsvereinigung der Partei (MIT), Carsten Linnemann, zu seinem ersten Stellvertreter erkoren hat und noch weitere Vertraute für wichtige Posten vorsieht. Der Vizechef der CDU-Sozialausschüsse, Dennis Radtke, äußerte im „Handelsblatt“ die Sorge, die „gewaltige Unwucht in Fraktion und Partei zugunsten des Wirtschaftsflügels“ könne sich fortsetzen. Seiner Einschätzung nach hat die Union bei der Bundestagswahl so schlecht abgeschnitten, weil sie vor allem bei sozialen Fragen – von der Rente über Mieten bis zum Mindestlohn – nicht überzeugt habe. Die Union müsse wieder das soziale Gewissen im Land werden, forderte der Vize der christlich-demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA).
Dass die Union ihr sozialpolitisches Profil deutlich schärfen müsse, findet auch der neue Vorsitzende der Arbeitnehmergruppe der Unionsfraktion im Bundestag, Axel Knoerig. Man müsse wieder erkennbar der Taktgeber für eine gute Arbeits- und Sozialpolitik werden. Bei der Rente müsse die CDU über „innovative Lösungen“ nachdenken. Der Sozialpolitiker unterstreicht dabei, dass es den Menschen neben der generationengerechten Finanzierung „vor allem auch um die Leistungsfähigkeit der künftigen Rente“ gehe. Knoerig fordert eine langfristige Stärkung der Sozialkassen. „Denn: Wer lange gearbeitet hat, muss auch im Alter ein entsprechendes Einkommen haben.“
Gerade bei der Rente setzen in der CDU der Wirtschafts- und der Arbeitnehmerflügel damit ganz unterschiedliche Schwerpunkte. Während der Wirtschaftsrat die Notwendigkeit von Einsparungen hervorhebt, steht für die Sozialpolitiker eine auch in Zukunft auskömmliche Rente im Vordergrund. In Merkels GroKo hatte der Wirtschaftsflügel wenig zu melden. Mit Merz an der Spitze könnte sich das nun ändern. Allerdings weiß auch der künftige Parteichef, dass die über 55-Jährigen mittlerweile die Mehrheit der Wähler stellen.
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