Putins Raubzug in der Ukraine

Der offenbar als Blitzkrieg geplante Krieg in der Ukraine wird für Russland immer teurer, so soll etwa allein das untergegangene, prestigeträchtige russische Flaggschiff „Moskwa“ mehrere hundert Millionen Euro wert gewesen sein. In der Ukraine befinden sich allerdings auch die zweitgrößten Erdgasreserven Europas.

Ende 2019 enthielten die bis dahin erkundeten ukrainischen Lagerstätten 1,09 Billionen Kubikmeter Erdgas, wie die „Neue Zürcher Zeitung“ („NZZ“) schreibt. Innerhalb Europas seien nur die bekannten norwegischen Ressourcen von 1,53 Billionen Kubikmetern größer, so die Zeitung weiter. Russlands Reserven gelten nicht als europäisch, da sich die Gasfelder weit im Osten, also in Asien befinden.

Asow-Stahlwerk in Mariupol (Ukraine)

Reuters/Alexander Ermochenko
Das Asow-Stahl-Werk in Mariupol am 26. April

Es geht um Billionen

Das „Wall Street Journal“ („WSJ“) schätzt, dass diese Gaslagerstätten in der Ukraine insgesamt rund eine Billion Dollar (930 Milliarden Euro) wert sind. Den Wert der ukrainischen Erdöllagerstätten beziffert die Zeitung mit rund 400 Milliarden Dollar (372 Milliarden Euro). Und auch Kohle gibt es mit dem weltweit sechstgrößten Vorkommen reichlich in der Ukraine. Rund 90 Prozent der ukrainischen Vorkommen dieser Ressourcen befinden sich im nun heftig umkämpften Donbas, so das „WSJ“ weiter.

Sollte Russland bzw. die auf der Seite Russlands stehenden Aufständischen in Luhansk und Donezk diese Vorkommen gänzlich einnehmen können, würde das die Stellung Moskaus und des Kremls auf dem Energiemarkt für Europa und Asien noch weiter verstärken. Energielieferungen als politisches Druckmittel vonseiten des Kremls könnten dann noch erweitert werden.

Mariupol in Schlüsselposition

Eine Schlüsselrolle für den Vertrieb spielen dabei die ukrainischen Häfen im Schwarzen Meer und im Asowschen Meer. Mit Mariupol hätte Russland auch mehr als 80 Prozent der ukrainischen Küstenlinie am Schwarzen Meer. Mariupol gilt als der zweitwichtigste Hafen der Ukraine.

Russland säße damit dann im Zentrum der globalen Energieversorgung für Europa und Asien, so das „WSJ“ weiter, und hätte von der Gewinnung über die Verarbeitung bis hin zum Vertrieb in alle Welt die ukrainischen Energiereserven in der Hand. Die gestiegenen Gas- und Ölpreise helfen Russland zusätzlich.

Mit der Einnahme Mariupols wird auch die Landbrücke in die von Russland 2014 widerrechtlich annektierte Krim geschaffen. Von Mariupol aus könnte man dann auch die Ressourcen von Donezk und Luhansk verschiffen. Der Hafen der Stadt weist die Besonderheit auf, dass er tiefergehende Liegeplätze hat als andere Häfen in der Region. Was früher ein Vorteil für das Verschiffen des Stahls war, hilft auch beim Ver- und Entladen etwa von militärischem Material.

Hafen von Mariupol (Ukraine)

Getty Images/iStockphoto/den-Belitsky
Der Hafen von Mariupol mit dem Stahlwerk im Hintergrund vor dem Angriffskrieg Russlands

„WSJ“: Vermögenswerte bereits an Gasprom übergeben

Im Mariupol befindet sich mit dem Asow-Stahl-Werk eines der größten Stahlwerke in Europa und der Ukraine. Ob sich die riesige „Stahlstadt“ nach den Attacken als lukrative Kriegsbeute für Russland halbwegs intakt übernehmen lässt oder ob es ganz zerstört wird – der verhasste Konkurrent Ukraine ist ausgeschaltet. Der Grad der Zerstörung und wie sehr die Produktionsstätten und etwa nicht die Verwaltungsgebäude und ähnliches davon betroffen sind macht für den Wiederaufbau – sei es bei einer Rückeroberung durch die Ukraine oder für Russland als Besatzer – finanziell allerdings einen gehörigen Unterschied.

Asow-Stahl gehört nach der Privatisierung der Metinvest des ukrainischen Oligarchen Rinat Achmetow. Laut der „NZZ“ waren 2014, zu Beginn des Konflikts um den Donbas, etwa 40.000 Arbeiter dort beschäftigt, rund vier Millionen Tonnen Rohstahl sollen hergestellt worden sein, wie die Zeitung schreibt.

Auch die „außergewöhnlich reichen Vermögenswerte am Schwarzen Meer der Ukraine“ sind lohnend für Russland, wie das „WSJ“ schreibt und einen Wert von Hunderten von Milliarden Dollar angibt. Putin habe diese Vermögenswerte bereits an die staatlich kontrollierte Gasprom übergeben und eine ausschließliche Wirtschaftszone im Schwarzen Meer dekretiert, die von der russischen Marine verteidigt wird, wie das „WSJ“ weiter schreibt.

Weizenernte in der Ukraine

Reuters/Amit Dave
Auch in der Landwirtschaft – etwa beim hier gezeigten Weizen – sind die Ukraine und Russland Konkurrenten

Landwirtschaft: Zerstörung für Preissteigerung

Nicht nur die Industrie, auch die ukrainische Landwirtschaft ist Ziel der russischen Angriffe und Zerstörung. „Uns erreichen alarmierende Nachrichten aus der Ukraine, wo russische Truppen offenbar gezielt auch landwirtschaftliche Infrastruktur und Lieferketten zerstören“, so der deutsche Landwirtschaftsminister Cem Özdemir Mitte April.

Die Ukraine und Russland sind weltweit wichtige Anbauländer für Getreide, darunter neben Weizen auch Mais. Schätzungen gehen davon aus, dass die Ukraine dieses Jahr nur rund die Hälfte im Vergleich zu den Vorjahren anbauen und ernten können wird. Die absichtlich herbeigeführten Ernteausfälle in der Ukraine kommen ebenfalls Russland zugute. Die Weltmarktpreise für Getreide steigen.

Hungersnöte als Folge

Mehrere globale Organisationen warnen bereits seit Längerem vor den verheerenden globalen Auswirkungen. So gehen etwa die UNO und andere Organisationen von einem rapiden Anstieg des weltweiten Hungers durch eine Preisspirale nach oben, die durch das reduzierte Angebot zustande kommt, aus. Es wird eine der schwersten globalen Ernährungskrisen der vergangenen Jahrzehnte erwartet.

Betroffen werden vor allem bereits jetzt von Hilfsprogrammen abhängige Länder vor allem in Afrika und dem Nahen Osten, aber auch in Asien sein. Die UNO stellte bereits 100 Millionen Dollar (92 Millionen Euro) für den Kampf gegen die Verschärfung der Hungersnot, die wegen des Ukraine-Krieges droht, im Jemen und in mehreren afrikanischen Ländern bereit. Russland selbst hat natürlich wiederholt bestritten, dass sein Angriff auf das Nachbarland zu weltweiten Hungersnöten führen könnte.

Sonnenblumenfeld in der Nähe der ukrainischen Hauptstadt Kiew

Reuters/Valentyn Ogirenko
Die Ukraine ist der größte globale Lieferant von Sonnenblumenöl

Indien bekommt billiges Erdöl

Als Beispiel dafür, wie Russland die gestiegenen Weltmarktpreise ausnützt, kann Indien gelten. Das mit knapp 1,4 Milliarden Menschen zweitbevölkerungsreichste Land hinter China hat den russischen Krieg gegen die Ukraine bisher nicht offiziell verurteilt. Bei UNO-Abstimmungen zur Verurteilung von Moskaus Vorgehen enthielt sich Neu Delhi – zur Freude und voll des Lobes Russlands.

Daher wurde etwa auch verbilligtes russisches Öl nach Indien nach einer Visite des russischen Außenministers Sergej Lawrow verkauft. Angesichts der starken Rabatte kaufte Indien mindestens 13 Millionen Barrel, verglichen mit fast 16 Millionen Barrel, die im gesamten letzten Jahr aus Russland importiert wurden. Indien erwäge, auch seine Importe an russischer Kokskohle für die Stahlherstellung zu verdoppeln, hieß es nach dem Lawrow-Besuch.

Russlands Hinwendung nach Asien braucht noch Jahre

„Indien wird insgesamt mehr Artikel aus Russland importieren, besonders wenn es einen Rabatt gibt“, sagte ein hochrangiger indischer Regierungsbeamter nach dem Besuch Lawrows. Das Land könnte Russland damit dringend benötigte Devisen verschaffen und dient Putin als Paradebeispiel dafür, warum er davon ausgeht, westlichen Sanktionen widerstehen zu können.

Überhaupt will sich Russland mit Öl und Gas nach Asien wenden, wie schon bei der Annexion der Krim und den Sanktionen im Zuge des Ukraine-Krieges von Moskau verkündet. Allein die große Infrastruktur etwa für Lieferungen nach China fehlt noch. Experten und Expertinnen schätzen, dass der Aufbau der Infrastruktur Jahre dauern könnte.

Konkurrenten bei Sonnenblumenöl

Auch in Sachen Sonnenblumenöl herrscht große Konkurrenz zwischen Russland und der Ukraine. Die beiden Länder produzieren bisher zusammen rund 55 Prozent des weltweiten Sonnenblumenöls, wobei die Ukraine der weltweit größte Lieferant war. Rund drei Viertel des Öls gehen in den Export. Die größten Abnehmer sind traditionell Indien, Europa und China. Durch den russischen Einmarsch ist der Nachschub aus der Schwarzmeer-Region allerdings gestört. In der Ukraine wurde bisher aus den Sonnenblumenkernen Rohöl hergestellt und über das Schwarze Meer verschifft, die Exporte sind wegen des Krieges zum Erliegen gekommen.

Auch hier kann Indien wieder als Beispiel dienen. Russland verdrängt hier ebenfalls den Konkurrenten Ukraine. Indien hatte bereits vor dem Besuch Lawrows einen Vertrag über den Kauf von 45.000 Tonnen russischen Sonnenblumenöls für April abgeschlossen – eben als Ersatz für ausgefallene Lieferungen aus der Ukraine.

Drastischer Wirtschaftseinbruch

Russlands Invasion in der Ukraine stürzte beide Länder in eine tiefe Rezession. Das Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (WIIW) etwa geht mit Ende April davon aus, dass die Wirtschaftsleistung der Ukraine heuer um 38 bis 45 Prozent einbrechen wird. Das Budgetdefizit der Ukraine dürfte auf 25 Prozent des BIP steigen, das Land wird auf westliche Finanzhilfe angewiesen sein, heißt es weiter. Russlands Wirtschaft dürfte um neun bis 15 Prozent schrumpfen. Russland wird auch mit einer Inflation von rund 20 Prozent oder bei einer Verschärfung der Sanktionen einer noch höheren konfrontiert sein, so die Prognose des Instituts.

Soldaten plündern

Während man vonseiten der russischen Staatsspitze offenbar auf die Einnahme hoher Vermögens- und Rohstoffwerte aus der Ukraine hofft, gibt es seit Beginn des Krieges vermehrt Berichte über Plünderungen durch russische Soldaten. So werfen Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch (HRW) und Amnesty International der russischen Armee in der Ukraine neben anderen Kriegsverbrechen wie Folter, Vergewaltigung und Hinrichtungen auch Plünderungen vor. Laut Medienberichten wird von den Armeeangehörigen so gut wie alles mitgenommen. Von Pkws über Waschmaschinen bis hin zu Kinderspielzeug, Unterwäsche und Lebensmitteln.

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*