Göring-Eckardt über Corona-Politik: Nichts zu tun, ist nicht besonders verantwortlich

Frau Vizepräsidentin, die aktuellen Schutzmaßnahmen laufen am 23. September aus. Vor der parlamentarischen Sommerpause wird die Regierung aber keinen neuen Gesetzentwurf vorlegen. Ist das ein Fehler?

Ja. Ich finde, wir hätten gut daran getan, jetzt einen Gesetzentwurf einzubringen oder zumindest Eckpunkte vorzulegen und die über den Sommer mit allen Beteiligten zu diskutieren. Meine größte Sorge ist, dass wir wieder in eine Situation geraten, in der hektisch was auf den Tisch gelegt wird, in größter Eile die Anhörungen stattfinden, am Freitag der Bundesrat zustimmt. Und am Montag müssen die Regelungen schon in den Schulen, in den Betrieben und überall umgesetzt werden. Das setzt unnötigerweise Menschen unter Druck. Und es verunsichert viele.

Die FDP hat darauf bestanden, das Gutachten abzuwarten, das der Sachverständigenrat an diesem Freitag vorlegt. Ist das sinnvoll?

Evaluation ist wichtig. Aber: Wir wissen, welche Maßnahmen konkret hilfreich sind. Es gibt genügend Studien dazu. Auf ein Gutachten zu warten, damit man erstmal nichts tun muss, halte ich in der Bekämpfung einer Pandemie nicht für besonders verantwortlich.

Bundesjustizminister Buschmann (FDP) hat gesagt, dass der Staat Masken nur vorschreiben kann, wenn das „evidenzbasiert“ sei. Untergräbt er das Vertrauen in die Wissenschaft?

Es gibt so viele Untersuchungen, die zeigen, dass Maskentragen hilft, dass es eine sehr einfache und sehr sinnvolle Maßnahme ist. Das weiß auch Marco Buschmann. Vom Justizminister erwarte ich vorausschauendes, verantwortungsvolles Handeln.

Welche Schutzmaßnahmen müssen in dem neuen Gesetz drinstehen?

Für den Fall, dass eine neue Virusvariante auftaucht oder das Gesundheitssystem an seine Grenzen kommt, müssen wir vorbereitet bleiben. Es geht nicht um neue Maßnahmen, Bewährtes muss dann wieder möglich sein: die Maskenpflicht in Innenräumen, Kontaktbeschränkungen für bestimmte Bereiche, besonderer Schutz für empfindliche Gruppen, um gerade auch Kindern den Schulbesuch zu sichern. Und: Wir sollten auch wieder viel mehr Homeoffice ermöglichen können, als das jetzt der Fall ist.

Was ist das Ziel?

Coronaschutz ist auch Wirtschaftsschutz. Es wundert mich, dass gerade die FDP das nicht sieht. Im vergangenen Herbst und Winter hatten wir Kontaktbeschränkungen und Regelungen zum Homeoffice, trotzdem gab es 63 Millionen Tage Arbeitsausfall, wie das Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung geschätzt hat. Das heißt umgerechnet, dass es in der Zeit zu Produktionsausfällen von mehr als sieben Milliarden Euro kam, weil Menschen krank waren. Da ist noch nicht mal eingerechnet, was das für das Wachstum bedeutet. Wenn es in diesem Herbst weniger Schutzmaßnahmen gibt, wird der Schaden noch höher ausfallen. Und das in einer Zeit, in der wir sowieso schon hohe Energiekosten und Lieferengpässe haben. Ich kenne Unternehmen, die jetzt schon von sich aus Schutzvorkehrungen treffen, weil sie nicht auf die Politik warten wollen.

Was wäre das schlimmste Szenario, auf das wir uns einstellen müssen?

Dass nicht genügend Leute da sind, die unsere Infrastruktur aufrechterhalten: Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Schulen, aber auch Mobilität oder die Energie- und Wasserversorgung.

Mit einer besonders tödlichen Variante rechnen Sie nicht?

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*