Kommentar zu Xi Jinpings Besuch in Hongkong: Polizeistaat Hongkong

Vor fünf Jahren, als Xi Jinping erstmals als Staats- und Parteichef nach Hongkong reiste, wurde sein Besuch noch von lauten Protesten und Forderungen nach mehr Demokratie begleitet. Als er am Donnerstag zu seinem zweiten Besuch eintraf, gab es in der ganzen Stadt nur Jubelbilder. Die Protestführer von damals sind im Gefängnis und im Exil. Die wenigen verbliebenen Kritiker wurden vorab von der Polizei eingeschüchtert. Die Ge­schwindigkeit, mit der China das einst autonome Hongkong in nur zwei Jahren von einer liberalen Ge­sellschaft in einen Polizeistaat verwandelt hat, sagt einiges darüber aus, welcher Geist in Peking heute herrscht.

Vor 25 Jahren war das ganz anders. Als die Briten ihre damalige Kronkolonie an Peking übergaben, versprach Deng Xiaoping den Hongkongern, dass sie Teil von China sein könnten, ohne sich gleich der Kommunis­tischen Partei zu unterwerfen. Sein Versprechen hatte einen Namen: ein Land, zwei Systeme. Es war ein be­merkenswertes Konzept, mit dem die kommunistische Führung den Hongkongern nach 156 Jahren britischer Herrschaft die Angst vor der Rückkehr unter das Dach Chinas nehmen wollte. Schließlich waren die meisten Hongkonger oder ihre Eltern einst vor den Exzessen der Kommunis­tischen Partei in die Kolonie geflohen. „Wir verlangen nicht, dass sie Chinas sozialistisches System gutheißen. Wir erwarten von ihnen nur, dass sie das Vaterland und Hongkong lieben“, lautete Dengs Losung.

Xi Jinpings „neue Ära“ für Hongkong

Dieser Pragmatismus ermöglichte Chinas wirtschaftlichen Aufstieg. Das Land wollte mit dem Westen ins Geschäft kommen und die Isolation überwinden, in die es durch die blutige Niederschlagung der Studenten­bewegung von 1989 geraten war. Hongkong bot dafür ein ideales Umfeld mit seiner kulturell vielfältigen Ge­sellschaft und dem freien Austausch von Waren, Kapital und Ideen. Von dieser Offenheit ist nicht mehr viel ge­blieben. Statt Hongkongs Verbindungen in den Westen als Chance zu begreifen, sieht Xi Jinping sie als Ge­fahr für die Stabilität seines Regimes.

Der Staats- und Parteichef will an diesem Freitag eine „neue Ära“ für Hongkong ausrufen. Doch von Aufbruch ist in der Stadt nichts zu spüren. Das liegt nicht nur am Niedergang der Freiheit. Auch der pekingfreundliche Teil der Gesellschaft ist in eine Corona-Depression verfallen. Wegen der chinesischen Null-Covid-Strategie ist Hongkong im Begriff, seinen Status als internationales Fi­nanzzentrum und regionales Hauptquartier zu verlieren.

Xi Jinping kann in Hongkong schon deshalb keinen Zukunftsoptimismus verbreiten, weil es den im ganzen Land nicht gibt. Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf Re­kord­niveau gewachsen, seit China von einem Corona-Lockdown in den nächsten taumelt und seit Xi Jinping der Privatwirtschaft immer neue Fesseln anlegt. Die zwei Monate lange Ab­riegelung von Schanghai, der mo­dernsten Metropole des Landes, hat in Teilen der Mittel- und Oberschicht Zweifel am Kurs der Parteiführung gesät.

Die Stadt bleibt nützlich

In Hongkong hat die Debatte über die Zukunft der Stadt noch gar nicht recht begonnen. Die dortige Wirtschaftselite hat sich noch nicht mit dem Gedanken arrangiert, dass Hongkongs Bedeutung für China kontinuierlich abnimmt. Die entscheidenden Fragen werden ohnehin in Peking beantwortet. Etwa jene, wie frei die Wissenschaft an Hongkonger Universitäten künftig noch sein darf.

In einem Punkt hat Hongkong noch immer eine besondere wirtschaftliche Funktion für China, die es von anderen Städten unterscheidet. Es hat eine eigene Währung, den Hongkong-Dollar, der an den US-Dollar gekoppelt und frei konvertierbar ist. Das erleichtert chinesischen Unternehmen die Expansion im Ausland und den Zugang zu ausländischen Investoren. Als Offshore-Zen­trum könnte Hongkong China dabei helfen, die Wucht möglicher künf­tiger Sanktionen des Westens abzu­federn. Die Stadt bleibt also nützlich. Die Bewohner braucht Peking dafür aber nicht.

Fünfundzwanzig Jahre hatte China Zeit, die Hongkonger Jugend von seinem Gesellschaftsmodell zu überzeugen. Doch statt Neugierde und Be­geisterung zu wecken, säte es Ab­lehnung und schürte den Wunsch nach einer lokalen Hongkonger Identität. Auch andere Länder hätten sich wohl schwer damit getan, eine gänzlich anders sozialisierte und orga­nisierte Gesellschaft zu integrieren. Doch dass China dies letztendlich nur mit Zwang erreichen konnte, sagt viel über die mangelnde Strahlkraft seines gegenwärtigen Entwicklungsmodells aus, das offenbar nur dort Un­terstützung erfährt, wo China seine Propaganda unwidersprochen verbreiten kann. Solange das Internet in Hongkong noch frei ist, wird Peking es dort mit seinen Botschaften schwer haben. Umso berechtigter ist die Sorge, dass diese Bastion als Nächstes fallen könnte.

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