Stephan Richter müsste seinen Pflegekräften von Donnerstag an eigentlich mehr zahlen. Sogar deutlich mehr – teilweise bis zu 30 Prozent, erzählt der Geschäftsführer von Richterpflege, einem Familienunternehmen mit zwei Altenheimen, einer teilstationären Einrichtung und einem ambulanten Pflegedienst aus Giersleben in Sachsen-Anhalt. In der Praxis wird das aber wahrscheinlich nicht möglich sein. Der Grund: Die Refinanzierung ist noch nicht geklärt. Und vorstrecken kann Richter das Geld nicht. „Da geht es um einige Hundert Euro pro Mitarbeiter“, sagt er.
Hintergrund ist ein von Union und SPD kurz vor der Bundestagswahl in großer Eile beschlossenes Gesetz. Pflegeheime und ambulante Dienste müssen ihren Pflegekräften demnach vom 1. September an Tariflohn oder ein „ortsübliches Entgelt“ bezahlen. Im Grundsatz stieß das Vorhaben, für höhere Gehälter in der Altenpflege zu sorgen, auf viel Zustimmung – der Beruf soll ja attraktiver werden. Es gibt aber ein kurzfristiges und ein längerfristiges Problem. Kurzfristig dürfen die Pflegeheime steigende Kosten nicht einfach weitergeben, sie müssen das erst mit Pflegekassen und Sozialämtern aushandeln. Das läuft jedoch zum Teil sehr holprig, und bis dahin bleiben sie auf allen Mehrkosten sitzen. Klar ist aber auch, dass die Heimplätze am Ende noch einmal teurer werden. Die Bewohner müssen also mehr zahlen und dazu notfalls Sozialhilfe beantragen.
„1300 Euro mehr, das ist inakzeptabel“
Wie viel teurer, kann Geschäftsführer Richter seinen Bewohnern und ihren Angehörigen wegen der ausstehenden Einigung mit den Kassen und den Sozialämtern noch nicht mit Sicherheit sagen. Es läuft aber darauf hinaus, dass diese künftig statt 2200 Euro rund 3500 im Monat zahlen müssen. Richter ist darüber selbst empört: „1300 Euro mehr, das ist inakzeptabel, das muss man echt sagen“, klagt er. Der größte Teil entfällt auf die steigenden Personalkosten, hinzu kommt die Inflation. Lebensmittel, die Reinigung, Strom und Gas – alles wird teurer. Die Folge: Schon heute sind zwischen 30 und 40 Prozent der Bewohner in Richters Einrichtungen auf Hilfe vom Sozialamt angewiesen. Bald dürften es noch deutlich mehr sein.
Nicht nur an dem Beispiel aus Sachsen-Anhalt zeigt sich, was schon bei der Verabschiedung des Gesetzes klar war, die Bundesregierung damals aber so lieber nicht aussprach: Eine solide Finanzierung der höheren Pflegelöhne fehlt. Wie viel teurer es nun für Heimbewohner wird, dazu gibt es bisher keine bundesweiten Daten. Der Sozialverband VdK erwartet 30 bis 40 Prozent höhere Rechnungen für Pflegebedürftige, einige müssten dann bis zu 5000 Euro aus eigener Tasche zahlen. In Berlin gehen Pflegekassen und Heime davon aus, dass die Preise nicht tarifgebundener Einrichtungen allein wegen des gesetzlich verfügten Lohnanstiegs um durchschnittlich 20 Prozent zulegen werden.
Wie viel die 819 000 Heimbewohner schon heute für ihren Platz zahlen, zeigen Daten des Verbands der Ersatzkassen: Im Durchschnitt waren es im Juli 2200 Euro im Monat, 75 Euro mehr als vor Jahresfrist – trotz eines neuen Zuschusses der Pflegeversicherung, der seit Jahresanfang greift. Die Kosten steigen so stark, dass er für viele Betroffene nur die Mehrbelastung etwas bremste. Und der eigentliche Kostenschub stand im Juli ja noch bevor.
Antworten