Zeitmanagement: Eine unendliche Geschichte

Handyvertrag wechseln. Dieser Punkt steht seit Jahren auf der eigenen To-do-Liste. Sich bei verschiedenen Anbietern informieren ist nicht kompliziert, aber eben auch nichts, auf das man Lust hat an einem freien Nachmittag. Außerdem muss man sich eigentlich auch nicht mehr darum kümmern, es steht schließlich auf einer To-do-Liste. Dort ist es mindestens so gut aufgehoben wie ein altägyptisches Tempelrelief in einer perfekt temperierten Museumsvitrine. Und wird es 2022 nicht erledigt, bekommt es immerhin einen Platz ganz oben auf der 2023er-Liste!

Eine solche Zusammenstellung funktioniert dabei wie ein Staubsauger im Kopf: Einmal notiert ist erst mal wegsortiert. Um den nicht abebbenden Gedanken- und Aufgabenstrom umzuleiten, gibt es unzählige Möglichkeiten. Die einen setzen auf Planungs-Apps in Steuerberater-, Blumenliebhaber- oder Minimalisten-Optik, die anderen kritzeln in Notizbücher, auf Schreibblöcke oder den Fetzen aus dem Altpapier, um bald all das anzugehen, was das Leben so von einem will. Das bayerische Gesundheitsministerium hat für seine aktuelle Booster-Kampagne „Na sicher“ klassische Post-its in Gelb, Grün, Pink gewählt. Nach dem Hashtag „Ärmel hoch“ sieht man jetzt auf Plakatwänden und Litfaßsäulen gekritzelte To-do-Listen, ein Punkt darauf ist immer: die Auffrischungsimpfung.

Nichts schöner, als sich den Alltag auf die Schnelle ein bisschen übersichtlicher zu gestalten. Und nichts schöner als die Vorstellung, irgendwann mal einen der vielen Punkte durchzustreichen oder zu löschen. Nur dazu wird es mit großer Sicherheit nicht kommen. Denn bei dem Gedanken ans Erledigen bleibt es meist auch. Handyvertrag wechseln? Gern im nächsten Leben.

Nur zwei Prozent der Menschen schieben nie etwas auf

Machen wir uns nichts vor: To-do-Listen wachsen wie Indisches Springkraut im Garten, aber sie kennen kein Ende, denn es gibt schlicht keins. Was einmal dort steht, bleibt für immer unerledigt. Einzige Ausnahme: der Einkaufszettel. Schließlich bekommt der eifrigste Vor-sich-her-Schieber irgendwann mal Hunger. Die Uni Münster, die eine Prokrastinationsambulanz führt mit Gruppentraining und Psychotherapie, nennt das Aufschieben von Tätigkeiten ein Alltagsphänomen und erklärt: „In einer Studie gaben nur zwei Prozent der Menschen an, niemals aufzuschieben.“ Der Rest schreibt To-do-Listen.

Genau aus diesem Grund ist die aktuelle Impfkampagne ziemlich gewagt. Weiß im Ministerium denn niemand, dass eine Liste abarbeiten zu wollen, ein ähnlich fragiles Vorhaben ist, wie Gas jenseits von Russland zu beschaffen? Viel eher müsste es doch heißen: Wer die Auffrischungsimpfung auf eine To-do-Liste schreibt, riskiert seine Gesundheit.

Erschwerend kommt hinzu, dass diese Kampagne versucht, witzig zu sein. Anhand der Post-its soll man nämlich eine vage Ahnung davon bekommen, wer sie geschrieben hat. Beim Lesen fragt man sich dann allerdings schon, welche Vorstellung die bayerische Landesregierung eigentlich von der Bevölkerung hat.

Zeitmanagement: Welche Vorstellung hat die bayerische Landesregierung eigentlich von der Bevölkerung?

Zeitmanagement: Welche Vorstellung hat die bayerische Landesregierung eigentlich von der Bevölkerung?

Welche Vorstellung hat die bayerische Landesregierung eigentlich von der Bevölkerung?

(Foto: instagram.com/gesundheit.pflege.bayern/)

„Morgen: Kündigen, Haare ab, Nepal buchen, Auffrischungsimpfung.“ Hier haben wir also den frustrierten Angestellten, gerade getrennt, der die Schnauze voll hat von Bayern, und deswegen nach Kathmandu abhaut, frisch geschoren und geboostert, versteht sich. Noch irritierender das nächste Bild: „Yoga, Hecke schneiden, Friseur, Auffrischungsimpfung“. Welche Irre soll das sein, die nach der Yogastunde erst ihrer Hecke einen Schnitt verpasst, dann sich selbst und anschließend zum Boostern flitzt?

Wenn sich der gute Bayer nicht gerade ums Haareschneiden kümmert, macht er laut Ministerium brav seine Steuer, wechselt die Räder, legt einen Sauerbraten ein (ja, auch das steht auf einer Liste, in dieser Reihenfolge!) oder probiert sich durch die Betten: „Diese Woche: Auffrischungsimpfung. Carlos daten. Britta daten. Schaun mer mal.“ Am ärgsten ist jedoch der Abriss, auf dem steht: „Auffrischungsimpfung, Dirndl umnähen, Sparbuch auflösen, Wiesnstart“, also die junge Frau – sofern man die Handschrift richtig interpretiert -, die während der vergangenen zwei Corona-Jahre kräftig zugenommen hat und sich ihren Frust jetzt erst mal auf der Wiesn schönsäuft und dafür ihr Sparbuch opfert. Na prima.

Was am Ende von all den Listen bleibt? Am ehesten die Erkenntnis, das mit der Impfung bloß nicht auf einen Zettel zu schreiben, der dann auf dem Schreibtisch vergammelt, sondern einfach: impfen gehen.

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