Brasilien: Bolsonaro-Anhänger errichten Straßensperren

Jair Bolsonaro hüllt sich in Schweigen. Auch am Montagabend, mehr als 24 Stunden nach seiner Wahlniederlage, hatte sich der brasilianische Präsident noch nicht an die Öffentlichkeit gewandt, um den Ausgang der Wahl zu kommentieren und den Sieg seines Herausforderers Luiz Inácio Lula da Silva anzuerkennen. Ministern und Beratern des Präsidenten ist es bisher nicht gelungen, Bolsonaro zu einer Stellungnahme zu bewegen. Laut Quellen aus dem Umfeld des Präsidenten soll ein Text vorliegen, in dem Bolsonaro das Wahlergebnis anerkennt, jedoch gleichzeitig angebliche Ungerechtigkeiten während der Kampagne kritisiert. Die Schwierigkeit für Bolsonaro besteht offenbar darin, den demokratischen Prozess zu respektieren, ohne dabei seine Anhänger vor den Kopf zu stoßen.

Tjerk Brühwiller

Korrespondent für Lateinamerika mit Sitz in São Paulo.

Bolsonaros Schweigen ermuntert seine radikalsten Anhänger, die sich um den Sieg betrogen sehen und eine Wahlniederlage ihres Präsidenten nicht tatenlos hinnehmen wollen. Seit Sonntagnacht blockieren Gruppen von aufgebrachten Bürgern und vor allem Lastwagenfahrer etliche Verbindungsstraßen im Land. Am Montag stieg die Zahl der Barrikaden auf über hundert. Betroffen sind mehrere Staaten, wobei die meisten Blockaden in Regionen registriert wurden, wo Bolsonaro besonders viele Unterstützer hat. Betroffen ist auch eine wichtige Fernstraße zwischen São Paulo und Rio de Janeiro. Ziel der Aktionen waren auch mehrere Brücken und andere neuralgische Punkte. Am späten Montagabend wurde zudem die Zufahrtsstraße zum internationalen Flughafen von São Paulo blockiert. Mehrere Flüge mussten gestrichen werden.

Verfassungsrichter ordnet Auslösung der Blockaden an

Die Bundesverkehrspolizei ist der Lage bisher nicht Herr geworden. In einzelnen Videos, die in den sozialen Netzwerken zirkulieren, ist auch zu beobachten, wie die Polizeikräfte die Blockaden tolerieren und sich mit den Manifestanten verbrüdern. Ein Beamter ist zu hören, wie er den Demonstranten sagt, dass seine einzige Anweisung darin bestehe, bei ihnen zu bleiben, worauf die Menge in Jubel ausbricht. Die Staatsanwaltschaft forderte am Montag eine Erklärung vom Kommando der Bundesverkehrspolizei. Der Verfassungsrichter Alexandre Moraes ordnete eine Auslösung der Blockaden unter Androhung von hohen Bußen an und drohte dem Direktor der Bundesverkehrspolizei mit der Festnahme, sollte er sich den Anordnungen widersetzen. Die Polizeibehörde hatte bereits am Wahltag von sich reden gemacht, als sie die Durchfahrt von Bussen mit Wählern behinderte, die aus abgelegenen Regionen zu den Wahllokalen gebracht wurden.

Die Straßenblockaden und die relative Tatenlosigkeit der Sicherheitskräfte verursachen nicht nur einen wirtschaftlichen Schaden für den Transportsektor, die Industrie und die Landwirtschaft. Sie haben auch ein gewisses politisches Eskalationspotenzial. Denn sie sind nach Bolsonaros Wahlniederlage der bisher einzige Ausdruck der Auflehnung gegen das Resultat der Wahl. In den sozialen Netzwerken solidarisieren sich radikale Bolsonaro-Anhänger mit den Lastwagenfahrern und ermuntern sich gegenseitig, ebenfalls zu demonstrieren. Auch Rufe nach Anweisungen und mehr Koordination werden laut. In Umfragen hatten vor der Wahl etwa 60 Prozent der Bolsonaro-Wähler angegeben, einen Wahlsieg Lula da Silvas nicht zu akzeptieren. Die Aktionen der Lastwagenfahrer bestärken sie in ihrem Willen, die Wahlniederlage Bolsonaros nicht tatenlos hinzunehmen.

Auf Telegram forderte eine Gruppe von Extremisten eine Aktion auf der Esplanade der Ministerien im Regierungsviertel der Hauptstadt Brasilia. In den Nachrichten war von „bewaffnetem Widerstand“ und der Einberufung des Militärs die Rede. Die entsprechenden Diskussionen in den sozialen Medien veranlasste die Sicherheitsbehörden des Bundesdistrikts, den Zugang zum Regierungsviertel zu sperren. Auch wird befürchtet, Lastwagenfahrer könnten in das Regierungsviertel eindringen und Blockaden errichten. In São Paulo demonstrierte am Montagabend eine Gruppe vor dem Sitz des Militärkommandos und forderte einen Staatsstreich.

Die Behörden und Beobachter verfolgen die Geschehnisse mit Besorgnis und befürchten, dass Bolsonaro mit seinem Schweigen eine Strategie des „Geschehenlassens“ verfolgt und sich in Brasilia Szenen wie am 6. Januar 2021 in Washington wiederholen könnten, als radikale Anhänger des damaligen Präsidenten Donald Trump das Kapitol stürmten. 

In einem Interview mit der Zeitung „Folha de São Paulo“ sagte Donald Trumps früherer Wahlkampfstratege Steve Bannon, dass der Wahlsieg von Lula da Silva gestohlen sei und Bolsonaro das Wahlergebnis nicht anerkennen solle. Bannon, der enge Beziehungen zu Bolsonaros Sohn Eduardo und zum Präsidenten selbst pflegt, zweifelt die Verlässlichkeit der elektronischen Wahlurnen an. „Es besteht keine Möglichkeit, dass das Ergebnis korrekt ist.“ Eine Prüfung sei erforderlich, auch wenn diese Monate dauere. Bis dahin sollte Bolsonaro keine Niederlage akzeptieren und im Amt bleiben, sagte Bannon. Auch Bolsonaro hatte in der Vergangenheit wiederholt und ohne Grundlage die Sicherheit der elektronischen Urnen in Frage gestellt. 

Ersten Kommentar schreiben

Antworten

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.


*