Corona-Proteste: Wie Chinas Kommunistische Partei das Volk verlor

Die Wulumuqi Lu, die drei Kilometer lang durch Schanghai führt, ist eine der schönsten Straßen Chinas. Für die Staatsführung ist sie schwierig. In ihrem Norden arbeiten im Huashan-Krankenhaus die besten Ärzte des Landes. Zhang Wenhong etwa, einer der Anführer von Chinas frühem Kampf gegen die Pandemie. Wie viele Schanghaier hat der Leiter der Abteilung für Infektionskrankheiten allerdings ein loses Mundwerk. Mitte vergangenen Jahres geriet Zhang landesweit in die Kritik, weil er gesagt hatte, die Welt müsse lernen, mit dem Virus zu leben. Das war zwar wissenschaftlich richtig, widersprach aber der Null-Covid-Politik von Staatsführer Xi Jinping. Prompt wurden Plagiatsvorwürfe gegen den Schanghaier Doktor laut.

Hendrik Ankenbrand

Wirtschaftskorrespondent für China mit Sitz in Schanghai.

In ihrer Mitte ist die Wulumuqi Lu gesäumt von noblen Apartmentblocks voller Expats, die für viel Geld mieten, und reicher Chinesen, die den Wohnraum ihr Eigen nennen. Als Schanghai im Frühjahr zwei Monate im Lockdown war, durchbrach die internationale Gemeinschaft des Nachts das verschlossene Tor und lieferte sich auf der Wulumuqi Lu für Stunden ein Stelldichein mit einer Heerschar Polizisten.

Im Süden der Straße bewacht eine kleine Armee von Soldaten und Sicherheitsbeamten die Tür des amerikanischen Generalkonsulats vor Fluchtversuchen in Ungnade gefallener Kader ins Exil. Und ein wenig weiter die Straße hinunter, einmal rechts und nach zehn Minuten Fußmarsch ein zweites Mal, steht allerlei Wachpersonal vor der Gasse mit dem Haus des am Mittwoch verstorbenen früheren Präsidenten Jiang Zemin.

Dass am Wochenende in der Wulumuqi Lu Tausende Menschen gegen Chinas Null-Covid-Politik demonstriert haben, hat nur zum Teil mit dem Straßennamen zu tun, der von der Hauptstadt der nordwestlichen Region Xinjiang entliehen ist. Dort waren zehn Menschen in einem Hochhausbrand umgekommen, weil die Feuerwehr die Lockdown-Hürden nicht schnell genug überwinden konnte. In Schanghai forderten die Protestierer nicht nur das Ende der Lockdowns, sondern gleich auch das der kommunistischen Diktatur. Deren heutiger Führer scheint mit seinen Ideen kaum anderswo im Land so weit von dem Leben der Menschen wie hier. Während Xi Jinping für Abschottung steht, hat Jiang das Land geöffnet. Weil sein Tod die Menschen abermals auf die Straße treiben könnte, steht seit Mittwoch nun noch mehr Polizei auf der Wulumuqi Lu.

Gegenmodell zu Xi

„Wir nannten ihn ‚Kröte‘“, sagt die 28 Jahre alte Yi, die in Wirklichkeit anders heißt, am Sonntag bei den Protesten dabei war und wie so viele junge Chinesen in den vergangenen Jahren Jiang als Kultfigur entdeckt hatte. Die Spleenigkeit, die Sprüche, die Lust am offenen Schlagabtausch – in alldem sehen viele Chinesen ein Gegenmodell zu Xi. Zwar konnte auch Jiang durchgreifen. Doch unter dem Reformer, der mit seinem breiten Lächeln im amerikanischen Fernsehen auf Englisch über Diktatur und Freiheit diskutierte, erblühte die Privatwirtschaft. Nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation stieg China zur ökonomischen Supermacht auf, an der kein westlicher Industriestaat mehr vorbeikam.

Für Yi, die Journalistin werden will, droht all das unter der Herrschaft Xi Jinpings verloren zu gehen: die Neugier auf die Welt außerhalb der Landesgrenzen, der Wille, aus Fehlern zu lernen, und der Glaube, dass der morgige Tag ein besserer wird.

Für Yi wird es seit Beginn der Pandemie stetig schlechter. Anfangs habe die Marketingagentur, für die sie neben dem Studium gearbeitet hatte, ihr noch 20 Prozent ihres Gehalts gezahlt, anstatt sie zu entlassen, als wegen der Lockdowns die Wirtschaft stillstand. Mittlerweile ist der Job ganz weg. Dass die Jugendarbeitslosigkeit vom Höchststand im Juli mit fast 20 Prozent um 2 Punkte gefallen sein soll, kann Yi kaum glauben. Auch für Jüngere gebe es keine Stellen. „Unsere Mieten zahlen die Eltern.“

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