Die Corona-Pandemie hat für Deutschlands Intensivmediziner ihren Schrecken verloren. Derzeit lägen weniger als 1000 mit dem Coronavirus infizierte Patienten auf den Intensivstationen, teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi) zum Abschluss eines Kongresses in Hamburg mit. Vor einem Jahr waren es zu diesem Zeitpunkt mehr als 5500. Die von Divi gemessene Belastung der Intensivstationen mit coronainfizierten Patienten ist einer der wichtigsten Indikatoren für die Bedrohlichkeit der Pandemie.
Der weitaus größte Teil der überwiegend älteren Covid-Intensivpatienten komme zudem nicht wegen Corona, sondern mit dem Virus auf die Stationen und werde dort wegen einer anderen Krankheit wie zum Beispiel Krebs behandelt. „Schwerkranke Covid-Patienten sind eher eine Seltenheit“, berichtete der Direktor der Klinik für Intensivmedizin am Hamburger Universitätsklinikum Eppendorf (UKE), Stefan Kluge, zum Ende des Divi-Kongresses.
Als Grund für den Rückgang schwerkranker Corona-Patienten nannte Kluge neben der Schutzimpfung – „der Game-Changer“ – auch die Entwicklung der Virusmutationen. So produziere die Omikron-Variante deutlich mildere Verläufe als die Delta-Variante. Sie hatte vor einem Jahr für eine Rekordzahl von Corona-Patienten auf den Intensivstationen gesorgt.
Auch damals blieb unklar, wie viele dieser Patienten nur „mit“ oder eben „wegen“ der Infektion eingeliefert worden waren. Kluge kündigte in Hamburg an, dass die Divi ihre Zahlen demnächst regelmäßig nach „mit“ und „wegen“ Corona auf den Intensivstationen liegenden Patienten separiert angeben werde.
Lauterbachs Winterwelle? Spielt keine Rolle
Noch eine gute Nachricht des Eppendorfer Klinikdirektors: Derzeit sei „keine Virusform in Sicht, die schwerer krank macht“. Eine „schwere Winterwelle“, wie sie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) für die kommenden Wochen befürchtet, sehen die Intensivmediziner jedenfalls nicht auf die Republik zurollen. Eher im Gegenteil.
Zu dem Kongress waren nach Angaben von Divi 5800 Mediziner in die Hansestadt gekommen, um sich in Präsenz über aktuelle Lage und Aussichten der Intensivmedizin zu informieren – eine Massenveranstaltung, vor der die Mehrheit der Anwesenden vor einem Jahr noch eindringlich gewarnt hätte. Inzwischen stellt das Virus aus Sicht der Intensivmedizin also keine akute Bedrohung mehr für das deutsche Gesundheitssystem und die Versorgung Schwerkranker auf den Intensivstationen dar. Das Problem, so der Direktor der Unfallchirurgie an der Universitätsklinik Marburg, Felix Walcher, sei inzwischen eher der Personalmangel an den Kliniken.
Die Belegschaft in den Krankenhäusern, so Walcher, sei in den vergangenen Jahren „über die Maßen hinaus“ belastet gewesen. Viele würden deshalb derzeit ihre Arbeitszeit reduzieren, manche gäben ihren Beruf auch ganz auf. Die Folge: Trotz der Entwarnung an der Corona-Front geraten die Kapazitäten an ihre Grenzen. In einigen Bundesländern ist der Anteil der freien Betten auf den Intensivstationen laut Divi bereits auf unter zehn Prozent gesunken. In anderen Ländern schwankt der Anteil der noch belegbaren Betten zwischen zehn und 20 Prozent.
Grund sei unter anderem, dass derzeit wegen des Personalmangels rund 2000 Intensivbetten weniger betreut werden könnten als vor einem Jahr, sagte Divi-Präsident Gernot Marx am Freitag im Congress Centrum Hamburg. Die Situation auf den Intensivstationen sei in vielen Gegenden Deutschlands „deutlich angespannt“.
Noch einmal deutlich schwieriger, darüber hatten Divi-Experten bereits am Donnerstag berichtet, gestaltet sich die Lage in Deutschlands Kinderkrankenhäusern. Dort bringe die massive Infektwelle und der anhaltende Personalmangel die Kinderintensivmedizin ans Limit.
Auf den Kinderintensivstationen gebe es rechnerisch nur noch 0,75 freie Betten pro Klinik, also weniger als eines pro Standort. Von 110 befragten Kinderkliniken hätten zuletzt 43 Einrichtungen zudem kein freies Bett mehr auf der Normalstation gehabt. Jede zweite Klinik habe in den vergangenen 24 Stunden mindestens ein Kind nach der Anfrage durch den Rettungsdienst oder die Notaufnahme für die Kinderintensivmedizin ablehnen müssen. „Das“, so der Divi-Generalsekretär und Kinder-Intensivmediziner Florian Hoffmann, „ist eine katastrophale Situation“.
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