Wohnungslosigkeit hat viele Gesichter. Denn längst nicht immer ist der Hauptgrund, dass jemand die Miete nicht bezahlen kann. So wie im Fall von Martin G. Seit bald fünf Monaten wohnt der 60-Jährige in einer Pension im Dachauer Land, weil er keine Wohnung findet. Was er braucht, ist gar nicht so dringend mehr Geld – er braucht eine zweite Chance.
Das Treffen an diesem trüben Montagvormittag findet in der Schuldnerberatung der Caritas Dachau statt. Martin G. trägt Lederjacke, tiefschwarz gefärbtes Haar, wie ein gebrochener Mann wirkt er nicht. Nur die müden Augen und ein bitterer Zug um den Mund lassen erahnen, dass er Schicksalsschläge erleiden musste. Jüngst erst ist sein Sohn gestorben, mit nur 38 Jahren.
Bis vor zwei Jahren war die Welt von Martin G. noch in Ordnung. Er hat als Bauzeichner, also CAD-Zeichner, gearbeitet. 36 Jahre lang bei der gleichen Firma. Dann kündigte ihm der neue Geschäftsführer. Weil es mit Ende 50 schwer ist, etwas Neues zu finden, wählte G. die Rente. Zumal er zunehmend erschöpft war, weil er seit Jahren auch seine im Rollstuhl sitzende Frau pflegte. Finanziell reichte es, zu den 1600 Euro Rente kam noch das Pflegegeld.
Die Notunterkunft hat G. verweigert
Mit dem Tod seiner Frau geriet das Leben von Martin G. in Schieflage. Die Miete wurde auf 1100 Euro erhöht, dazu zahlte er seit Jahren einen Kredit ab, er geriet in Mietverzug. Zu den früheren Ausständen kamen nun noch Mietschulden. Nach der fristlosen Wohnungskündigung konnte er den Auszug noch bis August dieses Jahres hinauszögern. Dann war Schluss. „Ich habe im Auto geschlafen, weil ich kein Zimmer gefunden habe.“ In seiner Heimatgemeinde hätte er in einer Notunterkunft unterkommen können, „aber das war ein Container neben der Kläranlage, das wollte ich nicht“, erzählt er und fügt hinzu: „360 Euro für zehn Tage hätte ich dafür zahlen müssen.“
Er fand schließlich eine Pension im Südwesten des Landkreises, 750 Euro im Monat zahlt er für ein 40-Quadratmeter-Zimmer mit Wohnecke, aber ohne Küche. „Ich esse meistens kalt oder mal bei Freunden“, sagt er. Dazu kommen noch 200 Euro für ein Lager, in dem er seine Möbel deponiert hat. 950 Euro, eigentlich genug, um eine kleine Wohnung zu finanzieren – wenn vielleicht auch in einem Ort ohne S-Bahn-Anschluss. Aber nicht für Martin G. „Dass ich genug Geld hab‘, sehen die Vermieter nicht, die sehen nur Schufa, und dann ist es aus“, sagt er, und da kommt sie durch, die Bitterkeit. In der Regel bekomme er auch keine Vermieter zu Gesicht, sondern nur Makler. Und dass Martin G. inzwischen sogar einen Nebenjob hat, das interessiert sie nicht.
Die automatische Löschung aus dem Schuldenregister sollte man kontrollieren
Alexandra Theiss von der Caritas-Schuldnerberatung in Dachau kennt das Problem von vielen ihrer Klienten. In der Regel bleiben Schuldeneinträge drei Jahre in den Registern der Bonitätsauskunft, dann verjähren die meisten Schulden – theoretisch. „Selbst wenn eine außergerichtliche Einigung erreicht ist, dauert es noch Jahre, bis der Eintrag gelöscht ist“, berichtet sie. Und auch wenn die Schulden bezahlt seien, stünde oft noch „erledigt“ in der Akte, ein Hinweis, dass da mal was war. Und das genügt, um aus der Schar der Wohnungs-Bewerber aussortiert zu werden.
Da gibt es auch nicht nur die bekannteste, die Schufa, kurz für „Schutzgemeinschaft für allgemeine Kreditsicherung“, sondern auch die Kreditauskunftei Crif Bürgel, Boniversum oder Arvato, weiß die Schuldnerberaterin. Man müsse beim Löschen selbständig dahinter sein, einmal im Jahr gebe es eine kostenlose Auskunft. Das Team der Schuldnerberatung verteilt dafür Bestellformulare, damit auf der jeweiligen Homepage nicht versehentlich die kostenpflichtige Bonitäts-Auskunft angekreuzt wird.
Martin G. hat mittlerweile aber noch ein anderes Problem. Er ist nicht mehr nur wohnungslos, sondern auch wohnsitzlos. Als er in seiner bisherigen Heimatgemeinde die Notunterkunft ablehnte und ein Umzug im Raum stand, wollte er sich im Rathaus abmelden. Dort erfuhr er, dass man sich zwar an- und ummelden kann, nicht aber einfach abmelden. Ummelden aber konnte er sich nicht, weil er ja keine Wohnung hatte. In der Gemeinde, in der die Pension liegt, aber wollte man ihn ohne Wohnsitz nicht anmelden. Woran das liegt, kann auch Schuldnerberaterin Alexandra Theiss nicht genau sagen. „In der Theorie kann man sich auch ohne festen Wohnsitz anmelden, das scheint nur hier schwierig zu sein.“
Seinen Ausweis hat Martin G. noch, mit der alten Meldeadresse, „ich weiß nicht mal, ob ich mich da strafbar mache“. Parallel zur zermürbenden Wohnungssuche bemüht er sich jetzt auch um eine Sozialwohnung. Wohl wissend, dass er mit seinem Einkommen über der Einkommensgrenze von 22 000 Euro im Jahr liegt.
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