Jüngst erreichte die F.A.Z. die Kritik eines in Bayern beheimateten Lesers. Tenor: Der Bayern-Korrespondent schreibe über den Freistaat immer nur im Modus der Ironie. „Pejorativ-spöttische Untertöne“ seien gleichsam der „Basso continuo“ der Berichterstattung. Dies werde nicht nur der bayerischen Staatsregierung nicht gerecht, in der „durchweg gute und seriöse Arbeit geleistet wird (auch vom Ministerpräsidenten selbst)“.
Vielmehr verstärke man dadurch „das in den nördlichen Bundesländern und deren Medien weitverbreitete Klischee vom geistig minderbemittelten, nur sprücheklopfenden, bierbeduselten Komödienstadel-Bayern . . .“.
Der erste Teil der Vorhaltung ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Jedoch trifft er nicht nur den nämlichen Korrespondenten, sondern einen beträchtlichen Teil der politischen Bayern-Berichterstattung insgesamt, von Einlassungen in den sozialen Medien ganz zu schweigen. Auch in Comedyformaten dürften bayerische Politiker überrepräsentiert sein.
Nach dem Motto: leben und leben lassen
Über den bayerischen Ministerpräsidenten und CSU-Chef Markus Söder gibt es bisher zwei Biographien – von Anna Clauß und von Roman Deininger/Uwe Ritzer –, beide arbeiten auch mit dem Stilmittel feiner Ironie. Eine fiktive Söder-Autobiographie kommt gleich direkt von einem früheren Chefredakteur des Satire-Magazins „Titanic“. Warum ist das so?
Söder sagt ja immer, in Bayern regiere das Prinzip „Leben und leben lassen“. Abgesehen von den politischen Meuchelmorden an CSU-Granden stimmt das im Großen und Ganzen. Die Kommunikation zwischen Politikern und Medien ist von der heiteren Einsicht in die Doppelbödigkeit aller Beteiligten geprägt. Ein ehemaliger Bundesminister der CSU hat einmal auf Heimatbesuch vor bayerischen Journalisten erzählt, er habe Berliner Journalisten, die in der Anerkenntnis des Allzumenschlichen nicht so geübt seien, in Bezug auf einen engen Mitarbeiter gebeten: „Lasst’s ihn leben.“ Vergebens.
Die SPD zieht nur Mitleid auf sich
Laut dem „Süddeutsche Zeitung“-Autor Deininger ist die Ironie der Journalisten „eine Reaktion auf die Dreistigkeit, mit der die CSU so tut, als hätte Strauß die Alpen persönlich aufgefaltet und Stoiber den Chiemsee ausgehoben“. Also „eine Art Notwehr“, um nicht den Verstand zu verlieren. Wie sollte man auch ernst nehmen können, wenn Söder ohne Unterlass Dinge sagt wie Bayern sei „Bildungsland Nummer eins“, „Sonnenland Nummer eins“, „Radland“, aber natürlich auch „Zukunftsland“ und, nicht zu vergessen, „Waldland Nummer eins“ und „Familienland Nummer eins“ sowieso?
Tatsächlich trifft die Beobachterironie vor allem die Machtprotze CSU und FC Bayern, während etwa die bayerische SPD am ehesten Mitleid auf sich zieht. Selbst wenn man die Christlich-Sozialen jenseits des Weißwurstäquators für „bierbeduselte Komödienstadel-Bayern“ hält – geschadet hat es ihnen offenbar wenig. Und zu stören scheint es sie auch nicht. Sonst hätte die Partei nicht so oft auf Ministerpräsidenten gesetzt, die auf je eigene Weise humoristische Phantasien befeuert haben: Strauß, Streibl, Stoiber, Seehofer, Söder – bei dieser Alliteration dürfte sogar Söder („Hightech, Heimat, Herz“, „Hightech, Heimat, Hopfen“) neidisch werden.
Söder in Spottlaune
Ein bestimmter Typ Ministerpräsident formt einen bestimmten Typ Journalisten oder zieht ihn an. So vererbt sich ein Ton der Berichterstattung. Es spricht manches dafür, dass die CSU diesen nicht nur in Kauf nimmt, sondern hie und da provoziert. Unernst als Reaktion auf Unernst kann der Kritik die Härte nehmen, im Sinne von: alles nicht so gemeint, Hund samma scho. Darauf rechnet die CSU – und verrechnet sich bisweilen damit. Ironie mag die Realität verzerren: im besten Fall aber zur Kenntlichkeit. Albert Schäffer, ehemaliger Bayern-Korrespondent der F.A.Z., sieht in ihr ein Instrument, um zum Kern der CSU vorzustoßen: „Die CSU ist die parteigewordene Dialektik – sie ist alles zugleich, Regierung und Opposition, Dogma und Anarchie, Kardinal und Ketzer.“ Mit Kris Kristofferson gesprochen: „a walkin’ contradiction, partly truth and partly fiction.“ Diesen Panzer, so Schäffer, „kann nur Ironie aufbrechen“.
Manchmal kann aber auch der Ernst die Ironie aufbrechen. So war es jüngst nach der Klausur der CSU-Landtagsfraktion in Kloster Banz. Söder hatte dort angekündigt, dass er sich nicht mehr an sein (von SPD und Grünen abgelehntes) Angebot gebunden fühle, nur zehn Jahre im Amt zu bleiben, und er verknüpfte dies mit der Überlegung, die Altersgrenze für Kommunalpolitiker aufzuheben. Beides hätte Nachteile für die Grünen. Söder, sichtlich in Spott- und Spiellaune, wurde gefragt, ob sich sein Eintreten gegen starre Altersgrenzen auch auf die Untergrenze (40 Jahre) für das Amt des Ministerpräsidenten beziehe. Er verneinte: „Wir haben alles angeboten, es wurde nicht genommen.“ Danach bezichtigte ihn die Grüne Katharina Schulze (37) der Lüge. Söder habe den Grünen durchaus nichts dergleichen angeboten.
Dass Söder vorsätzlich log, ist unwahrscheinlich. Allzu abwegig ist es, dass er eine Amtszeitbegrenzung, die ihn eingeschränkt hätte, mit einer Lockerung der Mindestaltersgrenze, die ihm gleichfalls hätte schaden können, verknüpft haben könnte. Mit dem „alles angeboten“ bezog er sich wohl auf den Klimaschutz als Staatsziel in der Verfassung, von dem er in der Pressekonferenz kurz vorher gesprochen hatte.
Wenn man Söder beim Wort nahm, hatte Schulze recht. Aber gehört sich das in Bayern? Der CSU-Generalsekretär jedenfalls zog sich sogleich wieder aufs eigentliche, also uneigentliche Spielfeld seiner Partei zurück und sagte, gewohnt karnevalesk: „Frau Schulze scheint verwirrt.“
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