Wie dicht Licht und Schatten derzeit für die Deutsche Bahn beieinanderliegen, hat diese Woche gezeigt. Noch am Montag legte der groß angelegte Warnstreik der Eisenbahnergewerkschaft EVG den Fern- und Regionalverkehr in ganz Deutschland lahm. Zwei Tage später kam dann eine Nachricht, die im Konzern Sektkorken knallen ließ: Die Spitzen der Ampelkoalition sichern der Deutschen Bahn weitere 45 Milliarden Euro für die Modernisierung ihres veralteten Schienennetzes zu, finanziert vor allem aus den Einnahmen der Lastwagenmaut, die kräftig erhöht werden soll.
Das ist in mehrfacher Hinsicht ein Novum: Zum ersten Mal soll „die Straße“ die Schiene bezuschussen, außerdem entspricht die Summe etwa einer Verdoppelung des bisher zugesagten Geldes. Und schließlich ist es die einzige finanzielle Zusage, zu der Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) in dem Verhandlungsmarathon bereit war.
Offene Geldschleusen reichen nicht
Das Versprechen für die Bahn ist bitter nötig, um Planungssicherheit und Stabilität in die Modernisierung der Schieneninfrastruktur zu bringen. Sie wurde über Jahrzehnte vernachlässigt. Die Finanzzusage ist ein Eingeständnis, dass das Herumwurschteln ein Ende haben muss. Das bisherige Konzept der Langzeit-Reparaturwerkstatt unter dem rollenden Rad ist gescheitert. Die Deutsche Bahn, ihre Wettbewerber und nicht zuletzt die Bauwirtschaft brauchen eine Perspektive, die nicht von kurzatmigen Haushaltsverhandlungen im Jahresrhythmus geprägt ist.
Die Geldschleusen zu öffnen reicht jedoch nicht aus. Die ernüchternde Zwischenbilanz des üppigen Sondervermögens für die Bundeswehr erinnert daran, dass sich auch bei der Deutschen Bahn einiges ändern muss, damit der Geldregen nicht versickert. Neben der einschneidenden Generalsanierung, die im kommenden Jahr beginnt, wird daher viel von der überfälligen Bahnreform abhängen, die Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) gerade erarbeitet.
Dem Netzzustand ausgeliefert
Schon 2024 soll sich eine „gemeinwohlorientierte Infrastrukturgesellschaft“ um das 34.000 Kilometer lange Schienennetz und die Bahnhöfe kümmern. Dem Zustand dieses Netzes sind nicht nur die Bahn, sondern auch deren private Konkurrenten auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Nun soll es erstmals vom kostenträchtigen Bahnbetrieb getrennt werden, der sich einem stärkeren Wettbewerb stellen muss.
Die Trennung von Netz und Betrieb – über deren Für und Wider seit Jahrzehnten debattiert wird – könnte ein Schritt zu mehr Transparenz im Finanzdickicht der Deutschen Bahn sein. Und sie signalisiert: Der Ausbau der Schiene soll sich nicht mehr zuvorderst am möglichen Gewinn orientieren, sondern am „Gemeinwohl“. Darin liegt allerdings auch ein Risiko: Der schwammige Begriff des Gemeinwohls könnte dazu dienen, die Verschwendung knapper Mittel zu legitimieren. Wissing sollte darauf achten, dies zu verhindern.
Die Ampelkoalition mag auf vielen Feldern ins Schlingern geraten sein, für die Deutsche Bahn ist diese Konstellation äußerst günstig: Ein Bundesverkehrsminister, der von vorne zieht, und Grüne, die von hinten schieben, könnten einen echten Modernisierungsschub bewirken. Es ist daher nicht ohne Ironie, dass sich ausgerechnet jetzt die Wut der Umweltbewegung nicht nur auf Wissing entlädt, sondern auch auf die Grünen.
Das zeigt, wie tief sich diese Bewegung in ihren Straßenkampf verbohrt hat: Lieber arbeitet sie sich an 144 Bundesfernstraßen und einem pragmatischen Umgang mit den Klimazielen ab, als sich mit dem mühsamen, kostenträchtigen und langwierigen Ausweg aus dem Bahn-Schlamassel auseinanderzusetzen. Dabei ist die Bahn ein zentraler Bestandteil im Kampf gegen den Klimawandel.
Millionen Kunden sehen das. Ihre Treue zur erschreckend dysfunktionalen Bahn ist fast rührend und zeigt, wie wichtig es ist, den Staatskonzern zurück auf das Gleis zu hieven. Ausgerechnet in dem Jahr, in dem die Pünktlichkeit der Bahn auf einen Tiefpunkt fällt, verzeichnet sie starke Zuwächse der Fahrgäste. Im Fernverkehr stieg die Zahl um mehr als 60 Prozent gegenüber dem niedrigen Corona-Niveau des Jahres 2021. Ähnlich positiv könnte sich der Güterverkehr entwickeln – wenn denn das Schienennetz endlich bereit dafür wäre.
Dafür sind die Weichen nun gestellt, aber das heißt noch lange nicht, dass das Ziel auch erreicht wird. Dass die Bahn ihre Tarifauseinandersetzungen mit der EVG und im Herbst auch mit der Lokführergewerkschaft GDL lösen muss, ist noch eine der einfacheren Aufgaben. Mehr hängt davon ab, dass Politik und Bahnmanagement in den kommenden Jahren nicht vom eingeschlagenen Kurs abkommen.
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