Boris Palmer tritt bei den Grünen aus. Das teilte am Montagabend Theresa King, Sprecherin des grünen Landesverbandes Baden-Württemberg mit. „Boris Palmer hat am heutigen Montag, 1. Mai 2023, seinen Austritt aus der Partei Bündnis 90/Die Grünen erklärt. Seine Austrittserklärung ist beim baden-württembergischen Landesverband eingegangen, sein Austritt gilt unmittelbar.“
Zuvor hatte Palmer eine persönliche Erklärung veröffentlicht, in der er ankündigte, auf unbestimmte Zeit keine öffentlichen Äußerungen mehr zu machen. Er müsse lernen, „neue Mechanismen der Selbstkontrolle“ zu beherrschen. Er wolle nun alle Konfrontationen mit ersichtlichem Eskalationspotenzial vermeiden.
Weiter schreibt Palmer: Er wolle der Stadtgesellschaft, seinen Mitarbeitern und dem Gemeinderat in Tübingen „wiederkehrende Stürme der Empörung“ nicht länger zumuten. Seine Amtsgeschäfte als Tübingens Oberbürgermeister will Palmer offenbar dennoch weiter führen, nur ohne öffentliche Stellungnahmen und Interviews.
Nach dem Eklat in Frankfurt über die „Judenstern-Äußerung“ war in Tübingen und in Baden-Württemberg über weitere Maßnahmen zur Sanktionierung von Palmers Verhalten und Aussagen diskutiert worden: Es sei möglich, dass die Gemeinderäte jegliche Zusammenarbeit mit Palmer einstellten. „Es ist jetzt das Ende eines Weges erreicht“, hieß es. Nach der baden-württembergischen Gemeindeordnung kann ein Bürger- oder Oberbürgermeister nicht abgewählt werden, allerdings kann die oberste Rechtsaufsicht beim Verwaltungsgericht die Amtszeit vorzeitig beenden lassen.
In Frankfurt war Palmer mit Demonstrierenden aneinandergeraten. Nach „Nazis raus“-Rufen sagte Palmer, wenn die Verwendung dieses N-Wortes genüge, um als Rassist bezeichnet zu werden, sei das „nichts anderes als der Judenstern“. Ein Videomitschnitt, der im Internet veröffentlicht wurde, zeigt die Auseinandersetzung. Auf der Konferenz „Migration steuern, Pluralität fördern“, auf der Palmer eine Rede halten sollte, forderte er, den Kontext der Nutzung des N-Wortes, einer stark abwertenden Bezeichnung für Schwarze, zu berücksichtigen; auf seinen Vergleich zum Judenstern ging er nicht ein.
Tübinger Rathaus überrascht
Palmers Stellvertreter im Rathaus zeigten sich von der Mitteilung des Oberbürgermeisters überrascht, offenbar hatte er weder Sozialbürgermeisterin Daniela Harsch (SPD) noch Cord Soehlke, den Ersten Bürgermeister in Tübingen, von seiner Entscheidung informiert. Möglicherweise muss sich Palmer, um seiner Ankündigung überhaupt Folge leisten zu können, für längere Zeit krankschreiben lassen. In seiner Erklärung kündigt er an, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Mediationsverfahren zwischen Palmer und der Landespartei und dem Kreisverband gibt es ohnehin schon, sie waren Bestandteil des Vergleichs, der zur Beilegung des Parteiordnungsverfahrens geschlossen wurde. In seiner Erklärung vom Montag entschuldigt sich Palmer für seine in Frankfurt getroffenen Aussagen: „Die Erwähnung des Judensterns war falsch und völlig unangemessen. Niemals würde ich den Holocaust relativieren, wie kritisiert wurde“, schreibt der Oberbürgermeister, der ursprünglich seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen lassen wollte.
Palmer erklärt sein Verhalten auch mit seiner Familiengeschichte: Wenn er aus einer „übermächtigen Gruppe“ heraus als Nazi bezeichnet werde, dann rufe das in ihm tief sitzende Erinnerungen wach – zum Beispiel an den Besuch von Gräbern seiner Vorfahren, die von Neo-Nazis geschändet worden seien. Er fügt hinzu: „An meinen Vater, der mit dem Judenstern auf der Brust gegen Unrecht demonstrierte. An die Gruppe Jugendlicher, die mir als Junge Schläge androhten und riefen, man habe nur vergessen, meinen Vater zu vergasen.“
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