Die Aufregung in der CDU nach den Äußerungen von Parteichef Friedrich Merz zum Umgang mit der AfD ist gerade abgeklungen, da rollt die nächste Welle auf den Vorsitzenden zu. In neuesten Wahlumfragen schneiden die Unionsparteien schwach ab – und Merz sowohl als CDU-Parteivorsitzender wie als möglicher Kanzlerkandidat von CDU und CSU ebenso.
Als chancenreichster Bewerber um das Kanzleramt 2025 landet demnach Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) auf Platz eins, dahinter rangiert Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU). Merz kommt nur auf Platz drei.
Was im Konrad-Adenauer-Haus die Alarmglocken aber vor allem zum Schrillen bringen müsste: In der aktuellen Umfrage des Marktforschungsinstituts Insa für „Bild“ waren nicht nur Wähler aller Parteien, also einschließlich grundsätzlicher Unionskritiker befragt worden. Eingefangen wurde gezielt die Meinung der Unions-Wähler, also der Basis. Und auf die konnte sich Merz bislang verlassen.
Die Mitglieder der Partei waren es maßgeblich, die ihn im Dezember 2021 bei seinem dritten Anlauf zum Vorsitzenden gekürten hatten. Bei den Funktionären in den höheren Parteiämtern hat Merz bis heute hartnäckige Kritiker. Nun bröckelt die Zustimmung auch an der Basis – selbst wenn Wahlumfragen nur Momentaufnahmen sind.
Laut Insa glaubt nur jeder Fünfte der Befragten, dass Merz der aussichtsreichste Kanzlerkandidat wäre. 29 Prozent setzen auf Wüst, 38 Prozent auf Söder. Wenn es um die Arbeit von Merz als CDU-Vorsitzender geht, sind nur 36 Prozent der Unions-Wähler zufrieden. Vorangegangene Umfragen von Insa waren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
In der jüngsten Umfrage von Civey landet Merz bei der Frage nach dem besten Kanzlerkandidaten der Union sogar auf Platz vier – nach Wüst, Söder und dem Ministerpräsidenten von Schleswig-Holstein, Daniel Günther (CDU). Das Meinungsforschungsinstitut Forsa stellte in einer jüngsten Analyse fest, ein wichtiger Grund dafür, dass „die Union in der politischen Stimmung bundesweit weiterhin von ihren früheren Werten von deutlich über 30 Prozent entfernt ist, liegt in der geringen Akzeptanz ihres Partei- und Fraktionsvorsitzenden Friedrich Merz“.
„So viel Zeit haben wir nicht mehr“
Nach Einschätzung von Andreas Rödder, dem Leiter der Grundwerte-Kommission der CDU, sei das Problem von Merz, dass er bei der Neuausrichtung der Partei bislang versucht habe, alle Strömungen und Flügel der Christdemokraten einzubinden und mitzunehmen. Das habe nicht funktioniert.
„Wenn Merz als Merz auftritt, stößt er auf den Widerstand derjenigen, die den Beifall der Grünen suchen – und die nicht akzeptieren, dass Merz von fast zwei Dritteln der Parteimitglieder mit der Erwartung gewählt worden ist, dass er Merz ist“, sagt Rödder, der auch Leiter der liberal-konservativen Denkfabrik „Republik21“ ist, WELT.
Während die Merz-Kritiker in der Partei, vor allem Vertreter eines weniger konservativen Kurses und höhere Amtsträger der Ära von Altkanzlerin Angela Merkel, gegen den Vorsitzenden arbeiten, breitet sich bei seinen Anhängern Enttäuschung aus. Weil Merz nicht den konservativen Hardliner gibt, den so mancher erwartet hatte.
Weil die programmatische Ausrichtung der Partei, die im neuen Grundsatzprogramm zum Abschluss kommen soll, selbst nach Ansicht der Merz-Unterstützer unter den Parteifunktionären viel schneller gehen müsste. Das neue Programm soll nach Plan im ersten Halbjahr kommenden Jahres verabschiedet werden. „So viel Zeit haben wir nicht mehr“, sagen zwei führende CDU-Politiker, die einflussreichen Vereinigungen in der Partei vorstehen.
Dass die Union in den regelmäßig gestellten Sonntagsfragen zwar nur leicht, aber stetig an Zustimmung verliert, sorgt zusätzlich für wachsende Nervosität in der Partei. Von der zwischenzeitlich überschrittenen Marke von 30 Prozent ist die Union mittlerweile laut Wahlumfragen im Durchschnitt drei Prozentpunkte entfernt. Die Zahl derer wächst, die glaubt, dass die Union von Merz keine großen Stimmenzuwächse mehr erwarten kann und deshalb 2025 nicht Regierungspartei wird.
„Parteimitglieder wie CDU-Wähler fürchten zunehmend, dass sich linke Parteien und die Grünen weitaus besser auf Merz einschießen und ihre Wählerschaft mobilisieren können, als wenn wir mit Wüst oder Söder ins Rennen gehen würden“, sagt ein Partei-Veteran. „Friedrich Merz bietet mit seinen Auftritten mehr Angriffsfläche als andere potenzielle Kanzlerkandidaten. Und wenn man dann wie Merz noch von Leuten aus den eigenen Reihen unter Beschuss genommen wird, gerät der Vorsitzende in eine schwierige Lage.“
Nicht nur die Funktionäre, auch die Basis und die Wähler richteten sich überwiegend danach aus, mit welchem Kanzlerkandidaten die Partei die größten Erfolgschancen bei der kommenden Bundestagswahl habe. „Es ist überraschend, wie groß die Skepsis da derzeit gegenüber dem Vorsitzenden ist“, meint der Partei-Mann.
Wüst hatte mit Beiträgen zum kleinen Parteitag Mitte Juni die Debatte um die K-Frage befeuert und sich indirekt als möglichen Kanzlerkandidaten ins Spiel gebracht. Anders als Merz fährt Wüst einen bewusst auf Ausgleich bedachten Kurs. Er führt in Nordrhein-Westfalen eine bislang weitgehend lautlose und funktionierende Koalition mit den Grünen, das honorieren die Wähler.
Bei prominenten Anlässen wie der Regionalkonferenz der Partei im Münster im vergangenen März gibt sich Wüst präsidial, seine Rede dort legte den Schwerpunkt auf die Sozialpolitik und wird in der Partei als Entwurf für eine neue Sozialagenda der CDU gesehen.
Bayerns Ministerpräsident Söder polarisiert dagegen zwar ähnlich wie Merz – und er macht noch stärker als der CDU-Vorsitzende massiv Front gegen die Grünen. Aber Söder hat sich anders als Merz kommunikativ zuletzt keine Fehler geleistet, die ihn angreifbar machen würden.
Sein Hauptvorteil aber, der ihn für viele Unions-Wähler als möglichen Kanzlerkandidaten empfiehlt, ist der Eindruck, dass er anders als der CDU-Chef anscheinend ein Mittel gefunden hat, die AfD bisher kleiner zu halten als im Bund. Während die im Bund in Umfragen auf 20 Prozent und mehr kommt, schafft es die Rechtsaußenpartei in Bayern derzeit auf rund 13 Prozent.
Das verleiht dem CSU-Chef den Nimbus des Bollwerks gegen die AfD. Tatsächlich dürfte es aber vor allem auch am kleineren Koalitionspartner, den Freien Wählern, liegen, dass die AfD in Bayern nicht auf höhere Zustimmung kommt.
„Kick-off“ ist der tägliche Nachrichtenpodcast von WELT. Das wichtigste Thema analysiert von WELT-Redakteuren und die Termine des Tages. Abonnieren Sie den Podcast unter anderem bei Spotify, Apple Podcasts, Amazon Music, Google Podcasts oder direkt per RSS-Feed.
Antworten