Polen im Fokus russischer Dienste

Stand: 01.09.2023 05:29 Uhr

Vor wenigen Tagen legten Unbekannte den Bahnverkehr in Polen teilweise lahm – und spielten über Funk die russische Hymne. Behörden zeigen sich nervös ob der Vermutung, das Land könnte in den Fokus russischer Geheimdienste geraten sein.

Die Qualität ist miserabel, das Funksignal aber doch verständlich. „Für den Sieg“ ruft Russlands Präsident Wladimir Putin, „Hurra“ rufen die Soldaten. Dann kommt die russische Hymne. Zugführer in der Nähe von Stettin haben das Signal Ende August über Funk gehört – nach einem anderen Funkkommando, dem sogenannten Radiostopp: ein ferngesteuerter Notstopp. Mehr als 20 Züge blieben daraufhin stehen.

Der Güterverkehr in der Region wurde zeitweilig komplett eingestellt. Der Inlandsgeheimdienst ABW ermittele, erklärte anschließend Stanislaw Zaryn, der Staatssekretär des Premierministers. „Im Moment schließen wir kein Szenario aus“, so Zaryn. Man „muss auch betonen“, dass das Leben und die Gesundheit der Passagiere nicht bedroht gewesen seien, sagte er weiter. Und: „Der Vorfall muss aufgeklärt werden, auch wegen der aktuellen Bedrohung für den polnischen Staat.“

Transitland für Waffentransporte

Die Bedrohung für die polnische Bahn kam von einem einfachen Kurzwellensender. Technisch kein Kunstwerk, hatten Experten schon bald nach dem Vorfall bemerkt. Aber die russische Hymne per Funk lässt doch viele an einen Sabotageakt denken. Kurz darauf werden in Bialystok, am anderen Ende des Landes, zwei Männer festgenommen, die das Notstoppsignal gesendet haben sollen. Einer der Verdächtigen: ein polnischer Polizist.

Polen ist durch seine Hilfe für die Ukraine und auch als Transitland für Waffentransporte, so scheint es, in den Fokus russischer Dienste geraten. Schon im März hatten die polnischen Behörden eine Spionagegruppe ausgehoben. Und immer neue Mitglieder werden festgenommen. Stand Ende August waren es 16 Personen.

Die Staatsanwaltschaft werfe ihnen vor, „für Russland Spionage betrieben und an einer kriminellen Organisation beteiligt gewesen zu sein“, erklärte Mariusz Kaminski, der polnische Innenminister, nach den ersten Festnahmen. Die Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes hätten „Kameras, elektronische Ausstattung und GPS-Sender sichergestellt, die an Hilfstransporten für die Ukraine befestigt werden sollten.“

Wird einer festgenommen, wird ein neuer angeworben

Die Verdächtigen seien Ausländer – genauer wollte Kaminski damals nicht werden. Inzwischen berichten polnische Medien, dass ein Teil der Gruppe ukrainische Geflüchtete seien. Keine geschulten Geheimagenten, sondern für Geld angeworbene Zuträger. Wird einer festgenommen, wird ein neuer angeworben, heißt es. Polen werde permanent hybrid angegriffen, sagt Zbigniew Hoffmann, Staatssekretär für nationale Verteidigung.

„Das kommt natürlich vom Kreml, wird aber auch von Belarus umgesetzt“, so Hoffmann. Das betreffe viele verschiedene Bereiche. „Das ist nicht nur die direkte Gefahr durch die Wagner-Truppen“, das seien „nicht nur die Geflüchteten an der Grenze, sondern auch Cyberangriffe.“ Wer sich damit beschäftige, wisse, „dass sie diese Strategie nicht erst seit heute oder gestern anwenden.“

Hoffmann spricht von der Expertise postsowjetischer Geheimdienste. Die Strategie ziele auf Destabilisierung und Chaos. Und sie verfängt. Als in Rzeszow, einem Knotenpunkt für den Transit in die Ukraine, Legionellenbakterien im Trinkwasser auftauchten und in der Folge – Stand jetzt – 18 Menschen starben, ermittelte sofort auch der Geheimdienst. Wahrscheinlich ist das Problem eine Verunreinigung in den Wasserleitungen, vielleicht aber auch ein Anschlag. Die Unsicherheit in Polen ist groß. 

 

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