In der Kaukasusregion Nagornyj Karabach spielt sich in diesen Tagen eine humanitäre Tragödie ab. Aserbaidschan hat sich die noch nicht besetzten Reste des Territoriums, auf das es Anspruch erhebt, gewaltsam einverleibt. Internationale Beobachter sprechen schon von Anzeichen eines Genozids an den in der Region lebenden Armeniern.
Reaktionen ausländischer Staatschefs, auch aus der EU und aus Deutschland, fielen hingegen zurückhaltend aus: ein paar Verurteilungen der Gewalt, ein Aufruf zu einer friedlichen Lösung, das war es – so wie man es eben macht, wenn man wirtschaftliche Interessen nicht gefährden will.
Aus den großen Nachbarländern Russland und Türkei ist in dem Konflikt ohnehin kein Eintreten für die Armenier zu erwarten, auch wenn Russland sich oft als Schutzmacht Armeniens präsentiert hat. Die Regierung in Baku hat überall in den Schaltzentralen der Macht, im Westen wie im Osten, verlässliche Partner. Dass es so gekommen ist, hat vor allem wirtschaftliche Gründe.
Für Europa spielt Aserbaidschan schon seit Langem eine wichtige Rolle für die Diversifizierung der Versorgung mit Erdgas. Während das Gas erst seit 2020 nach Europa floss, gehen die Planungen dafür zurück bis ins Jahr 2006. Damals kamen erstmals Zweifel an der Verlässlichkeit der Gasversorgung aus Russland auf. Gazprom hatte zeitweise die Lieferungen an die Ukraine eingestellt. Nord Stream gab es noch nicht, die Ukraine war ein wichtiges Transitland für die EU.
Europas Abhängigkeit wurde erstmals offensichtlich – und Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew bot flugs sein Land als Alternative an. „Bis letztes Jahr betrachteten wir die Türkei und Georgien als die einzigen Märkte für aserbaidschanisches Gas“, sagte Alijew damals. „Die Situation hat sich jetzt geändert.“
„Strategischer Partner“
Die EU ließ sich nicht zweimal bitten und warb in den Folgejahren intensiv für den Bau einer Pipeline. 2011 fuhren der damalige EU-Kommissionspräsident Barroso und Energiekommissar Günther Oettinger nach Baku, um ein Abkommen mit Alijew zu unterzeichnen, in denen der Präsident Gaslieferungen garantierte. Die Regierung in Baku fand sich plötzlich in der komfortablen Situation, aus verschiedenen Deals den für sie lukrativsten auswählen zu können – und pokerte entsprechend hoch.
Anfangs richteten sich die größten Hoffnungen der Europäer auf die Nabucco-Pipeline, an der unter anderem die deutsche RWE beteiligt war. Dieses Projekt scheiterte 2013, als eine andere Verbindung den Zuschlag für aserbaidschanische Gaslieferungen bekam: die transanatolische Pipeline TANAP von der türkisch-georgischen bis zur griechischen Grenze sowie die transadriatische Pipeline (TAP), die durch Griechenland und die Adria bis nach Italien führt.
Neue Bedeutung gewann das Gas aus Aserbaidschan im Jahr 2014. Nicht nur stand mit der Besetzung der Krim erneut die Sicherheit des Gastransits durch die Ukraine zur Debatte. Damals beschloss Russland auch das Aus für die geplante South-Stream-Pipeline, die Gas unter Umgehung der Türkei und der Ukraine direkt durch das Schwarze Meer nach Europa bringen sollte. Aserbaidschan wurde damit zur einzigen Option für kaspisches Gas. Kritik an der Menschenrechtslage im autoritär regierten Land gab es auch damals. Die EU-Kommission hielt aber an den Plänen fest, nannte Aserbaidschan einen „strategischen Partner“.
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