Immer wieder bringt Sabotage an Bahntrassen den Zugverkehr zum Erliegen – zuletzt Anfang des Monats zwischen Hamburg und Berlin. Nimmt der DB-Konzern den Schutz der Anlagen ernst genug?
Anfang September mitten in der Nacht in Hamburg: An drei Kabelschächten brennt es. Die Polizei vermutet Brandstiftung. Auf der linksradikalen Plattform Indymedia taucht ein Bekennerschreiben auf: Man habe „Verkehrsadern der kapitalistischen Infrastruktur“ sabotiert. „Einige Liter Benzin in den Kabelschächten“, so heißt es darin, hätten gereicht, um den Bahnverkehr lahmzulegen.
Tagelanges Chaos
Und tatsächlich – es folgt ein tagelanges Chaos. Mehr als 100 Züge werden umgeleitet oder fallen ganz aus. Nicht der erste Anschlag auf die Bahn: Erst im Oktober vergangenen Jahres hatten Unbekannte gezielt Kommunikationskabel der Deutschen Bahn zerstört und so den Zugverkehr in Norddeutschland zum Stillstand brachten. Auch in Nordrhein-Westfalen gab es Anfang des Jahres Sabotageakte gegen die Deutsche Bahn. Unbekannte manipulierten mehrere Stellwerke.
Polizisten nach dem mutmaßlichen Brandanschlag auf Kabelschächte an einem Bahndamm im Hamburger Stadtteil Lokstedt.
Der Bahn-kritische Verein Prellbock Altona sieht Handlungsbedarf. „Die Bahn muss ihre Infrastruktur besser schützen. Und sicherstellen, dass die Kabel sicher sind“, sagt Andreas Müller-Goldenstedt von der Bürgerinitiative. Kabel befinden sich normalerweise in der Nähe von Bahnanlagen und sind in Kabeltrögen verlegt. Die Tröge schützen die Kabel vor äußeren Einflüssen und sind mit Betonplatten abgedeckt. Dass der Kabeltrog fest verschlossen wird, ist laut der Bahn nicht vorgesehen. Im Fall einer nötigen Reparatur müsse schneller Zugang gewährleistet sein, damit diese schnell repariert werden.
Doch bei einem Rundgang an einem Hamburger S-Bahnhof findet Müller-Goldenstedt zahlreiche frei liegende Kabel. Die S-Bahn-Station wird gerade erneuert; Kabel liegen ungeschützt auf Holzträgern frei zugänglich herum, für jeden Bahnfahrer sichtbar: für den Verein ein Sicherheitsrisiko. Ein Bahnsprecher antwortet auf Anfrage des NDR, das Verlegen in Kabelführungssystemen aus Beton, Kunststoff, Holz oder auch in offener Bauweise sei sicher. Spätestens mit Abschluss aller Arbeiten würden die Kabel wieder in festen Kabelkanälen verlegt.
Bahn will sich besser schützen
„Resilienz durch Redundanz“ sollte laut Prellbock Altona das oberste Ziel des Infrastrukturausbaus der Deutschen Bahn sein. Es müssten genügend Ausweich- und Umleitungsstrecken geschaffen werden. Auch von der Bahn heißt es, sie wolle weitere Redundanzen schaffen, etwa ihre Kabel doppelt absichern und sich so besser gegen Angriffe schützen.
Experten zufolge ist das Problem bei der Bahn aber die Umsetzungsgeschwindigkeit. „Solche Baumaßnahmen und Systemänderungen brauchen sehr viele Jahre. Eine Neubaustrecke, die jetzt geplant wird, geht in 15 bis 20 Jahren in Betrieb“, sagt der Bahn-Ingenieur Jan Felix Wiebe. „Wir brauchen dort auf jeden Fall eine Verschnellerung dieser Resilienzmaßnahmen.“
Großer wirtschaftlicher Schaden
Schon jetzt würden mehr Sicherheitskräfte und Techniker bei der Bahn eingestellt, teilt die Deutsche Bahn mit. Bei rund 34.000 Kilometern Streckennetz und rund 2.600 Stellwerken sei ein lückenloser Schutz der Infrastruktur aber nahezu unmöglich. Zu dem wirtschaftlichen Schaden, der durch die Anschläge entstanden sind, könne die Bahn derzeit noch keine Angaben machen.
Laut Bahn-Experte Christian Böttger sind die wirtschaftlichen Folgen solcher Anschläge immens. „Wir gehen davon aus, dass jeder solcher Anschläge in einer Stadt einen Schaden im Millionenbereich verursacht. Die letzten Jahre haben wir immer ein bis drei Anschläge pro Jahr gehabt. Dann summiert sich das natürlich schon massiv zu Lasten der Bahn.“ Am Ende finanzierten Bürger und Steuerzahler diese Schäden, so der Eisenbahnexperte.
Ein geöffneter Kabelschacht an einer Bahnstrecke. Fest verschlossene Kabeltröge sind von der Bahn nicht vorgesehen.
Helfen könnten vielleicht auch höhere Strafen, um potenzielle Täter abzuschrecken. Im Fall der Anschläge in Hamburg ermittelt nun die Generalbundesanwaltschaft. Die Bundesanwaltschaft kann staatsschutzrelevante Straftaten verfolgen, wenn sie von besonderer Bedeutung sind. So hat die Karlsruher Behörde auch die Ermittlungen zu den mutmaßlichen Bahn-Sabotagen im vergangenen Oktober übernommen.
Mehr Kameras an Bahnanlagen geplant
Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser versprach in der „Bild am Sonntag“, die Täter zu ermitteln und die Bahntrassen besser zu schützen. Sie kündigte an, die Videoüberwachung an Bahnanlagen zu verstärken und die Zahl der Kameras von 9.000 auf 11.000 zu erhöhen.
Experten halten es aber für unmöglich, das Schienennetz komplett mit Kameras, Sensoren oder durch Einsatzkräfte zu schützen. Und fest steht: Die Leidtragenden solcher Angriffe sind am Ende die Bahnfahrerinnen und Bahnfahrer.
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