Etwa eine halbe Stunde nach Beginn des zweiten und brisanten Teils der Aktuellen Stunde im Thüringer Landtag, die bislang unruhig gewesen ist und von Zwischenrufen gestört wurde, wird es im Parlamentssaal ganz still.
Die Linke-Politikerin Katharina König-Preuss spricht. Leise, in kurzen Sätzen. Sie erzählt von ihrer Angst. Von der, die in ihrer Familie herrsche, unter Bekannten. „Ich habe immer gedacht, selbst wenn die AfD regiert: Ich habe ja einen deutschen Pass. Das würde mich schützen.“ Nun zweifle sie an diesem Schutz.
Nach Bekanntwerden eines Treffens in Potsdam von Rechtsextremisten unter anderem mit AfD-Politikern, bei dem die Teilnehmer über massenhafte Abschiebungen auch von Deutschen mit Migrationshintergrund diskutierten, fragt sich die Linken-Politikerin: Wer könnte wohl alles außer Landes gebracht werden, sollte die AfD irgendwann die Möglichkeit haben, ihr Programm zur sogenannten Remigration umzusetzen?
Niemand stört, lacht oder ruft etwas, als König-Preuss als letzte Rednerin zu ihrem Platz zurückgeht. Auch AfD-Fraktionschef Björn Höcke bleibt regungslos. Für einen Moment ist es im Plenum unwirklich ruhig. Zuvor hatte bereits der CDU-Abgeordnete Stefan Schard in Richtung AfD-Fraktion gefragt, was offenbar einigen Landtagsabgeordneten durch den Kopf geht: „Was kommt als Nächstes? Die Verbannung unliebsamer Gegner?“
Anlass für die Aussprache war ein Antrag der AfD-Fraktion, die Abgeordneten zu einer Aktuellen Stunde zusammenzurufen. Der Titel: „Remigration aus Thüringen starten anstatt verteufeln.“ Das Ziel der AfD: sich nach den Recherchen von „Correctiv“ von dem Potsdamer Treffen im November 2023 und den dort diskutierten Massenabschiebungen abzusetzen, den „legalen Weg“ der Partei in der Migrationspolitik betonen. Und den Vorwurf von sich zu weisen, es gehe der AfD im Grunde um die Deportation von Menschen mit Migrationshintergrund.
Das gelingt der AfD an diesem Mittwochnachmittag im Landtag nicht. Die Fraktion trifft auf eine geschlossene Front der übrigen Fraktionen. Nur: Einen Punktsieg hat sie dennoch errungen. Die AfD hat an diesem Tag erneut einen Teil der Agenda gesetzt; sie hat Raum bekommen, ihre Vorstellungen von Migrationspolitik zu verbreiten. Und sie hat Gelegenheit, Zweifel an den Recherchen von „Correctiv“ zu säen, die „Bespitzelung“ von privaten Treffen zu verurteilen.
Die Partei hat an diesem Tag geschafft, was die Grünen-Abgeordnete Madeleine Henfling am Rednerpult so zusammenfasst: „Es geht darum, Ausdrücke in die Luft zu werfen, um eine Normalisierung zu erreichen. Dieser Normalisierungsprozess ist Teil des Plans.“ Vor ein paar Monaten wäre auch in Erfurt kaum über „Remigration“ diskutiert worden, darum, was mit diesem Begriff verbunden ist. Nun gehört er hier zum politischen Alltag. Er ist, so gesehen, bereits ein Stück weit „normal“ geworden.
Eine Kernfrage ist nun, welche Vorstellungen mit dieser „Remigration“ verbunden sind.
Kemmerich macht auf eine Höcke-Rede aufmerksam
Wenn Rechtsextremisten den Begriff „Remigration“ verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen solle – auch unter Zwang. Der AfD-Abgeordnete Stefan Möller sagt dazu als erster Redner: „Remigration ist die Lösung vieler Probleme.“ Gegen „Gruppenvergewaltigungen“ etwa, „weil die überproportional von bestimmten Ethnien ausgehen“. Und: „Gegen die Wohnraumprobleme, die dran liegen, weil wir zu viele Leute aufgenommen haben.“
Es solle eine effektive Missbrauchskontrolle geben, um nur jene ins Land zu lassen, die ein Anrecht darauf hätten, fordert Möller. Entscheidend ist aus seiner Sicht, dass die Behörden über Missbrauchsfälle informiert werden: „Ich verspreche Ihnen: Wenn wir regieren, werden die Behörden diese Erkenntnisse erlangen.“
Was Möller nicht sagt: Wie die von der AfD propagierte „Remigration“ konkret aussehen soll. Wer unter welchen Umständen davon betroffen wäre; wie man Menschen außer Landes bringen wolle, deren Heimatländer eine Aufnahme verweigern und in denen es wie im Fall von Syrien oder Afghanistan nicht mal seriöse Ansprechpartner gibt.
Die drei Regierungsparteien Linke, SPD und Grüne fragen die AfD nicht nach der konkreten Umsetzbarkeit von deren migrationspolitischen Ansichten. Stattdessen erheben sie einen schweren Vorwurf: „Es geht sehr wohl um Deportationen, es geht um völkische Ideen“, sagt der SPD-Abgeordnete Thomas Hartung.
Die Grünen-Abgeordnete Henfling wirft der AfD vor: „Natürlich sagen Sie nicht, ,wir haben Deportationspläne‘, weil Sie wissen, dass das Wort Deportation einschlägig besetzt ist. Deshalb reden Sie von Remigration.“
Und um was geht es der AfD nun? Klar wird das an diesem Nachmittag nicht. Die AfD weist den Vorwurf radikaler Lösungen freilich zurück. Möller spricht von einer „Deportationslüge“, mit der man seine Partei mundtot machen wolle: „Die Chance, die die Remigration bietet, soll in einen Nazi-Deportationswahn umgedeutet werden“, sagt er. Höcke schweigt dazu im Parlamentssaal.
Der Thüringer AfD-Chef hat aber an anderer Stelle zumindest den Umfang dessen klargemacht, was er offenbar unter „Remigration“ versteht. Es ist der FDP-Abgeordnete und Landeschef der Liberalen, Thomas Kemmerich – der sich 2020 mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten wählen ließ –, der auf einen Mitschnitt eines Höcke-Auftritts am 12. Dezember in Gera aufmerksam macht.
Der Thüringer AfD-Chef hatte gesagt: Wenn man Recht und Gesetz durchsetze, könne man die Zahl der Migranten „um einige Millionen“ reduzieren. „Wir werden auch ohne Probleme mit 20 bis 30 Prozent weniger Menschen in Deutschland leben können“, sagte Höcke damals. Er habe „keine Angst vor dem Bevölkerungsrückgang“, sofern „Maßnahmen eingeleitet werden, die langfristig die Bevölkerung wieder stabilisieren“.
Und der AfD-Bundestagsabgeordnete René Springer hatte zu Jahresbeginn auf X (vormals Twitter) erklärt: „Wir werden Ausländer in ihre Heimat zurückführen. Millionenfach. Das ist kein Geheimplan. Das ist ein Versprechen.“
Höcke hatte bei seinem Auftritt in Gera erklärt, das Staatsbürgerrecht müsse geändert werden. Er sagte, dass Menschen „nur eine Loyalität“ haben könnten und damit auch nur einen Pass. „Die Menschen werden sich entscheiden müssen“, sagte der Liberale Kemmerich dazu in Landtag. „Darin kann man eine Drohung sehen.“
Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) setzt sich erst auf die Regierungsbank, als die von der AfD beantragte Aktuelle Stunde zu Ende ist. Björn Höcke steht auf und verlässt den Saal.
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