Die Unionsfraktion hatte zuletzt mitgeteilt, sie sehe das Bundesverfassungsgericht genug vor Extremisten geschützt. Nun sprechen sich vier Berufsverbände von Juristinnen und Juristen für neue Regeln im Grundgesetz aus.
Die Juristinnen und Juristen sind nicht erfreut. Gleich vier Verbände tun ihrem Unmut in einem gemeinsamen Aufruf kund. Ein ungewöhnlicher Vorgang. Es geht darum, das Bundesverfassungsgericht stärker vor dem Zugriff extremer Parteien abzusichern und dafür bestimmte Regeln ins Grundgesetz aufzunehmen – etwa die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit für die Richterwahl.
Die Unionsfraktion im Bundestag hatte vergangene Woche erklärt, mit den Ampelfraktionen keine Verhandlungen führen zu wollen über eine solche Reform. Ihre Zustimmung wäre für eine entsprechende Grundgesetzänderung notwendig. Anschließend hatte Parteichef Friedrich Merz in einem Interview zwar einen Rückzieher angedeutet. Auf politischer Ebene blieb die Situation dennoch verfahren.
Aufruf, Gespräche fortzusetzen
Der Deutsche Anwaltverein, der Deutsche Juristentag, der Deutsche Juristinnenbund und der Deutsche Richterbund fordern nun „alle demokratischen Parteien“ auf, die Gespräche „zum Wohle der freiheitlich-demokratischen Grundordnung“ fortzusetzen. In den vier Organisationen sind Juristinnen und Juristen aller Berufsgruppen zusammengeschlossen.
Es brauche daneben jetzt politische Initiativen in den Bundesländern, um die Justiz insgesamt bestmöglich gegen gezielte Eingriffe in ihre Unabhängigkeit abzusichern und sie als „Bollwerk der Demokratie“ zu stärken, heißt es in dem Aufruf weiter. Die Beispiele Polens oder Ungarns zeigten, wie schnell selbst vermeintlich stabile Rechtsstaaten kippen können.
„Einen derartigen Aufruf der unabhängigen Juristischen Organisationen gab es in der deutschen Geschichte noch nie“, sagt Ulrich Karpenstein, Vize-Präsident des Deutschen Anwaltvereins, gegenüber dem ARD-Hauptstadtstudio. „Er zeigt, dass es sich nicht um ein Projekt der ‚Ampel‘ handelt, sondern in der Fachwelt Einigkeit über den Handlungsbedarf besteht. Verfassungsrechtliche Vorsorge zu treffen für die Unabhängigkeit und Funktionsfähigkeit unserer Gerichtsbarkeit ist keine Frage der Parteipolitik.“
Auch Verfassungsrichter involviert
Innerhalb der Unionsfraktion war immer wieder auch der Vorwurf laut geworden, dass das Gericht selbst in die Überlegungen bislang nicht einbezogen worden sei. Dabei hatte unter anderem ein Gastbeitrag von zwei ehemaligen Verfassungsrichtern in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, in dem sie ihre Vorschläge erläutern, Fahrt in die Diskussion gebracht. Sie standen auch mit Abgeordneten im Austausch sowie mit den Landesjustizministern, die an einem eigenen Gesetzentwurf arbeiten und schon recht weit sind.
Nun kommt hinzu: Vorsitzender der Ständigen Deputation des Deutschen Juristentags ist Henning Radtke – ein Verfassungsrichter, der zudem auf Vorschlag der Union gewählt worden ist.
Bundespräsident schaltet sich ein
Bei einem Debattenforum aus Anlass von 75 Jahren Grundgesetz schaltete sich auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in die Debatte ein. In Staaten wie Polen und Ungarn habe die Unabhängigkeit der höchsten Gerichte immer zuerst im Zentrum von Angriffen auf die liberale Demokratie gestanden.
„Deshalb halte ich den Gedanken für richtig, Regelungen für die Struktur des Gerichts, das Wahlverfahren und die Amtszeiten der Richter ins Grundgesetz aufzunehmen“, so Steinmeier. „Regelungen, die dann auch nur mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit geändert werden könnten.“
Er verkenne die Tragweite und Komplexität einer solchen Regelung nicht, sagte Steinmeier in einem Debattenforum zur Demokratie in seinem Amtssitz Schloss Bellevue. „Dennoch: Meines Erachtens ist jetzt die Zeit, über Inhalt und Umfang einer solchen Verfassungsergänzung nachzudenken. Es wäre gut, wenn dazu eine ernsthafte Debatte in Gang käme.“
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