Der nach Russland geflohene Ex-Wirecard-Manager Jan Marsalek arbeitete wohl jahrelang für die russischen Geheimdienste. Das zeigen Recherchen von „ZDF frontal“, dem „Spiegel“, dem österreichischen „Standard“ und der russischen Investigativplattform „The Insider“.
An Russland bindet ihn zunächst eine Frau, die er offenbar nicht ganz zufällig kennenlernt: Natlja Slobina. Sie tritt plötzlich auf, als ein Deal zwischen der Moskauer Metro und Wirecard auch wegen des sprunghaften Marsalek zu platzen droht, hilft mit Kontakten in die Moskauer Verwaltung. Dabei war sie zuvor vor allem als Nacktmodell auf Erotikseiten aufgefallen.
Mit „Honeytrap“ und Nacktmodell machte Russland sprunghaften Marsalek zum Agenten
Es liegt nahe, dass Slobina, eine mutmaßliche russische Agentin und später Marsaleks Geliebte, ihn in eine sogenannte „Honeytrap“, eine Honigfalle, lockte. So wird im Spionagesprech eine Operation, in der die Zielperson mit Hilfe einer Liebschaft eingefangen wird, genannt. Während der Deal mit der Moskauer Metro scheitert, werden Marsalek und Slobina ein Paar.
Über die Russin lernt Marsalek unter anderem Verwandte des tschetschenischen Diktators Ramsan Kadyrow kennen und soll für sie Geld waschen. Ob er es tat, ist bisher unklar.
Im Sommer 2014 lernt er dann über seine russische Geliebte Stanislaw Petlinski kennen, einen Mann mit besten Kontakten in den russischen Sicherheitsapparat. Petlinski sagte den Recherchen zufolge später in kleiner Runde, er habe Marsalek anschließend dem russischen Militärgeheimdienst GRU übergeben.
Schon Jahre vor Wirecard-Knall wird Flucht für Marsalek zur „Obsession“
Petlinski bestritt bei einem Treffen in Dubai auf Nachfrage, dass Marsalek russischer Agent sei. Vielmehr habe er Marsalek einflussreichen Russen bis hinauf in die Duma vorgestellt. Petlinski, der sich selbst „Sicherheitsberater” nennt, bestätigte, 2017 mit Marsalek und dem damaligen Geheimdienstchef der russischen Söldnergruppe Wagner nach Syrien gereist zu sein. Außerdem ist er in Marsaleks Geschäfte mit libyschen Söldnern involviert. Auch westliche Nachrichtendienste gehen davon aus, dass Petlinski seit Jahren für russische Geheimdienste arbeitet.
Laut österreichischen Ermittlungsakten ist Marsalek Teil einer “nachrichtendienstlichen Zelle, derer Kapazitäten und Fähigkeiten sich russische Nachrichtendienste bedient” hätten. Auch britische Staatsanwälte werfen dem früheren Topmanager vor, noch 2023 einen Agentenring in London gesteuert zu haben, der dem Kreml missliebige Personen ausspioniert haben soll.
Mit dem Thema Flucht habe sich der ehemalige Wirecard-Manager schon länger beschäftigt, sagt ein Vertrauter. Über Jahre habe sich Marsalek damit beschäftigt, wie er spurlos verschwinden könne, mit falschen Identitäten, mit möglichen Fluchtrouten. „Das war ein Dauerthema, fast eine Obsession.“
Russen-Behörden halfen Marsalek zu neuer Identität – nach Flucht nutzte er Pass eines Priesters
Nach seiner Flucht im Jahr 2020 haben russische Behörden Marsalek offenbar dabei geholfen, eine neue Identität anzunehmen. Marsalek nutzte den Pass eines russisch-orthodoxen Priesters. Eine Passkopie mit Foto von Marsalek liegt dem Rechercheteam vor. Mit diesem Dokument soll er sich im September 2020 auf der Krim als “Konstantin Bajasow” ausgegeben haben.
Marsaleks Anwalt reagierte auf einen umfangreichen Fragenkatalog nicht. “ZDF frontal“ hat gemeinsam mit „Spiegel“, „Standard“ und „The Insider“ über Monate zu Jan Marsalek recherchiert.
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