Katja Wolf hat Großes vor. „Wir könnten das Zünglein an der Waage sein, und wir werden es voraussichtlich sein“, sagt die Chefin des Bündnisses Sahra Wagenknecht, kurz BSW, in Thüringen. Die 48 Jahre alte Noch-Bürgermeisterin von Eisenach, die von der Linken zum BWS gewechselt ist, spricht in Erfurt über die Chancen der neuen Partei bei der Landtagswahl im September. Da könnte das BSW der Königsmacher werden. Für Wolfs Selbstbewusstsein gibt es gute Gründe. Laut Umfragen käme die Partei sicher in den Landtag, vielleicht sogar mit zweistelligem Ergebnis. Das liegt an der sympathisch auftretenden Landeschefin, die in Thüringen beliebt ist. Und noch mehr an Frontfrau Sahra Wagenknecht, die im thüringischen Jena geboren wurde und Ost-Identität ausstrahlt, auch wenn sie im Saarland wohnt und ihre politische Karriere in Berlin und Nordrhein-Westfalen gemacht hat.
Doch der Zuspruch, den das BSW erfährt, schafft auch Probleme für die junge Partei. Den ganzen Aufbau, von der Programmatik bis zu den juristischen Schritten, leisten Ehrenamtliche in ihrer Freizeit, bisher gibt es in Thüringen nur einen hauptamtlichen Mitarbeiter. Für die Kommunalwahlen am 26. Mai hat das Thüringer BSW 90 Kandidaten aufgestellt, von vornherein wollte die Partei nur in fünf von 17 Landkreisen antreten. In vier Kreisen hat sie es geschafft, die nötigen Unterschriften zu erhalten. Wegen der Kürze der Zeit habe der Landesvorstand „auf der Bremse“ gestanden, sagt Wolf. Es sei wichtig gewesen, die juristischen Hürden sicher zu nehmen und „nicht im Desaster zu landen“.
Schwurbler will man nicht
Auf der Bremse steht das BSW auch, wenn es um die Aufnahme von Mitgliedern geht. „Wir sind eine sehr heterogene Partei“, sagt der Ko-Landesvorsitzende Steffen Schütz, ein 57 Jahre alter Marketingunternehmer. Ein gutes Drittel der Mitglieder bringe Erfahrungen aus anderen Parteien mit, zwei Drittel seien Neulinge in der Politik. Nicht nur von der Linken sind Leute zum BSW gewechselt, sondern auch von FDP, SPD oder CDU. Gerade mit den ehemaligen CDU-Mitgliedern mache es „total Spaß zu arbeiten“, sagt Wolf. Ehemalige AfD-Mitglieder würden nicht aufgenommen. Im Einzelfall könne es da zu Ungerechtigkeiten kommen, schließlich habe jeder Mensch das Recht, Irrwege zu beschreiten und umzukehren. „Aber es wäre im Moment das falsche Signal, und es würde uns zerreißen“, sagt Wolf.
Die Sache mit den Mitgliedern zerreißt die neue Partei auch so beinahe. Das kleine Führungsteam in Thüringen spricht mit Bewerbern, schaut sich deren Profile in den sozialen Medien an. Schwurbler oder Leute, die andere beleidigten, wolle man nicht, sagt Schütz. Dabei seien Unternehmer, Künstler, Erzieher oder Sozialarbeiter, ein Koch werde auf der Liste für die Landtagswahl weit oben stehen. Und natürlich gebe es erfahrene Politiker.
Allerdings kann der Landesverband neue Mitglieder nur nach Berlin empfehlen. Die Sichtung der Anträge erfolgt auf Bundesebene, sie entscheidet laut Satzung über die Aufnahme neuer Mitglieder. Die Partei soll, so hat Wagenknecht entschieden, langsam wachsen. Das BSW-Team in Thüringen versteht das. Schließlich habe man am Beispiel der AfD gesehen, wie schnell sich die ehemalige Professorenpartei gewandelt habe, sagt Wolf. Zugleich ist Wolfs Mannschaft mit dem Frust der vielen Beitrittswilligen konfrontiert, die seit Monaten vergeblich auf ihre Aufnahme warten. In Thüringen seien das rund tausend Personen, sagt Ko-Landeschef Schütz. Und Wolf ergänzt: „So 700 bis 800 von denen würden wir schon gern aufnehmen.“
Doch das widerspricht den Vorstellungen von Wagenknecht, die bis zur Bundestagswahl 2025 nur 2000 Mitglieder in der Partei haben will. Sie sollen zudem ausgewogen aus allen Bundesländern kommen. Und so hat der Landesverband Thüringen derzeit 56 Mitglieder – statt der möglichen 700 oder 800. „Es muss uns gelingen, diejenigen, die in Warteposition sind, so einzubinden, dass sie das Gefühl haben, wir brauchen sie“, sagt Wolf.
In Sachsen ist die Lage ähnlich
Wie schwierig die Situation für die junge Partei ist, macht Schütz mit einem Vergleich aus der Hochzeitsanbahnung klar. „Du stehst mit einem Blumenstrauß vor der Tür, aber die Braut macht nicht auf.“ Wenn einem Bewerber das dreimal passiere, dann überlege er doch, ob die Braut nicht besser auf einen anderen warten solle. Über das Problem sei man „mit Berlin“ täglich im Gespräch. Doch habe man nicht die Kraft und Zeit, um neben der Listenaufstellung und der Diskussion über ein Wahlprogramm die Aufnahme neuer Mitglieder allein zu organisieren. Ganz überzeugend klingt das nicht.
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Die Situation des BSW in Sachsen ist ähnlich. Dort hat sich Sabine Zimmermann den Hut aufgesetzt und die Gründung des Landesverbands vorangetrieben. Zimmermann, eine 63 Jahre alte Gewerkschafterin, war 16 Jahre für die Linke im Bundestag. Bei den sächsischen Kommunalwahlen im Juni werde das BSW in neun von zehn Landkreisen für die Kreistagswahlen kandidieren, sagt die Landesvorsitzende der F.A.Z. Auch bei der Kommunalwahl in den kreisfreien Städten Leipzig, Dresden und Chemnitz trete die Partei an.
Das Casting für die Partei macht Zimmermann Spaß. Hunderte Gespräche mit Bewerbern habe sie im zurückliegenden halben Jahr geführt, ist dafür durch ganz Sachsen gefahren. Nach ihren Kompetenzen habe sie die Leute befragt, ihren politischen Vorstellungen, aber auch danach, ob sie Plakate aufhängen wollen. Das Missverhältnis zwischen den wenigen Mitgliedern und den vielen, die es gern werden wollen, ist in Sachsen ähnlich wie in Thüringen. Der Landesverband zählt derzeit 65 Mitglieder.
Vor wenigen Tagen gab es ein Unterstützertreffen mit Sahra Wagenknecht in Leipzig, 400 Leute waren gekommen. „Die wollen natürlich alle Mitglieder werden“, sagt Zimmermann. Doch das mit der Mitgliedschaft sei nicht entscheidend, viel wichtiger sei es, das BSW erfolgreich an den Start für die Landtagswahl zu bringen. Derzeit würden 30 Leute bis in die Nacht über das Programm debattieren, zudem die ganze organisatorische Arbeit stemmen. „Die mussten alle ihre Garagen freiräumen, damit wir die vielen Plakate lagern konnten.“
In Sachsen und in Thüringen hat das BSW seine Parteitage, auf denen über Wahlliste und Programm entschieden wird, verschieben müssen. Zu viele Fragen waren noch ungeklärt. Am 18. Mai soll nun der Parteitag in Dresden stattfinden, Erfurt folgt am 1. Juni. Auch in Sachsen setzt man auf eine Mischung aus erfahrenen Politikern und Neulingen. Die Erfahrenen machen etwa ein Drittel aus. Unternehmer, Krankenschwestern, Immobilienmakler oder Betriebsratsvorsitzende gehörten dazu. Man wolle aber keine Leute, die schon in fünf anderen Parteien gewesen seien, sagt Zimmermann, die selbst vor ihrer Zeit im BSW schon bei der Linken und in der SPD war. Ehemalige AfD-Mitglieder oder Reichsbürger nehme das BSW nicht auf. Bei ihren Castings sei einmal ein Bewerber aus der AfD aufgetaucht, erzählt Zimmermann. Er habe einen falschen Namen genannt und eine Perücke getragen. Der Mann sei aufgeflogen.
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