Vorwurf Beihilfe zum Genozid: IGH weist Eilanträge gegen Deutschland zurück

Nicaragua ist vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) mit einem Eilverfahren gescheitert, in dem es ein sofortiges Ende der deutschen Unterstützung Israels gefordert hat. Die Regierung um den autoritären Machthaber Daniel Ortega hatte in Den Haag verlangt, dass die Bundesregierung ihre Militärhilfen an Israel unverzüglich aussetzt. Außerdem hatte das Land die Zusage weiterer Hilfen an die Palästinenser gefordert.

In einer Entscheidung, die mit 16 Stimmen zu einer Stimme ergangen ist, wies der Gerichtshof die Anträge nun zurück. Gegen die Mehrheit stimmte der ehemalige Ministerpräsident Jordaniens, Aun al-Chasauneh. Er war von Nicaragua als sogenannter Ad-hoc-Richter für das Verfahren benannt worden. 

Verkündet wurde die Entscheidung am Dienstagnachmittag vom jüngst gekürten Präsidenten des Gerichtshofs, Nawaf Salam. Der Libanese hob hervor, dass der IGH äußerst besorgt auf die Situation in Gaza blicke, auf die Zerstörungen und die vielen Toten. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind es inzwischen mehr als 33.000. Salam ermahnte alle Staaten, sich an das internationale Recht zu halten. Das sei von besonderer Bedeutung, wenn Waffen an Staaten geliefert würden, die an kriegerischen Auseinandersetzungen beteiligt seien. Die völkerrechtlichen Pflichten träfen auch Deutschland, unterstrich Salam. Für einstweilige Anordnungen sehe der Gerichtshof aber keine Veranlassung. 

Offen ist nach der Entscheidung noch ein Hauptverfahren in Den Haag, über das die Richter noch entscheiden müssen. Darin hält Nicaragua der Bundesregierung vor, durch die Hilfe an Israel Beihilfe zum Rechtsbruch zu leisten. Neben dem Vorwurf, Israel begehe in Gaza einen Völkermord, zu dem Deutschland durch politische, finanzielle und militärische Unterstützung Hilfe leiste, geht es um Verstöße ge­gen humanitäres Völkerrecht. So heißt das Recht, das für kriegerische Auseinandersetzungen gilt. Außerdem macht Nicaragua das Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser geltend.

Noch kein Urteil über Völkermordvorwurf an sich

Es ist das erste Verfahren, in dem ein Land sich vor dem IGH verantworten muss, das nicht selbst an Kampfhandlungen beteiligt ist, aber eine Kriegspartei unterstützt.

Als der IGH vor drei Wochen über die Eilanträge verhandelte, argumentierte Nicaragua, Deutschland sei nicht nur verpflichtet, keine Völkermorde oder Kriegsverbrechen zu begehen. Als Vertragspartei der Völkermordkonvention müsse Deutschland auch alles tun, um solche Verbrechen zu verhindern. Die Bundesregierung vernachlässige diese Verpflichtung. Obwohl sich Deutschland der Verbrechen bewusst sei, die Israels Regierung im Gazastreifen begehe, liefen die Waffengeschäfte weiter, „sogar besser als bisher“, sagte der französische Völkerrechtler Alain Pellet.

Die Bundesregierung verwies ihrerseits auf die „robuste“ Kontrolle, der deutsche Rüstungsexporte unterlägen. Insgesamt sei das Exportvolumen seit den Terrorangriffen der Hamas erheblich zurückgegangen. 98 Prozent der Lieferungen seit dem 7. Oktober hätten im Übrigen „sonstige Rüstungsgüter“ umfasst, nicht Kriegs­waffen. 

Anders als Nicaragua geht die Bundesregierung schon nicht davon aus, dass Israel der Vorwurf eines Völkermordes gemacht werden kann. Aus deutscher Sicht fehlt es also bereits an der Tat, zu der Hilfe geleistet werden kann. Die Bundesregierung verweist immer wieder auf die „genozidäre Absicht“, die laut UN-Konvention eine Voraussetzung von Völkermorden ist. Dieses „Verbrechen der Verbrechen“ muss demnach in der Absicht begangen werden, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe „als solche ganz oder teilweise zu zerstören“. Israel müsste eine kollektive Agenda nachgewiesen werden, Palästinenser zu töten, weil sie Palästinenser sind – und nicht, um sich gegen die Hamas zur Wehr zu setzen.

Auch an Vorsatz fehle es der Bundesregierung, argumentieren deren Völkerrechtler. Er muss sich hier auf zwei Dinge beziehen: darauf, dass überhaupt ein Völkermord geschieht, und darauf, dazu Hilfe zu leisten.

Über den Völkermordvorwurf an sich haben die Richter in Den Haag noch nicht geurteilt. Er ist Gegenstand einer Klage, die Südafrika dort gegen Israel erhoben hat. Auch in diesem Verfahren hat der IGH bislang nur über Eilanträge entschieden. Ende Januar verpflichteten die Richter Israel, die Zivilbevölkerung im Gazastreifen besser zu schützen und alle nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um einen Völkermord zu verhindern. 

Zahlungen an Hilfswerk freiwillig

Nicaragua ging es in seinem Eilverfahren nicht nur um die Unterstützung Israels. Das Land kritisierte Deutschland auch dafür, dass Zahlungen an das Palästina-Hilfswerk der Vereinten Nationen UNRWA künftig ausbleiben könnten. Im Januar waren Vorwürfe laut geworden, wonach UNRWA-Mitarbeiter an den Massakern vom 7. Oktober beteiligt waren. Die Bundesregierung entschied daraufhin, künftige Zahlungen an das Hilfswerk im Gazastreifen vorerst auszusetzen. Vor dem IGH forderte Nicaragua, diese Entscheidung unverzüglich rückgängig zu machen.

Auch dieser Antrag blieb erfolglos. Der Präsident des Gerichtshofs hob am Dienstag unter anderem hervor, dass derartige Zahlungen freiwillig seien. 

In der mündlichen Verhandlung hatte der Völkerrechtler Christian Tams darauf verwiesen, dass Deutschland seine Unterstützungen der Palästinenser seit Oktober verdreifacht habe. Die vorläufige Entscheidung, UNRWA im Gazastreifen künftig nicht mehr zu unterstützen, habe außerdem noch keinen Cent weniger bedeutet. Tatsächlich war eine weitere Zahlung zum Zeitpunkt der Verhandlung noch nicht fällig gewesen.

Vor wenigen Tagen kündigte die Bundesregierung dann an, die Arbeit mit UNRWA auch in Gaza fortzusetzen. Es sind Meldungen, die wohl auch ein Zeichen an die Länder sein sollen, in denen die deutsche Israelpolitik zunehmend Verstörung hervorruft. Auch in Den Haag hatte sich die Bundesregierung bemüht, ihr Engagement für die Palästinenser hervorzuheben. Deutschland lasse nichts unversucht, um deren Leid zu lindern, hatte sie im Friedenssaal hervorgehoben.

Es ist ein Eindruck, den am Montag wohl auch Außenministerin Annalena Baerbock verstärken wollte. Sie war nach Riad gereist und nahm dort unter anderem an einem von Saudi-Arabien und Norwegen initiierten Treffen arabischer und europäischer Außenminister teil. Baerbock habe noch einmal hervorgehoben, dass ein verbesserter humanitärer Zugang nach Gaza und die Freilassung der Geiseln dringend nötig seien, hieß es anschließend. Auf deutscher Seite erwartet man offenbar auch, dass die arabischen Staaten ihren Druck auf die Hamas erhöhen, damit diese den Terror beende und die Geiseln freilasse.

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