Kommentar zum Schuldspruch in New York: Trump, der Täter

Dass der New Yorker Prozess gegen Donald Trump ein riskantes Unterfangen war, ist eine Untertreibung. Da war ein Staatsanwalt, der anfangs selbst zweifelte, ob er Anklage erheben sollte. Da war ein ziemlich schmieriger Kronzeuge namens Michael Cohen. Und da war ein rechtliches Konstrukt, auf dessen Basis der Angeklagte verurteilt werden sollte, das, gelinde gesagt, kompliziert war: ein Vergehen, das in Verbindung mit einer zweiten Straftat zum Verbrechen wird.

Juristisch stellte sich die Frage, ob die Fälschung von Geschäftsunterlagen mit der Absicht, ein Schweigegeld zu verschleiern und so die Präsidentenwahl 2016 gesetzwidrig zu beeinflussen, die hohe Hürde nehmen würde, einen früheren Präsidenten zu verurteilen. Politisch stellte sich die Frage, welchen Schaden es gegeben hätte, wenn der Prozess gescheitert wäre. Wenn auch nur ein einziger Geschworener nicht von der Schuld des Angeklagten überzeugt gewesen wäre, hätte ein „Fehlverfahren“ festgestellt werden müssen.

Trump hätte das als Freispruch gefeiert. Er hätte argumentiert, dass der Fall so manipuliert gewesen sei, dass selbst die voreingenommenen New Yorker Geschworenen nicht der Anklage folgten. Sein Narrativ von der politischen Strafverfolgung durch die Demokraten hätte wie ein Schatten auf den drei anderen Strafverfahren gegen ihn gelegen.

Viele kannten das Risiko des Prozesses und machten Justizminister Merrick Garland dafür verantwortlich, dass der viel wichtigere Strafprozess gegen Trump – der wegen Wahlverschwörung in Washington – nicht vor dem New Yorker Verfahren um eine Jahre zurückliegende Affäre mit einer Pornodarstellerin begonnen habe.

Auf all das hatte Trump gesetzt. Und doch ist es nicht eingetreten. Die Beweise waren zu klar, auf den Zeugen Cohen kam es gar nicht mehr an, und der Staatsanwalt machte beim Schlussplädoyer einen Stich nach dem anderen. Ergebnis: Schuldig in allen Punkten. Der ehemalige Präsident – ein verurteilter Straftäter. Als Erster in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Das Strafmaß wird Mitte Juli festgesetzt – vier Monate vor der Präsidentenwahl und wenige Tage vor dem Nominierungsparteitag der Republikaner in Milwaukee.

Ein Wendepunkt im Wahlkampf?

Nun stellt sich die politische Schadensbilanz ganz anders dar. Gewiss, Trump wird in Berufung gehen. Doch zieht er eben als Straftäter in den Wahlkampf. Den Kern seiner Wählerbasis wird das zwar nicht beeindrucken. Sie stehen zu ihrem Anführer und plappern dessen Phrasen über das angeblich korrupte System bereitwillig nach. Um diese Wähler geht es aber nicht. Unabhängige und ein Teil der traditionellen Republikaner haben deutlich gemacht, dass es für sie sehr wohl einen Unterschied macht, ob ihr Kandidat ein verurteilter Straftäter ist. Um diese Wähler geht es jetzt.

Anhänger Donald Trumps vor dem Gerichtsgebäude in New York
Anhänger Donald Trumps vor dem Gerichtsgebäude in New YorkLaif

Gerade erst hatte Nikki Haley, Trumps einstige Rivalin in den republikanischen Vorwahlen, in einer taktischen Pirouette erklärt, dass der Kandidat zwar weiterhin auf ihre Wähler zugehen müsse, sie aber für ihn stimme werde. Damit wollte sie sich erkennbar Chancen für 2028 sichern, wenn bei den ­Republikanern die Karten neu gemischt werden. Womöglich bereut sie nun, nicht noch ein paar Tage gewartet zu haben. Ihre Wähler treffen ohnehin eine eigene Wahl. Für viele von ihnen war Trump schon vor der Verurteilung nicht wählbar. Grund dafür ist vor allem der 6. Januar 2021, also der Sturm auf das Kapitol. Einige werden sich der Stimme enthalten, andere wählen trotz programmatischer Bedenken Joe Biden.

Für den könnte der 30. Mai die Wende in einem bisher wie verhext wirkenden Wahljahr werden. Als wäre die Aufgabe, die Wählerallianz von 2020 noch einmal hinter sich zu versammeln, mit Blick auf die moderate Mitte nicht schon schwer genug, drohte dem Präsidenten wegen des Gazakriegs infolge des Terrorangriffs der Hamas auf Israel auch noch der linke Flügel von der Fahne zu gehen. Umfragen in den wahlentscheidenden Swing States versprachen nichts Gutes.

Nun, nach dem Ende des Prozesses, kann Biden seine zentrale Botschaft bekräftigen: Man möge ihn nicht mit dem Allmächtigen vergleichen, sondern mit der Alternative. Diese ist ein verurteilter Straftäter, der sich noch in drei weiteren Strafverfahren verteidigen muss. Das Urteil könnte ein Wendepunkt im Wahlkampf sein.

Trump lebte lange von seinem Sieger-Image. Das entsprach schon lange nicht mehr der Wirklichkeit: Seit 2018 hat er in Wahlen fast nur noch verloren. Und nun verliert er auch vor Gericht. Trumps Gesicht war rot bei der Urteilsverkündung, sein Blick versteinert. Als wüsste er, dass er am Donnerstag nicht nur einen Prozess verloren hat. Die Szene erinnerte an das Wahljahr 2020, als Trump begriff, dass das Coronavirus ihn den Wahlsieg kosten würde.

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