Hier geht die „Gen Z“ gegen hohe Steuern auf die Straße

Fast eine Minute lang nahm ihr das Tränengas der Polizei den Atem. Dann schrie Auma Obama ihre Wut in das Mikrofon eines CNN-Reporters: „Diese jungen Leute sind gekommen, um für ihre Rechte zu demonstrieren – mit Flaggen und Bannern, und nichts anderem“, so die 64-jährige kenianische Halbschwester des ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama am Dienstagvormittag, inmitten der blutigen Proteste in der Hauptstadt Nairobi. Die Politiker sollten auf die Menschen der „Generation Z“ hören, schimpfte die bekannte Aktivistin, „sie sind unsere Zukunft.“

Um die Finanzierung dieser Zukunft wird in Kenia derzeit so vehement gerungen wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Am Dienstag eskalierten die seit Wochen andauernden Proteste gegen massive Steuererhöhungen. Bürger stürmten das Parlament und setzten es, wie auch andere Verwaltungsgebäude, teilweise in Brand. Kurz zuvor hatte dort die Regierungskoalition von Präsident William Ruto das neue „Finanz-Gesetz“ verabschiedet. Während die Parlamentarier durch Tunnel evakuiert wurden, setzten Polizei und Armee scharfe Munition gegen Demonstrierende ein. Eine Ärztevereinigung berichtete von 23 Toten.

Kenia versucht, seine enorme Schuldenlast auf Drängen des Internationalen Währungsfonds (IWF) durch zusätzliche Steuereinnahmen in den Griff zu bekommen. Mit diesem Unterfangen tun sich viele hochverschuldete afrikanische Entwicklungsländer schwerer als etwa asiatische oder lateinamerikanische Staaten. Trotz internationaler Hilfe: Das deutsche Bundesunternehmen „Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit“ (GIZ) beispielsweise unterstützt Tunesien und Benin, wo man an der Besteuerung des informellen Sektors verzweifelt.

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Entwicklungshilfe

Im ostafrikanischen Kenia ist die Situation besonders kompliziert. Unter der Präsidentschaft von Rutos Vorgänger Uhuru Kenyatta hat das Land seine Staatsverschuldung vervierfacht, annähernd 40 Prozent der Staatseinnahmen versickern in der Tilgung und lassen immer weniger Spielraum, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die eingenommenen Steuern betragen 15 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, eine im afrikanischen Vergleich durchschnittliche Steuerquote. Angesichts der fortgeschrittenen Industrialisierung des Landes gilt sie bei Finanzexperten jedoch als zu niedrig.

Die geplanten Maßnahmen der Regierung werden die ohnehin massiv gestiegenen Lebenshaltungskosten ärmerer Bevölkerungsschichten weiter verteuern. Entsprechend sorgte die Aussicht auf neue Steuern für Hygieneartikel für Frauen, Grundbesitz, Speiseöl und Autos für deutlich mehr Empörung, als etwa die Erhöhung der nur von einer Minderheit bezahlten Einkommenssteuern.

So recht wollen die aktuellen Vorgänge nicht in das Image Rutos im Westen passen. Dort wurde der seit knapp zwei Jahren regierende Multimillionär zuletzt regelrecht hofiert. Klarer als jedes andere afrikanische Land bezog Kenia Stellung gegen Russland, es investierte im großen Stil in erneuerbare Energie. Vor einigen Wochen erst unterschrieb Ruto ein Migrationsabkommen mit Deutschland, US-Präsident Joe Biden gewährte ihm einen Staatsbesuch mit höchsten diplomatischen Ehren.

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Bundeshaushalt

Angesichts der Plünderungen in Nairobis Innenstadt und der Zerstörungen im Parlament versuchte Ruto in einer Fernseh-Ansprache, die Eskalation der „legitimen“ Proteste als Taten „organisierter Krimineller“ herunterzuspielen. Seine Regierung werde alles unternehmen, eine Wiederholung derartiger Gewalt zu verhindern, „koste es, was es wolle.“ Am Mittwoch aber ruderte er dann offenbar zurück. Kenianischen Medienberichten zufolge unterschrieb er das Gesetz nicht und schickte es zur Beratung an das Parlament zurück.

Von einer Brotsteuer etwa nahm Ruto bereits Abstand, wohl wissend, dass teurere Brotpreise einst den Arabischen Frühling und die Revolution im Sudan mit ausgelöst hatten. Wissenschaftler haben berechnet, dass schon ein zehnprozentiger Anstieg der Nahrungsmittelpreise die Wahrscheinlichkeit für politische Unruhen in Afrika um 39 Prozent erhöhen würde.

Wut auf Elite

Den Demonstrierenden geht das nicht weit genug, sie fordern die vollständige Rücknahme des Gesetzes. Wer wollte es ihnen verübeln, angesichts der Spendierfreude der Regierung in anderen Bereichen. So mag die Errichtung riesiger Staudämme oder neuer Straßennetze noch breiteren Bevölkerungsschichten zugutegekommen sein: Doch an der für viele Milliarden Dollar errichteten Zugstrecke Nairobi-Mombasa erfreut sich in erster Linie die überschaubare Mittelschicht. Und zwischen den 500 Kilometer langen Gleisen versickerten Korruptionsgelder förmlich. Das unprofitable Prestigeprojekt wurde ohnehin größer angelegt, als es der Bedarf rechtfertigte – davor warnte schon während der Planungsphase eine afrikanische Expertengruppe.

Derweil werden zahlreiche von China gewährte Kredite in den kommenden Jahren fällig, eine erhebliche Schuldenlast besteht aber auch an den privaten Finanzmärkten. Das macht die Rückzahlung nicht nur in Kenia ungleich komplizierter.

Die Wut der kenianischen Jugend wird zudem von der schamlos agierenden politischen Elite angefacht. In Vergleichsstudien zu Parlamentariergehältern verschiedener Länder steht Kenia oft weit oben. Die Reputation der Politiker ist gleichzeitig katastrophal. Kenianer halten laut Meinungsumfragen jeden zweiten Abgeordneten für korrupt. Und bezogen auf die Polizei, die schon zu Covid-Zeiten Lockdown-Bestimmungen mit teils tödlicher Gewalt durchgesetzt hatte, gilt dieser Generalverdacht für Zweidrittel des Personals.

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