Mit Faesers neuester Idee droht Kulturalismus

Staatspersonal soll öfter Zuwanderungsgeschichte haben – dieses Ziel verfolgt Innenministerin Faeser. Das klingt in einem Zuwanderungsland einleuchtend, droht aber ins Kulturalistische abzurutschen – und dadurch den Rechtsstaat zu schwächen.

Empörung erntete Bundesinnenministerin Faeser (SPD), als ihr jüngster Plan bekannt wurde: Sie will mehr Migranten im Staatsdienst. Sogleich überschlugen sich die Sorgen: Wird Staatspersonal künftig nach Ahnenreihe ausgesucht? Bedeuten deutsche Eltern das Karriere-Aus? Sind arabische Vorfahren Aufstiegsgaranten?

Das klang, als hätte erst Nancy Faeser das migrantische Personalreservoir für den Staatsdienst entdeckt. Ein Blick in die Länder belehrt eines Besseren: Sie versuchen teils seit 15 Jahren, mehr Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Ministerien und Ämter zu bringen. Die dabei gesammelte Erfahrung zeigt: Die aktuellen Sorgen vor Faesers Migrantisierungskurs sind zum Glück überzogen.

Und trotzdem: Ihr Versuch, die Bevölkerungszusammensetzung im Staatspersonal zu spiegeln, ist heikel. Er droht permanent ins Kulturalistische, wo nicht ins Absurde abzurutschen – und dadurch den Rechtsstaat zu schwächen.

In NRW seit zwölf Jahren gängige Praxis

Faesers vorläufiger Entwurf sieht eine Art Appell an Migranten vor: Jede Stellenausschreibung soll fortan den Hinweis enthalten, „dass auch Bewerbungen von Personen mit Einwanderungsgeschichte erwünscht sind“. Außerdem möchte sie die Entwicklung der Migrantenzahl im öffentlichen Dienst alle vier Jahre überprüfen. Kritiker warnen, damit werde Druck auf Mitarbeiter ausgeübt, bei Stellenausschreibungen den Bewerber mit Zuwanderungsgeschichte demjenigen ohne ausländische Vorfahren vorzuziehen. Das laut Verfassung allein maßgebliche Kriterium leistungsmäßiger Qualifikation würde durch blutsmäßige Qualifikation abgelöst.

Sollte diese Gefahr bestehen, müsste sie in Bundesländern wie NRW längst wahr geworden sein. Denn in NRW ist der Migranten-Appell bei Stellenausschreibungen seit über zwölf Jahren gängig. Auch das Monitoring der Migrantenzahl gibt es in den Ländern schon seit über einem Jahrzehnt. Sie erheben diese Zahl nicht (wie von Faeser geplant) alle vier, sondern sogar alle zwei Jahre.

Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit kassiert

Und? Häufen sich in NRW Klagen über eine Blut-statt-Besten-Auslese? Nein, darüber klagt keine einzige Landtags-Fraktion (inklusive der AfD). Selbst das grüne Integrationsministerium hält an der Bestenqualifikation fest. Und würde die Landesregierung in NRW das Leistungsprinzip insgeheim auszuhebeln versuchen, wäre der öffentliche Dienst längst auf den Barrikaden – so wie 2017. Damals versuchte Rot-Grün tatsächlich, das Leistungsprinzip zugunsten einer Bevölkerungsgruppe (der Frauen) auszuhebeln.

Bei Stellenbesetzungen, so dekretierte Rot-Grün seinerzeit, sollte eine Frau einem männlichen Mitbewerber auch dann vorgezogen werden, wenn sie nur „im Wesentlichen“ so gut qualifiziert war wie der Mann. Die Folgen waren katastrophal. Gewerkschaften und Personalräte bliesen zur Abwahl von Rot-Grün (die auch folgte), Beamte verklagten ihren Arbeitgeber, ganze Behörden traten in offenen Widerstand und ignorierten geltendes Recht. Schließlich wurde das Gesetz wegen Verfassungswidrigkeit vor Gericht einkassiert.

Berechtigte Skepsis gegenüber Faesers Idee

Die Lektion saß. Seitdem sind die Bundesländer, ob von CDU, FDP, SPD oder Grünen regiert, respektvoller gegenüber dem Prinzip der Bestenauslese. Selbst im damals rot-rot-grünen Berlin wurde der Linkspartei-Vorstoß für eine Migrantenquote 2021 von der SPD abgebügelt – wegen offenkundiger Verfassungswidrigkeit.

Gleichwohl ist Skepsis gegenüber dem neuesten Einfall aus dem Hause Faeser berechtigt: Wo die Zusammensetzung der Verwaltung die Zusammensetzung der Bevölkerung spiegeln soll, droht Kulturalismus, also eine schädliche Überbetonung des kulturellen Faktors – den Linke üblicherweise gern ihren politischen Gegnern unterstellen. Dabei ist das Ziel ja verständlich: Es existiert ein krasses Missverhältnis zwischen der Zahl der Migranten im Volk (rund 30 Prozent) und im Staatsapparat (rund 15 Prozent).

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Sollen sich Zugewanderte mit ihrem Land identifizieren, müssen sie sich in dessen Institutionen wiedererkennen. Dabei hilft es, so argumentieren alle Parteien, wenn sie in diesen Institutionen Menschen mit Zuwanderungsgeschichte begegnen.

Muss unser Rechtsstaat nicht farben- und kulturblind sein?

Wünschenswert ist es allemal, wenn schwarze oder braune Deutsche auch mal einen braunen oder schwarzen Deutschen als Sachbearbeiter im Finanzamt, als städtischen Sozialarbeiter, Staatssekretär oder Polizisten treffen. Zudem kann dies, so argumentieren die Parteien (außer der AfD), die Effektivität staatlichen Handelns steigern. Ein türkeistämmiger Jugendamtsmitarbeiter kann türkeistämmige Familien meist besser erreichen. Und ein arabischstämmiger Kollege des Ordnungsamtes kann Vermüllungstendenzen in einem arabisch geprägten Straßenzug wohl eher Einhalt gebieten.

Nur: Wie weit wollen wir die Durchsetzung des Rechtsstaates davon abhängig machen, ob die Exekutive die richtige Abstammungsgeschichte, die richtige Hautfarbe hat? Muss unser Rechtsstaat nicht farben- und kulturblind sein? Muss ein Migrant seinen Müll nicht in jedem Fall in die Tonne anstatt auf die Straße werfen – gleich, ob der Mitarbeiter des Ordnungsamtes Michael oder Murad heißt? Und wollen wir die Identifikation mit unserer Werteordnung wirklich durch die richtige Haarfarbe ihrer Vertreter erreichen? Damit entsorgt die multikulturelle Sensibilität Grundprinzipien unseres Rechtsstaates.

Absurde Logik des Repräsentationsgedankens

Und noch ein Haken: Wer den Staat gezielt migrantisiert, um diese Bevölkerungsgruppe angemessen zu repräsentieren, rutscht in einen Strudel kleinteiliger, geradezu absurder Repräsentationsverpflichtungen hinein. Denn: Auch Migranten sind heterogen. Muss man sie nicht nach Herkunft unterscheiden, wenn man der Zusammensetzung der Bevölkerung gerecht werden will? Bräuchten dann nicht auch Muslime mehr Präsenz? Aber wie viel Präsenz für welche muslimische Gruppe?

Und wie könnte man dieses Ziel dann noch Christen, Buddhisten, Hindus, Juden und Atheisten vorenthalten? Wie steht es mit den 20 Prozent der über 65-Jährigen? Auch unterrepräsentiert! Wie mit Einkommensschwachen und Bildungsfernen? Oder mit den rund zehn Prozent der Behinderten? Eigentlich hilft da nur der einkommensschwach-behinderte Über-65-Jährige muslimischen Glaubens mit Zuwanderungsgeschichte. Qualifikation schrumpft da schnell zur Nebensache.

Kurz: Der Repräsentationsgedanke ist beim Staatspersonal nicht umsetzbar. So ehrenwert das Ziel ist – die Politik sollte Migranten nicht in den Staat hineinbitten und schon gar nicht hineinbefördern. Sie müssen von allein kommen. Und das tun sie hoffentlich auch.

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