K-Frage in der Union: Greift Söder nochmal an?

„Wir wissen alle, dass für die Union eigentlich mehr drin sein muss“, gibt die nordrhein-westfä­lische CDU-Bundestagsabgeordnete Serap Güler zu. Selbst wenn die CDU im Vergleich zur Bundestagswahl 2021 schon erheblich Boden gutgemacht habe. Auch an­dere finden, dass die Partei unter ihren Möglichkeiten bleibe. Von „Selbsttäuschung“ reden sie, von der Gefahr, sich stärker zu fühlen, als man sei.

Oft kommt die Rede dann auch auf Friedrich Merz. Denn es ist ja nicht so, dass die Kritik an ihm plötzlich verstummt wäre. Sie ist nur leiser geworden, aber noch genauso beißend wie früher. Selbst Kritiker loben zwar, dass Merz die CDU stabilisiert hat, dass das Nach-Merkel-Tief Geschichte ist. Trotzdem könne man sich über sein Verhalten oft nur wundern, sagen manche. Dünnhäutig sei Merz, und seine politische Impulskontrolle immer noch ausbaufähig. Er handle mal so, mal so.

So wie neulich, als er öffentlich erst eine scharfe Brandmauer zu Wagenknechts BSW zog und sie kurz darauf, als ostdeutsche Parteifreunde protestierten, wieder abbauen musste und nur noch für den Bund stehen lassen wollte. Selbst CDU-Leute, die Merz eigentlich wohlgesinnt sind, fanden das „nicht glücklich“.

Manche haben Angst, dass der CDU die Mitte abhanden kommt

Noch argwöhnischer sehen manche in der CDU den Richtungsschwenk ihres Vorsitzenden in Sachen Ukrainepolitik. Ausgerechnet Merz, der im Frühjahr in der Taurus-Frage noch „Taten statt Worte“ vom Kanzler gefordert und ihm mangelnde Unterstützung der Ukraine vorgeworfen hatte, insinuierte jetzt im Sommerinterview, die Lage sei mittlerweile eine andere, und man müsse sehen, wie dieser Krieg „irgendwann mal beendet wird“.

Wahlumfragen nehmen Einfluss auf die Politik, schwanken aber oft stark.
SonntagsfrageWie stark ist welche Partei?

Nicht nur die Verteidigungspoli­tiker der Union rieben sich ungläubig die Augen. Damit reiße Merz alles ein, was man sich vorher mühsam aufgebaut habe, und das nur, weil er den ostdeutschen Parteifreunden vor der Wahl einen Gefallen tun wolle – so sehen es manche.

Strategisch sei das mindestens so „verheerend“ wie die Momente, als Merz über „kleine Paschas“ oder Asylbewerber herzog, die sich in Deutschland angeblich die Zähne machen ließen. Die Rechtskonservativen könne man mit solchen Einwürfen vielleicht begeistern, den Sozialflügel eher nicht, sagen die Kritiker. Sie fürchten, dass der CDU unter Merz die Mitte abhanden kommt.

Der Sauerländer wird als Leitfigur respektiert, das schon, aber geliebt wird er deshalb nicht. Eine Palastrevolte muss er zwar nicht fürchten; eigentlich sagen alle, dass an ihm kein Weg vorbeiführe. „Der Einzige, der Friedrich Merz noch verhindern kann, ist Friedrich Merz“, glaubt ein CDU-Präsidiumsmitglied. „Eigentlich“ sei die Führungsfrage geklärt, und „eigentlich“ wisse das auch jeder. „Aber sie ist eben noch nicht beschlossen.“ Deshalb werbe er „dringend“ dafür, die K-Frage spätestens im Spätsommer zu klären, nach der Brandenburg-Wahl.

Ein CDU-Bundestagsabgeordneter sagt: „Wenn nicht noch eine Katastrophe passiert, dann ist der Drops gelutscht. Dann wird Merz ohne Zweifel Kanzlerkandidat.“ Aber was, wenn die Katastrophe noch kommt?

Das Katastrophenszenario sieht für manche so aus: Bei den Landtagswahlen schneidet die CDU miserabel ab, sie fliegt in Brandenburg aus der Regierung und landet in Sachsen und Thüringen weit abgeschlagen hinter der AfD. Wenn es wirklich so komme, sagen die Pessimisten, sei zweierlei nicht mehr ausgeschlossen: Merz könnte offen infrage gestellt werden – zumal, wenn sein Krisenmanagement dann nicht gut sei. Und ein bay­erischer Wiedergänger namens Markus Söder könnte eine neue Chance wittern und wieder einen Showdown um die K-Frage anzetteln, wie 2021 gegen Armin Laschet.

Einen Hinweis darauf, dass Söder das Rennen um die Kanzlerkandidatur noch nicht abgehakt hat, war das Gerangel in der CSU um die Interpretation des Europawahlergebnisses. Söder und seine Leute waren bemüht, den Eindruck zu vermitteln, dass der CSU-Spitzenkandidat Manfred Weber trotz seiner 39,7 Prozent unter den Möglichkeiten der CSU geblieben sei.

Söders größtes Pfund ist, dass er zumindest im Vergleich zu Merz die besseren Umfragewerte hat und damit bes­sere Wahlchancen verspricht. Da kommt die Lesart, dass es selbst in der CSU einen gibt, der am Ende bessere Ergebnisse als Söder liefert, gar nicht gelegen.

Wird es Markus Söder in Bayern zu fad?

Aber die Situation ist heute anders als 2021. Damals glaubte Söder wirklich, dass Armin Laschet ihm bei Weitem nicht das Wasser reichen könne. Gegenüber Merz empfindet er mehr Respekt, so nehmen es zumindest CSU-Leute wahr. Andererseits beobachten einige, dass ihm Bayern etwas fad werde, zumal er nicht mehr so viel Geld zur Verfügung hat wie früher, um sich zu verewigen.

Manche in seiner Partei glauben auch, er fürchte das Risiko, 2028 bei der Landtagswahl neuerlich als Spitzenkandidat anzutreten. Wenn die Union im Bund eine ungeliebte Koalition ein­gehen müsse und die hohen Erwartungen der Bürger etwa an eine Begrenzung der Migration nicht erfüllen könne, werde es für die CSU in Bayern ganz schwer. Berlin hingegen wäre für den 57 Jahre alten Söder die womöglich letzte Gelegenheit, „auf ein anderes Gleis zu kommen“. So sagt es ein ihm Nahestehender in München.

Der Bär, der Löwe und der Fuchs: Wer ist wer in der Union?
Der Bär, der Löwe und der Fuchs: Wer ist wer in der Union?Illustration F.A.S./Fotos dpa (2)

Wie genau er dahin kommen soll, zumal als Kanzlerkandidat, weiß auch in der CSU keiner. Andererseits verfügen gerade die Söder-Leute über viel Erfahrung aus den Machtkämpfen mit Horst Seehofer und Laschet, wie man Personaldebatten anfachen kann. Da heißt es dann intern, na ja, Merz sei ja durchaus angreifbar. Er selbst mache sich Sorgen. Die SPD habe ihre Kampagne schon in der Tasche. Sie werde sein Alter thematisieren, sein Flugzeug, sein angebliches Problem bei den Frauen.

Stufe zwei sind dann üblicherweise öffentliche Äußerungen. Die könnten diesmal in die Richtung gehen, die der Vorsitzende der CSU-Landtagsfraktion, Klaus Holetschek, nach der Europawahl vorgegeben hat: „Ich meine schon, dass man einfach auch noch mal schauen muss: Wie erreicht man die Menschen in der Breite? Mit wem hat man die Chance, das beste Ergebnis zu erzielen?“

Doch auch in Söders Umgebung weiß man, dass Rufe aus der CSU allein nicht weiterhelfen, so sie nicht auch aus der CDU erschallen. Anscheinend ist es Söder in den vergangenen Jahren aber nicht gelungen, belastbare Seilschaften in der Schwesterpartei aufzubauen und den Argwohn aus dem Jahr 2021 zu beseitigen.

Wenn Leute in der CDU an Merz zweifelten, bedeute das noch nicht, dass sie von Söder überzeugt seien, sagt einer in der CSU. Ein anderer: „Der CDU müsste es schon sehr dreckig gehen, dass sie Söder ruft.“ Selbst der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt erklärte diese Woche beim Sommerfest der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, wer für das Land „der richtige Trainer“ sei: Friedrich Merz. Ähnlich äußerte sich an diesem Wochenende auch Horst Seehofer. „Wir sollten uns hüten, das Jahr 2021 zu wiederholen“. sagte er der „Augsburger Allgemeinen“.

In der CDU ist, anders als 2021, als es viele Laschet-Zweifler gab, heute keine nennenswerte Unterstützung mehr für den CSU-Vorsitzenden auszumachen. Viele Beobachter machten den Fehler, dass sie nicht bedächten, wie die Union ticke, sagt Armin Laschet, der die nachhaltigsten Erfahrungen mit Söders Breitbeinigkeit gemacht hat. „Friedrich Merz hat als Chef der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag und als Bundesvorsitzender der CDU eine sehr starke Stellung. Hinzu kommt: Die CDU hat als viel größere Schwester immer das erste Vorschlagsrecht für die Kanzlerkandidatur.“

Viele rollen mit den Augen, wenn sie Söder nur sehen

Der CDU-Bundestagsabgeordnete, der 2021 noch gegen Laschet war, glaubt: „Söders Chancen liegen bei null Komma null, die CDU wird ihm nicht wieder ei­ne Chance geben.“ Selbst von den anderen, die damals wie er lieber den Bayern vorn gesehen hätten, unterstütze ihn heute niemand mehr. „Söder hat das in ihn gesetzte Vertrauen enttäuscht.“

Auch an der CDU-Basis heißt es, „der Söder“ brauche gar nicht zu kommen, so ein Theater wie vor drei Jahren wolle man nicht noch einmal erleben. Mehrere Gesprächspartner weisen unabhängig voneinander auf die mal als „erratisch“, mal als „wunderlich“ beschriebenen Social-Media-Auftritte des bayerischen Ministerpräsidenten hin.

Teilnehmer des Berliner Parteitags berichten, in der Kongresshalle seien viele CDU-Delegierte schon genervt gewesen, als sie Söder nur sahen – und umso mehr, als der ein Grußwort hielt, das fast schon wie eine Bewerbung um die Kanzlerkandidatur klang.

Belustigt nahmen sie das Gastgeschenk zur Kenntnis, das Merz Söder auf der Bühne überreichte: einen Berliner Bären in Türkisblau, der neuen Farbe der CDU. Der Bär sei größer und schwerer als der Löwe – das bayerische Wappentier –, sagte Merz. Und: „Löwe und Bär legen sich in der Regel nicht miteinander an.“ War das ein Friedensangebot oder eine Warnung auf offener Bühne?

Gilt vielen als massentauglichster Kandidat für die Mitte: der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik Wüst
Gilt vielen als massentauglichster Kandidat für die Mitte: der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Hendrik WüstImago

Es dauerte nicht lange, da gaben Parteifreunde der Geschichte noch einen anderen Dreh. In Chatgruppen sandten sie sich die Fabel „Der Löwe und der Bär“ zu. Verbissen kämpfen die beiden Raubtiere so lange um ein Hirschkalb, bis sie kraftlos zusammenbrechen. Sodann schnappt sich der Fuchs, der so klug war, einfach abzuwarten, die Streitbeute.

Der Fuchs war, neben dem sauerlän­dischen Bär und dem bayerischen Löwen, natürlich Hendrik Wüst, dem manche das Hirschkalb am ehesten gönnen würden. Je nach Interpretation ist Wüst klug oder risikoscheu; jedenfalls würde er nur dann nach der Kanzlerkandidatur greifen, wenn der Bär und der Löwe sich hoffnungslos ineinander verkeilt hätten – oder Merz sich wegen eines Desasters bei den Landtagswahlen nicht mehr halten könnte.

Es stimmt ja: Wüst hat bisher stets versucht, den Eindruck zu erwecken, er ließe die Dinge einfach auf sich zulaufen. Zuletzt war das nach der gescheiterten Kanzlerkandidatur von Laschet so, als ihm das Amt des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten zuzufallen schien. In Wirklichkeit organisierte er sich mit langem Atem seine Truppen, ließ sich im rechten Moment fein austariert sowohl vom Wirtschafts- also auch vom Sozialflügel seiner Partei rufen. Wüst überlässt immer so wenig wie möglich dem Zufall.

Wüst ist regierungserfahrener und jünger als Merz

Einstweilen müsste Wüst Merz in einer offenen Feldschlacht herausfordern, um die Kanzlerkandidatur zu erlangen. Das käme in der Partei gar nicht gut an. Gleichsam im Vorratsmodus arbeitet er freilich längst. Sein erster großer Aufschlag vor etwas mehr als einem Jahr war ein Gastbeitrag in der F.A.Z. mit der Kernbotschaft „Wir machen Politik mit dem Herzschlag der Mitte“. Wüst lobte Helmut Kohl und Angela Merkel für „eine Politik von Modernität, Mitte und Ausgleich“, nannte den Namen Merz aber nicht einmal.

Zuletzt machte die ARD Wüst nach der Europawahl ein schönes Geschenk. In einer Dokumentation wurde der Vorsitzende des größten CDU-Landesverbandes als freundlicher, erfolgreicher Regent präsentiert. Anders als Merz, der bisher nur die Opposition kennt, ist Wüst seit vielen Jahren regierungserfahren – und er ist zwanzig Jahre jünger. Auch das heben jene in der CDU gern hervor, die glauben, Wüst könne für die Mitte der Partei ein verlässlicheres Angebot sein als Merz oder Söder.

Warum hält Söder den Ball in der Luft?

In der CSU wiederum wissen sie, im Unterschied zur Fabel, dass sie gut daran tun, den Fuchs nicht zu unterschätzen. Dort heißt es: Selbst wenn der Merz doch noch stolpert, ließen die Wüst-Jungs, zu denen etwa der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther oder Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner gehörten, nicht zu, dass es Söder macht.

Söder dürfte also wissen, dass es für ihn doppelt schwer wird mit der Kanzlerkandidatur. Warum hält er den Ball trotzdem in der Luft? Manche sagen, er wolle „den Preis hochtreiben“. Doch wofür?

Zwei Optionen geistern herum. Die eine: Söder könnte als Superminister nach Berlin gehen. Dass er jedoch Kabinettsmitglied unter einem Kanzler Merz oder gar einem Kanzler Wüst werden könnte, gilt denen, die ihn kennen, mit seiner Persönlichkeit als kaum vereinbar.

Allerdings könnte spätestens nach der Kür des Kanzlerkandidaten, sollte Söder es nicht werden, eine Debatte mit folgendem Zungenschlag an Fahrt aufnehmen: Wenn wirklich so viel auf dem Spiel steht, für Deutschland, für die CSU, wie auch Söder immer wieder sagt, muss dann nicht auch der beste Mann die Bundestagsliste anführen – also er? Und müsste er dann nicht in Berlin bleiben?

Es klingt abwegig, aber womöglich wäre die für ihn attraktivste Ausweichoption das Bundespräsidentenamt. Das hatte in der CSU noch keiner inne. Angeblich gab es vonseiten Söders schon einmal das Angebot an Wüst, er überlasse ihm die Kanzlerkandidatur, wenn er im Gegenzug Bundespräsident werden könne.

In Söders Umgebung heißt es, das Amt könne man sich gar nicht vor der Bundestagswahl versprechen lassen, weil die Mehrheiten nach der Wahl unkalkulierbar seien. Andererseits könnte allein die Aussicht auf das Amt für Söder, der in seinem Leben immer auf ein noch größeres Ziel hingear­beitet hat, über eine verpasste Kanzlerkandidatur hinwegtrösten. Eins ist klar: Söder würde sich und das Bundespräsidentenamt neu erfinden. Es ist allerdings fraglich, ob ein Kanzler der CDU, wie auch immer er heißen würde, Lust darauf hätte, einen Söder neben und, laut Verfassung, über sich zu haben.

In der Partei ist diese Lust ebenso verhalten. Schon dafür sei es gut, dass auch Hendrik Wüst weiter im Spiel sei, sagen manche CDU-Leute süffisant: Um Söder seine Grenzen aufzuzeigen. Auch in der K-Frage komme in der Union erst Merz, dann der Ministerpräsident des mächtigsten Landesverbands, und danach erst mal nichts mehr. Damit wäre der schlaue Fuchs sozusagen der Einflüsterer im Ohr des stumpfmähnigen Löwen: Versuch’s erst gar nicht.

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