Nach Sieg der Partei Le Pens: Linke und Macron-Lager schließen Pakt gegen den RN

Nach dem deutlichen Sieg des Rassemblement National (RN) in der ersten Runde der vorgezogenen Wahlen zur französischen Nationalversammlung bahnt sich ein Pakt zwischen der in Teilen linkspopulistischen Neuen Volksfront und dem Lager von Präsident Macron an. Sie wollen gemeinsam verhindern, dass die rechtspopulistische Partei in den Stichwahlen am 7. Juli in mehr als der Hälfte der 577 Wahlkreise die Mehrheit der Stimmen und damit die absolute Mehrheit in der Nationalversammlung erlangt. Kandidaten der beiden Parteien, die in einem Wahlkreis nur auf den dritten Platz gekommen sind, sollen sich zurückziehen, damit sich die Anti-RN-Stimmen nicht auf verschiedene Kräfte verteilen.

Nach einer Prognose des Senders TF1 kam die Partei der dreimal gescheiterten Präsidentschaftskandidatin Marine Le Pen landesweit auf 34,2 Prozent der Stimmen. Das rot-grüne Bündnis Neue Volksfront (Nouveau Front populaire) kam nach der Prognose mit 29,1 Prozent der Stimmen auf den zweiten Platz, das Regierungsbündnis „Ensemble“ von Präsident Emmanuel Macron mit nur 21,5 Prozent der Stimmen auf den dritten.

Le Pen sagte unter dem Jubel ihrer Anhänger: „Wir haben den Macron-Block ausradiert.“ Sie mahnte aber: „Noch ist nichts gewonnen. Der zweite Wahlgang ist entscheidend.“ In der Hoffnung auf eine absolute Mehrheit nach den Stichwahlen kündigte der RN-Vorsitzende Jordan Bardella am Sonntag bereits an, er werde „ein Premierminister für alle Franzosen“ sein.

Rückzug als „eine Frage der Ehre“

Der amtierende Premierminister Gabriel Attal rief die Kandidaten von „Ensemble“ dazu auf, sich zurückzuziehen, wenn sie nur auf Rang drei gekommen sind. Dasselbe hatte zuvor der Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon von den Kandidaten der Neuen Volksfront verlangt. Mélenchons populistische Partei „Unbeugsames Frankreich“ bildet den Kern der Neuen Volksfront.

Präsident Macron drückte sich weniger klar aus. Schriftlich rief er unmittelbar nach der Veröffentlichung der ersten Prognosen lediglich zu einer „breiten demokratischen und republikanischen Sammlungsbewegung“ gegen das Rassemblement National auf. Erst als Attal sich knapp zwei Stunden später erstmals zu Wort meldete, wurde klar, dass es einen faktischen Pakt zwischen den Linken und dem Macron-Lager geben soll. Attal sagte: „Wir müssen eine absolute Mehrheit für den RN verhindern.“ Es sei daher „eine Frage der Ehre“, dass sich drittplatzierte Kandidaten des Macron-Lagers zurückzögen. Bisher hatte Präsident Macron seine Gefolgsleute zu einer Strategie des Weder-Noch angehalten: Sie sollten weder Rechtspopulisten, noch Linkspopulisten unterstützen. Sein Innenminister Gérald Darmanin sagte am Sonntag: „Ich rufe die Wähler auf, einen Damm gegen das Rassemblement National zu errichten.“

Der frühere sozialistische Präsident Francois Hollande, der sich in der Corrèze für die Neue Volksfront um ein Mandat beworben hat und selbst in die Stichwahl muss, bekräftigte am Sonntag: „Die Lage ist ernst. Die extreme Rechte ist an der Schwelle zur Macht.“

Bardella warnt vor „Allianz des Schlimmsten“

Bardella versuchte, Sorgen vor einer RN-Regierung zu zerstreuen. Er werde die Verfassung respektieren, versicherte er. „Allen Französinnen und allen Franzosen möchte ich sagen, dass ich immer der Verteidiger Ihrer Rechte sein werde“, sagte er. Der zweite Wahlgang werde „einer der entscheidendsten in der Geschichte der V. Republik sein“. Man müsse sich gegen eine „Allianz des Schlimmsten“ stemmen: Das Linksbündnis stehe für „Unordnung und Aufruhr“ sowie unkontrollierte Einwanderung.

Mélenchon war nach der Schließung der Wahllokale mit der propalästinensischen Aktivistin Rima Hassan vor die Kameras getreten, die bei der Wahl gar nicht angetreten war. Sie trug ein Palästinensertuch um die Schultern. Im Europawahlkampf hatte sie Stimmung gegen Israel gemacht und mit antisemitischen Thesen geflirtet. Mélenchon sagte vor Anhängern: „Niemand will mehr Macron.“ Der Präsident habe die Franzosen vor die Alternative RN oder Macron stellen wollen, was niemand gewollt habe. Nun gebe es eine andere Alternative für die Franzosen: RN oder die Neue Volksfront. Die Linke brauche eine absolute Mehrheit.

Provokation: Mélenchon trat mit der propalästinensischen Aktivistin Rima Hassan auf.
Provokation: Mélenchon trat mit der propalästinensischen Aktivistin Rima Hassan auf.AFP

Bis Dienstagabend um 18 Uhr müssen die Kandidaten, die sich am Sonntag für die Stichwahl qualifiziert haben, mitteilen, ob sie im zweiten Wahlgang antreten oder darauf verzichten. Macrons früherer Premierminister Edouard Philippe, ein mutmaßlicher Präsidentschaftskandidat, rief dazu auf, dass im zweiten Wahlgang „keine Stimme an das RN und keine Stimme an LFI“ gehen dürfe. „Wir müssen die bürgerliche Mitte neu aufbauen. Ich bin bereit“, sagte er.

Der Teil der Republikaner, die sich nicht schon vor der Wahl mit dem RN verbündet hatten, gab keine Wahlempfehlung ab. Die Schwesterpartei von CDU/CSU will demnach offenbar keine Kandidaten zurückziehen, um RN-Siege zu verhindern. Die Republikaner sind nach der Prognose auf gut zehn Prozent der Stimmen gekommen. Ihr früherer Vorsitzender Jean-Francois Copé urteilte am Wahlabend: „Präsident Macron hat Poker mit Frankreich gespielt und verloren.“

Marine Le Pen ist bereits gewählt

Macron hatte das Parlament am 9. Juni überraschend aufgelöst, nachdem die Rechtspopulisten bei der Europawahl ein Rekordergebnis von 31 Prozent erzielten, fast doppelt so viel wie sein eigenes Lager. Macron hatte von den Franzosen vor der Wahl ein „demokratisches Aufbäumen gegen die Extreme“ gefordert.

Die Beteiligung am ersten Wahlgang lag laut Hochrechnungen wesentlich höher als bei vorangegangenen Parlamentswahlen und wurde auf 67,5 Prozent geschätzt. Bei der vorigen Wahl zur Nationalversammlung im Juni 2022 hatte die Wahlbeteiligung in der ersten Wahlrunde nur bei 46 Prozent gelegen. Nach einer Prognose des Instituts Ipsos haben deshalb 65 bis 85 Kandidaten bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit erlangt und ziehen in die Nationalversammlung ein. Das ist ein äußerst hoher Wert; bei der vorigen Wahl im Jahr 2022 waren in Runde eins nur vier Kandidaten ins Parlament eingezogen. Zu den Siegern der ersten Runde gehörte am Sonntag Marine Le Pen.

Demokratisches Aufbäumen: Präsident Emmanuel Macron und seine Ehefrau Brigitte am Sonntag bei der Stimmabgabe in Le Touquet
Demokratisches Aufbäumen: Präsident Emmanuel Macron und seine Ehefrau Brigitte am Sonntag bei der Stimmabgabe in Le TouquetAFP

Die hohe Wahlbeteiligung dürfte ferner zur Folge haben, dass sich in mehr als der Hälfte der 577 Wahlkreise mehr als zwei Kandidaten für den zweiten Wahlgang am 7. Juli qualifiziert haben. Viel hängt nun davon ab, wer von diesen Kandidaten sich womöglich zurückzieht und zur Wahl eines anderen Kandidaten aufruft.

Entsprechend zurückhaltend muss man die ersten Prognosen der künftigen Sitzverteilung betrachten. Nach der TF1-Prognose könnte das RN auf 240 bis 270 Sitze kommen. Demnach würde die Partei die angestrebte absolute Mehrheit knapp verfehlen. Das Linksbündnis könnte demnach mit 180 bis 200 Sitzen rechnen, Macrons Bündnis Ensemble nur mit 60 bis 90 der 577 Abgeordneten.

Nach Angaben von Ipsos ist damit zu rechnen, dass sich Kandidaten des RN in 300 bis 430 der 577 Wahlkreise entweder schon durchgesetzt oder für die zweite Runde qualifiziert haben. In fast genauso vielen Wahlkreisen (370 bis 410) gelte dasselbe für Kandidaten der Neuen Volksfront. Bewerber aus Macrons früherer Präsidentenmehrheit könnten dagegen nach der Prognose maximal in 290 bis 330 Wahlkreisen am kommenden Sonntag auf den Stimmzetteln stehen – sofern sie sich nicht zurückziehen.

Anders als in Deutschland werden die Abgeordneten der Nationalversammlung nicht in einer Verhältniswahl gewählt, sondern als Mehrheitswahl in zwei Wahlgängen. Erst in einer Woche entscheidet sich daher die Sitzverteilung. Die Amtszeit von Präsident Macron läuft noch bis Mai 2027. Auch wenn kein Lager die absolute Mehrheit erzielt, darf die Nationalversammlung erst in einem Jahr wieder aufgelöst werden. Eine Pattsituation zwischen den drei Blöcken wäre ein Novum in Frankreich.

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