Nagelsmanns feines Gespür für das Momentum kann die DFB-Elf weit tragen

Im März, als es galt, den Kader für die anstehenden Länderspiele gegen Frankreich und die Niederlande zu nominieren, referierte Julian Nagelsmann erstmals über das Momentum. Er hatte in Deniz Undav, Chris Führich, Maximilian Mittelstädt und Waldemar Anton gleich vier Spieler vom VfB Stuttgart nominiert. Die Schwaben überzeugten in der Bundesliga – und der Bundestrainer hielt den Zeitpunkt für geeignet, nun auf Profis des VfB zu setzen. Nach den Pleiten gegen die Türkei (2:3) und Österreich (0:2) hatte er angekündigt, dass man Dinge ändern müsse und werde. Der Moment also war gekommen.

Rund um das EM-Achtelfinale gegen Dänemark, das die deutsche Fußball-Nationalmannschaft Samstagabend in Dortmund 2:0 gewann, bewies der Bundestrainer erneut ein feines Gespür für den besonderen Moment.

Die deutsche Nationalmannschaft steht im EM-Viertelfinale

Die deutsche Nationalmannschaft steht im EM-Viertelfinale
Quelle: AFP/OZAN KOSE

Nachdem er die Startelf in drei Partien nicht geändert hatte, setzte er gegen die Dänen auf zwei frische Kräfte: David Raum links für Mittelstädt, Leroy Sané im Mittelfeld für Florian Wirtz, dazu musste er den gelbgesperrten Jonathan Tah durch Nico Schlotterbeck ersetzen. Raum und Sané stehen zwar nicht allein symbolisch für den Schlüssel zum Erfolg, auch wenn Raum mit seiner Flanke, die Joachim Andersson mit der Hand im Strafraum stoppte, indirekt das 1:0 ein und zudem stark spielte. Es ist vielmehr der Bundestrainer, dessen Entscheidungen greifen – und der deutschen Nationalmannschaft guttun.

Nagelsmann hält an Havertz fest

Nagelsmann erkannte, dass es nach den drei Vorrundenspielen neue Impulse bedurfte, neue Reize. Er bewertete die Trainingseinheiten, das Hier und Jetzt – und ließ die vor der EM so klar verteilten Rollen Rollen sein. Er tat das, was er mit seinem Trainerteam für nötig und richtig hielt – und zwar auch im Fall von Kai Havertz. Er nutzte das Momentum. Er belohnte Spieler, die sich ihre Einsätze verdient hatten.

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Nicht wenige der gefühlt 82 Millionen Bundestrainer hätten sich nach zwei eher glücklosen Spielen von Havertz gegen Ungarn und die Schweiz im ersten K.o.-Spiel bei dieser EM Niclas Füllkrug in der Startelf gewünscht, an der Seite von Havertz oder statt Havertz. Nagelsmann aber hielt am Stürmer des FC Arsenal fest, was sich in der Partie gegen die Dänen ja dann auch auszahlte: Havertz vergab zwar zwei Top- Chancen, übernahm beim Elfmeter jedoch Verantwortung, traf zum 1:0. Sein Coach dürfte sich bestätigt gefühlt haben.

Kai Havertz (r.) vergab zwei Großchancen, verwandelte aber den Elfmeter zur Führung

Kai Havertz (r.) vergab zwei Großchancen, verwandelte aber den Elfmeter zur Führung
Quelle: AP/Andreea Alexandru

2016 bei der EM in Frankreich hatte Deutschland letztmals ein K.o. Spiel gewonnen – im Achtelfinale gab es ein 3:0 gegen die Slowakei, im Viertelfinale setzte sich die Nationalmannschaft dann noch im Elfmeterschießen gegen Italien durch. Danach gab es das Vorrunden-Aus bei der WM 2018 und der WM 2022 sowie das Aus im Achtelfinale bei der EM 2021. Dass es die deutsche Nationalmannschaft nach acht Jahren mal wieder geschafft hat, sich zu behaupten, ist vor allem auch ein Verdienst des Bundestrainers.

Im Viertelfinale braucht es mehr Effizienz und Durchschlagskraft

Im Viertelfinale trifft die deutsche Elf womöglich auf Spanien, das im Achtelfinale Georgien als Gegner hat. Bei aller Euphorie nach dem Erfolg gegen Dänemark: Die deutschen Spieler und auch ihr Trainer sollten sich darüber im Klaren sein, dass es gegen die Iberer, die eine bemerkenswerte Vorrunde spielten, eine Leistungssteigerung erforderlich ist. Mehr Durchschlagskraft, vorn mehr Effizienz – und insbesondere noch mehr Kompaktheit im Abwehrverbund.

Wer weiß, wer sich in den kommenden Übungseinheiten hervortut: Die Spieler wissen, ihr Coach setzt auf das Momentum. Und das kann weit tragen.

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