Der RN von Marine Le Pen kam auf rund 34 Prozent der Stimmen, wie aus ersten Nachwahlbefragungen mehrerer Meinungsforschungsinstitute am Sonntag hervorging. Folglich könne der RN nach der zweiten Runde am 7. Juli auf eine relative oder absolute Mehrheit kommen.
Der Zusammenschluss der Linken und Grünen, NUPES, kam danach auf den zweiten Platz mit etwa 29 Prozent. Die Gruppierung von Präsident Emmanuel Macron, Ensemble, liegt zwischen 20,5 und 23 Prozent auf dem dritten Platz.
Zweiter Wahlgang entscheidend
Entscheidend wird aber der zweite Wahlgang am nächsten Sonntag – dann wird entschieden, wie viele Sitze die Blöcke in der Nationalversammlung bekommen. Für Macron ist das Ergebnis eine herbe Niederlage. Er hatte darauf gesetzt, mit der vorgezogenen Neuwahl die relative Mehrheit seiner Mitte-Kräfte im Unterhaus auszubauen. Das scheint nun äußerst unwahrscheinlich. Macrons Liberalen droht, auf nur noch 60 bis 100 Sitze abzusacken.
Erste Prognosen gehen davon aus, dass Marine Le Pens Rechtspopulisten und ihre Verbündeten im Unterhaus mit 230 bis 280 Sitzen stärkste Kraft werden könnten. An der absoluten Mehrheit mit 289 Sitzen könnten sie aber vorbeischrammen.
Auch die Linken könnten zulegen und auf 125 bis 200 Sitze kommen. Genaue Aussagen zur Sitzverteilung sind bisher aber schwierig. Vor der zweiten Wahlrunde können die Parteien noch lokale Bündnisse schmieden, die den Wahlausgang beeinflussen.
Macron: „Angesichts des RN breites Bündnis bilden“
Macron rief angesichts des Wahlsiegs der Rechtspopulisten zu einem breiten Bündnis auf. „Angesichts des Rassemblement National ist es nötig, ein breites, demokratisches und republikanisches Bündnis für die zweite Wahlrunde zu bilden“, erklärte Macron nach Angaben des Elysee am Sonntag.
Die hohe Wahlbeteiligung in der ersten Runde zeuge von der „Bedeutung dieser Wahl für alle unsere Landsleute und von dem Willen, die politische Situation zu klären“, betonte der Präsident. „Ihre demokratische Wahl verpflichtet uns“, fügte er hinzu. Die Wahlbeteiligung war mit mehr als 60 Prozent so hoch wie seit Jahrzehnten nicht.
Ein Zusammenkommen der grundverschiedenen politischen Akteure für ein Regierungsbündnis nach der Wahl ist derzeit nicht absehbar. Ohne klare Mehrheit in der Nationalversammlung würde Frankreich Stillstand drohen. Da die Nationalversammlung die Regierung stürzen kann, braucht diese für ihre Arbeit eine Mehrheit in der Parlamentskammer.
Le Pen: Block Macrons „praktisch ausgelöscht“
Le Pen begrüßte indes den Ausgang. Der Block von Macron sei „praktisch ausgelöscht“, sagte Le Pen am Sonntagabend in einer ersten Reaktion.
Die Franzosen und Französinnen hätten „ihren Willen gezeigt, die Seite von sieben Jahren verachtender und zersetzender Macht“ Macrons umzuschlagen, sagte Le Pen, die in ihrem Wahlkreis im Norden bereits im ersten Wahlgang gewählt wurde. Sie rief die Franzosen außerdem dazu auf, dem RN im zweiten Wahlgang „die absolute Mehrheit“ für ihre Partei zu geben.
Ähnlich äußerte sich der RN-Parteichef Jordan Bardella. Die Wählerinnen und Wähler hätten ein „endgültiges Urteil gefällt“. Die zweite Wahlrunde werde „eine der entscheidendsten in der gesamten Geschichte“ sein. Der 28-jährige Bardella, der im Fall einer absoluten Mehrheit für seine Partei das Amt des Premierministers anstrebt, sagte, er wolle „der Premierminister aller Franzosen“ sein.
Linkspopulisten kündigen Kandidatenrückzug an
Die linkspopulistische Partei La France Insoumise (LFI) kündigte indes an, ihre Kandidaten in der zweiten Runde in bestimmten Wahlkreisen zurückzuziehen. In Wahlkreisen, in denen LFI auf dem dritten Platz gelandet sei und der Rassemblement National (RN) auf dem ersten, würden sich die LFI-Kandidaten zurückziehen, sagte LFI-Chef Jean-Luc Melenchon am Sonntagabend.
„Wir werden dem RN nirgendwo einen Sieg ermöglichen“, betonte Melenchon. „Unsere Wahlempfehlung ist einfach, direkt und klar: Keine Stimme, kein Sitz mehr für den RN“, sagte er weiter. Melenchon bezeichnete die Wahl als „schwere und unbestreitbare Niederlage“ für Macron.
Appell, „Katastrophe für Frankreich zu verhindern“
Der führende französische Sozialdemokrat Raphael Glucksmann rief zu einem entschiedenen Kampf gegen die Rechtspopulisten auf. „Wir haben sieben Tage, um eine Katastrophe für Frankreich zu verhindern“, sagte Glucksmann am Sonntagabend. „Das ist keine Parlamentswahl mehr, das ist ein Referendum. Wollen wir (…), dass die Rechtsextreme erstmals in unserer Geschichte über die Wahlurnen an die Macht gelangt?“
Glucksmann, der Spitzenkandidat der französischen Sozialisten bei der Europawahl war, sagte, es gehe nicht mehr um politische Zugehörigkeiten. Überall dort, wo Kandidatinnen und Kandidaten des gemeinsamen Linksbündnisses auf Platz drei gelandet seien, werde man die Kandidatur zurückziehen und dazu aufrufen, für die Person in dem Wahlkreis zu stimmen, die den Kandidaten von RN schlagen könne. Glucksmann versicherte, es gebe von linker Seite kein Zögern.
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