Zweifel an Joe Biden: Jetzt greifen die Demokraten hektisch zum Telefon

Bevor Joe Biden am Samstagabend nach Camp David, dem Landsitz der Präsidenten in Maryland, aufbrach, hatte er noch einen Auftritt im feinen East Hampton auf Long Island bei New York, um bei wohlhabenden Unterstützern der Demokraten Spenden einzutreiben. Auf dem Weg dorthin wurde er von Demonstranten empfangen, die Schilder hochhielten: „Wir lieben dich, aber es ist an der Zeit“ und „Tritt zurück für die Demokratie“ war darauf zu lesen.

Zuvor hatte der Präsident bereits die Nachricht erhalten, dass auch die „New York Times“, das wichtigste linksliberale Leitmedium im Land, ihn in ihrem Edi­torial auffordert, aus dem Rennen auszusteigen, „um seinem Land zu dienen“. Der Präsident behaupte immer wieder, er sei der Kandidat mit der besten Chance, Donald Trump zu besiegen, schrieb die Zeitung. Er habe dabei stets den Wahlsieg 2020 als Beleg angeführt. In dem Fernsehduell mit dem republikanischen Kandidaten hätte Biden die amerika­nische Öffentlichkeit überzeugen müssen, dass er weitere vier Jahre den enormen Anforderungen für das Amt gewachsen sei. Tatsächlich hätten die Wähler in der Debatte aber gesehen, dass Biden nicht mehr der Mann ist, der er vor vier Jahren war. Der Präsident begebe sich in leichtsinniges Wagnis.

Obama und Clinton verteidigen Biden

Biden scheint jedoch nicht gewillt zu sein, sich zurückzuziehen. Wohl aber sah er nach seinem müden und fahrigen Auftritt in Atlanta Bedarf, seine Strategie zu ändern. Unmittelbar nach der Debatte am Donnerstagabend hatte er sich noch selbst bescheinigt, sich gut geschlagen zu haben, und lediglich konzediert, dass es nicht leicht sei, sich mit einem Lügner auseinanderzusetzen.

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Das Echo in seiner Partei war aber so verheerend, dass Biden reagieren musste. Bei einem ersten Wahlkampfauftritt nach dem Duell sagte der 81 Jahre alte Amtsinhaber am Freitag vor Anhängern in Raleigh in North Carolina: „Ich weiß, ich bin kein junger Mann, um das Offensichtliche zu sagen.“ Er laufe, rede und debattiere nicht mehr so gut wie früher. Dann fügte er kämpferisch hinzu: „Aber ich weiß, wie man die Wahrheit sagt.“ Er würde nicht wieder antreten, wenn er nicht der vollen Überzeugung sei, dass er „diesen Job machen kann“.

Angesichts der Panik, die Bidens Auftritt in Atlanta unter führenden Demokraten hervorgerufen hatte, wurde die Parteimaschine angeschmissen: Der innere Kern des Establishments der Demokraten schloss die Reihen. Der frühere Präsident Barack Obama, dessen Vizepräsident Biden war, schrieb auf der Plattform X: „Schlechte Duelle pas­sieren.“ Man möge ihm glauben. Er wisse, wovon er rede.

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Das bezog sich auf Obamas erstes Fernsehduell mit Mitt Romney im Wahlkampf 2012, das der Demokrat ebenfalls vermasselt hatte. Weiter schrieb der frühere Präsident: „Aber diese Wahl ist immer noch eine Entscheidung zwischen jemandem, der sein ganzes Leben lang für die einfachen Leute gekämpft hat, und jemandem, der sich nur um sich selbst kümmert. Zwischen jemandem, der die Wahrheit sagt, der Recht von Unrecht unterscheiden kann und es dem amerikanischen Volk offen sagen wird – und jemandem, der zu seinem eigenen Vorteil schamlos lügt.“ Das Fernsehduell habe daran nichts geändert.

Auch Bill Clinton sprang für Biden in die Bresche: Er überlasse die Notenver­gabe für das Duell anderen. Er wisse aber, sagte der frühere Präsident weiter, dass Biden das Land in den vergangenen Jahren zuverlässig geführt habe. Dann war da noch Nancy Pelosi, die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses: Sie denke nicht, dass Biden beiseitetreten sollte, sagte sie. Sodann: Sie kenne auch keinen, der Biden dazu dränge.

Neue Umfragen dürften Druck verstärken

Tatsächlich wird über hektische Telefonate berichtet, in denen Kongressmit­glieder auch aus Angst, im Wahlkampf von Biden heruntergezogen zu werden, darüber beraten, wie man den Präsidenten überzeugen könne, auf eine zweite Amtszeit zu verzichten, und den Weg dazu freizumachen, auf dem Parteitag im August in Chicago einen anderen Kan­didaten aufzustellen. Biden Wahlkampfteam bestätigte das indirekt. In einer E-Mail an Parteianhänger hieß es: „Joe Biden wird der Kandidat der Demokraten sein. Punkt.“ Eine „Bettnässer-Brigade“ würde Biden zum Rückzug auffordern.

Ob es Biden und seinen Unterstützern gelingt, das Feuer auszutreten, werden die kommenden Tage zeigen. Wenn Umfragen zeigen, dass der Amtsinhaber, der gerade dabei war, Trumps Vorsprung in den wahlentscheidenden Swingstates aufzuholen, wieder abfällt, dürfte der Druck zunehmen. Neuerliche Auftritte des Präsidenten, in denen dieser verwirrt oder desorientiert erscheint, wie es zuletzt häufiger vorkam, würden diesen zusätzlich verstärken.

Eines ist sicher: Wenn Biden nicht von sich aus aufgibt, ist ein Kandidatenaustausch ein schwieriges Unterfangen. Die Vorwahlen sind gelaufen. Und die Statuten der Demokraten schreiben vor, dass die von Biden in den parteiinternen „Primaries“ gesammelten Delegierten für den Nominierungsparteitag nach bestem Wissen und Gewissen den Willen ihrer Wähler widerspiegeln sollen. Diese Statuten könnten zwar vom „Democratic National Committee“, der Parteiorganisation, noch geändert werden. Es gilt aber als höchst unwahrscheinlich, dass dies ohne ein Einlenken Bidens geschieht.

Es drängt sich kein natürlicher Nachfolger auf

Sollte der Präsident dem Druck nachgeben, wäre alles wieder offen. Biden könnte seinen Delegierten nicht auftragen, einen von ihm unterstützen Kandidaten zu nominieren. Das heißt auch, dass es nicht zwangsläufig auf Kamala Harris, die wieder die Kandidatin für das Vizepräsidentenamt ist, hinausliefe.

Wahrscheinlich ist, dass das Parteiestablishment in diesem Fall versuchen würde, sich auf ei­nen Kandidaten zu verständigen, von dem man annimmt, dass er Trump besiegen kann. Die Delegierten würden dann umworben, diesen Kandidaten zu unterstützen. Jedoch stellt sich die Frage, ob Harris es akzeptieren würde, übergangen zu werden. Oder ob etwa die Parteilinke einen Kandidaten unterstützen würde, der ihnen zu zentristisch ist. Eine Kampfkandidatur wäre nicht ausgeschlossen.

Das Szenario ist aber unwahrscheinlich, was auch daran liegt, dass sich kein natürlicher Nachfolger aufdrängt. Die Namen, die nun genannt werden, kursieren im Grunde seit Monaten: Da ist der ka­lifornische Gouverneur Gavin Newsom. Dessen größte Stärke ist auch seine größte Schwäche: Er regiert den bevölkerungsreichsten Bundesstaat, verfügt daher über Gewicht und Bekanntheit. Jedoch sind die Demokraten an der West­küste zu links, um in den Swingstates im Mittleren Westen Wechselwähler der po­litischen Mitte zu umwerben. Newsom stellte sogleich klar, er werde Biden „niemals den Rücken kehren“.

Dann ist da Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan, die aber wenig bekannt und auch kein Schwer­gewicht in der Partei ist. Letzteres trifft zwar auf Jay Pritzker, den Gouverneur von Illinois, zu; ihm mangelt es aber an Charisma. Josh Shapiro wiederum, dem Gouverneur von Pennsylvania, wird zwar eine große Zukunft in der Partei prognostiziert. Er ist aber erst seit 2023 im Amt. Ihm fehlen Erfahrung und Bekanntheit.

Trump ist ob der Misere der Demokraten gut aufgelegt. Auch er machte gleich nach dem Fernsehduell wieder Wahlkampf. Auf einer Kundgebung in Virginia zog er über den „inkompetenten“ Biden her, der eine „große Katastrophe“ sei. Nach seiner Verurteilung in New York war der Republikaner kurzzeitig in die Defensive geraten. Nun ist er wieder obenauf. Am Montag will der Supreme Court entscheiden, ob der frühere Präsident für Amtshandlungen über strafrechtliche Immunität verfügt, wie Trump es beantragt hat.

Am Freitag hatte er schon einen Erfolg verbucht. Da erschwerte der Oberste Gerichtshof die Strafverfolgung im Zusammenhang mit dem Sturm auf das Kapitol. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass der Straftatbestand der Behinderung eines offiziellen Verfahrens nur in bestimmten Fällen auf den 6. Januar 2021, als Bidens Wahlsieg im Kongress – nach einer vierstündigen, krawallbedingten Unterbrechung – beglaubigt wurde, angewendet werden kann. Die Verfassungsrichter verwiesen den Fall eines Klägers an untere Gerichte. Hunderte Randalierer waren un­ter anderem auf dieser Grundlage verurteilt worden. Deren Urteile könnten nun auch überprüft werden. Der Straftatbestand ist auch Teil der Anklage gegen Trump in Washington.

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